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Die Grenzboten. Jg. 26, 1867, I. Semester. II. Band.

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wenn sie in den vordersten Bänken die Plätze einnahmen, die man willig für
die "alten Herren" frei ließ, von denen ich nur drei nennen will: Heinrich von
Gagern, damals noch (in den SOer Jahren) ein von der heranwachsenden Ge¬
neration hochverehrtes Haupt, den ehemaligen Statthalter Beseler und den
edlen Minister v. Dusch. Es war aber auch Häussers Stolz, vor diesem Publi¬
kum vaterländische Geschichte vorzutragen. Weitaus die meisten dieser großen,
immer wieder sich ergänzenden Zahl gehörten nicht seiner entern Heimath Baden
an, sie kamen aus Weiler Ferne von den entlegensten Grenzen deutscher Zunge
und aus dem Schooße deutscher Familien, die sich im Ausland ein Haus ge¬
gründet hatten, nach der weitberühmten Musenstadt. So war diese Versamm¬
lung ein Sinnbild deutscher Einheit mitten in der trübseligster Zerrissenheit
des Vaterlandes und wo etwa das Gefühl der patriotischen Pflichten, die Er¬
kenntniß der Nichtigkeit aller particularistischen Gefühlsseligkeit, der nationale
Gedanke noch unentwickelt war oder schlummerte, dahin hat Hausier gewiß den
zündenden Funken geworfen. Jeder deutsche Patriot, der in den letzten zwanzig
Jahren in Heidelberg studirte, wird bekennen, wie viel er Häussers Worten
verdankt. Aber darauf bes hränkte sich seine Leinthätigkeit nicht. Neben den
Vorlesungen, die auf einen großen Kreis berechnet waren und einen großen
Kreis anzogen, fesselte er kleinere Genossenschaften strebsamer Jünglinge an sich.
Die Vorträge über neuere Geschichte, in denen er die Reformation zum Aus¬
gangspunkt nahm und ihre Genesis eingehend und gewissenhaft verfolgte, waren in
gleicher Weise bedeutend für diejenigen, welche mit strengeren wissenschaftlichen
Interesse dur historischen Studien sich zuwendeten, und sicherlich hat kein junger
Historiker die "Uebungen" erfolglos besucht, zu denen Hauffer eine kleine Schaar
auserlesener Schüler im eigenen Hause versammelte. Da saß er dann behag¬
lich vor einem runden Tisch, um den d>e Theilnehmer sich geordnet hallen und
streute aus der unerschöpflichen Fülle seiner Belesenheit und seines Wissens
fruchtbringende Geistesspenden in die Lectüre älterer Schnflsteller.

Aber Häussers Wirksamkeit gehörte nicht nur der Universität Heidelberg,
nicht nur der deutschen akademischen Jugend, sie gehörte dem ganzen deutschen
Volk an. Von ihm sind wenig eigentlich gelehrte Werke vorhanden, obwohl
er unzweifelhaft befähigt war, auch diese Richtung der historischen Literatur mit
Leistungen ersten Ranges zu bereichern! dafür hat seine "Deutsche Geschichte"
bei uns unerhörten Erfolg gehabt. Sie ist in alle Schlesien der Bevölkerung
gedrungen und der Einfluß dieses Buches auf die Beurtheilung der letzten
achtzig Jahre ist gradezu entscheidend gewesen. So sehr das classische Wert
sich durch die actenmäßige Aufhellung vieler bisher unbekannter oder unklarer
Vorgänge und Verhältnisse auszeichnet, so beruht doch darin nicht sein Haupt¬
werth. Ohne Zweifel waren auch andere Gelehrte im Stande, diese Arbeiten
vorzunehmen und mancher wäre vielleicht noch tiefer, als Hauffer es that, in


wenn sie in den vordersten Bänken die Plätze einnahmen, die man willig für
die „alten Herren" frei ließ, von denen ich nur drei nennen will: Heinrich von
Gagern, damals noch (in den SOer Jahren) ein von der heranwachsenden Ge¬
neration hochverehrtes Haupt, den ehemaligen Statthalter Beseler und den
edlen Minister v. Dusch. Es war aber auch Häussers Stolz, vor diesem Publi¬
kum vaterländische Geschichte vorzutragen. Weitaus die meisten dieser großen,
immer wieder sich ergänzenden Zahl gehörten nicht seiner entern Heimath Baden
an, sie kamen aus Weiler Ferne von den entlegensten Grenzen deutscher Zunge
und aus dem Schooße deutscher Familien, die sich im Ausland ein Haus ge¬
gründet hatten, nach der weitberühmten Musenstadt. So war diese Versamm¬
lung ein Sinnbild deutscher Einheit mitten in der trübseligster Zerrissenheit
des Vaterlandes und wo etwa das Gefühl der patriotischen Pflichten, die Er¬
kenntniß der Nichtigkeit aller particularistischen Gefühlsseligkeit, der nationale
Gedanke noch unentwickelt war oder schlummerte, dahin hat Hausier gewiß den
zündenden Funken geworfen. Jeder deutsche Patriot, der in den letzten zwanzig
Jahren in Heidelberg studirte, wird bekennen, wie viel er Häussers Worten
verdankt. Aber darauf bes hränkte sich seine Leinthätigkeit nicht. Neben den
Vorlesungen, die auf einen großen Kreis berechnet waren und einen großen
Kreis anzogen, fesselte er kleinere Genossenschaften strebsamer Jünglinge an sich.
Die Vorträge über neuere Geschichte, in denen er die Reformation zum Aus¬
gangspunkt nahm und ihre Genesis eingehend und gewissenhaft verfolgte, waren in
gleicher Weise bedeutend für diejenigen, welche mit strengeren wissenschaftlichen
Interesse dur historischen Studien sich zuwendeten, und sicherlich hat kein junger
Historiker die „Uebungen" erfolglos besucht, zu denen Hauffer eine kleine Schaar
auserlesener Schüler im eigenen Hause versammelte. Da saß er dann behag¬
lich vor einem runden Tisch, um den d>e Theilnehmer sich geordnet hallen und
streute aus der unerschöpflichen Fülle seiner Belesenheit und seines Wissens
fruchtbringende Geistesspenden in die Lectüre älterer Schnflsteller.

Aber Häussers Wirksamkeit gehörte nicht nur der Universität Heidelberg,
nicht nur der deutschen akademischen Jugend, sie gehörte dem ganzen deutschen
Volk an. Von ihm sind wenig eigentlich gelehrte Werke vorhanden, obwohl
er unzweifelhaft befähigt war, auch diese Richtung der historischen Literatur mit
Leistungen ersten Ranges zu bereichern! dafür hat seine „Deutsche Geschichte"
bei uns unerhörten Erfolg gehabt. Sie ist in alle Schlesien der Bevölkerung
gedrungen und der Einfluß dieses Buches auf die Beurtheilung der letzten
achtzig Jahre ist gradezu entscheidend gewesen. So sehr das classische Wert
sich durch die actenmäßige Aufhellung vieler bisher unbekannter oder unklarer
Vorgänge und Verhältnisse auszeichnet, so beruht doch darin nicht sein Haupt¬
werth. Ohne Zweifel waren auch andere Gelehrte im Stande, diese Arbeiten
vorzunehmen und mancher wäre vielleicht noch tiefer, als Hauffer es that, in


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 26, 1867, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341805_349917/38>, abgerufen am 22.07.2024.