Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 26, 1867, I. Semester. II. Band.

Bild:
<< vorherige Seite

werden solle. Man vernahm, daß die zu befestigenden Punkte bereits bestimmt,
die Pläne dafür festgestellt seien, ja daß man bereits Contracte mit einigen
Bauunternehmern abgeschlossen habe. Der Gemeinderath, einzelne Innungen
und die Vertreter der verschiedenen Bezirke stellten Anfragen, aber ohne Erfolg.
Die Negierung fand es nicht nöthig, das Publikum über die getroffenen Ver¬
fügungen aufzuklären. Dennoch hoffte man, daß die Vorstellungen Eindruck
gemacht hätten und die Regierung stillschweigend von ihrem Vorhaben abstehen
oder doch wenigstens bis zum Zusammentritt des Reichstages warten und die
Bewilligung von demselben vielleicht durch anderweitige Zugeständnisse zu erlangen
suchen werde. Um so bitterer war die Enttäuschung, als vor einigen Wochen
eine "Bcfcstigungsbaudirection", von deren Dasein niemand wußte, die be¬
treffenden Unternehmer erinnerte, alle Vorkehrungen zu treffen, um binnen vier¬
zehn Tagen mit dem Baue beginnen zu können. Und wirklich wurde bereits
bei den Orten Rodaun, Siebenhirten und Mauer mit der Anlage großer Werke
begonnen.

Die Befestigung Wiens scheint demnach eine feststehende Sache, wenn man
auch über das Detail noch nicht ins Reine gekommen sein mag. Denn es ver¬
lautete wieder einmal, man habe den Plan abgeändert und wolle nur vier
Forts errichten, welche als Stützpunkte einer sich sammelnden Armee dienen
sollen. Vielleicht wollte man durch dieses Gerücht die Reichsrathsabgeord¬
neten versöhnlicher stimmen.

Man gab sich im nebligen keine Mühe, die öffentliche Meinung für dieses
Project zu gewinnen. Das Hauptargumcnt der Vertheidiger bestand in der
hochtrabenden Phrase, daß die Enkel jener Männer, welche Wien zweimal so
heldenmüthig gegen die Türken vertheidigt hätten, etwas Besseres thun könnten,
als gegen eine zu ihrem Wohle und ihrer Sicherheit erdachte Maßregel zu agi-
tiren. Die Wiener jener Zeit wußten, daß sie hinter ihren Mauern für Reli¬
gion, Nationalität, politische und materielle Existenz, ja für Familie und Leben
kämpften, während gegenwärtig nach gemeiner Meinung die Opfer, welche die
Stadt selbst bei einer zeitweiligen Occupation durch feindliche Truppen tragen
müßte, nicht so groß sein würden als die Verluste, welche nach Umwandlung
der Residenz in eine Festung zu befürchten sind.

Diese Befürchtungen sind übertrieben. Ungeheuer aber sind vielleicht die
Kosten dieser Befestigung. Denn es müssen nicht nur alle unmittelbar vor den
Linien befindlichen Ortschaften, welche als Vorstädte betrachtet werden können
und von denen einige 12--18,000 Einwohner und darüber zählen, in den Be-
festigungsrahon einbezogen, sondern auch die umgebenden und dominirenden
Höhen befestigt werden. Da letztere wieder von andern Bergen überhöht
werden, so wird man auch diese mit Forts krönen müssen. Auch wo dies
nicht der Fall, muß der Bcfestigungsgürtcl weit hinausgeschoben werden, um


werden solle. Man vernahm, daß die zu befestigenden Punkte bereits bestimmt,
die Pläne dafür festgestellt seien, ja daß man bereits Contracte mit einigen
Bauunternehmern abgeschlossen habe. Der Gemeinderath, einzelne Innungen
und die Vertreter der verschiedenen Bezirke stellten Anfragen, aber ohne Erfolg.
Die Negierung fand es nicht nöthig, das Publikum über die getroffenen Ver¬
fügungen aufzuklären. Dennoch hoffte man, daß die Vorstellungen Eindruck
gemacht hätten und die Regierung stillschweigend von ihrem Vorhaben abstehen
oder doch wenigstens bis zum Zusammentritt des Reichstages warten und die
Bewilligung von demselben vielleicht durch anderweitige Zugeständnisse zu erlangen
suchen werde. Um so bitterer war die Enttäuschung, als vor einigen Wochen
eine „Bcfcstigungsbaudirection", von deren Dasein niemand wußte, die be¬
treffenden Unternehmer erinnerte, alle Vorkehrungen zu treffen, um binnen vier¬
zehn Tagen mit dem Baue beginnen zu können. Und wirklich wurde bereits
bei den Orten Rodaun, Siebenhirten und Mauer mit der Anlage großer Werke
begonnen.

Die Befestigung Wiens scheint demnach eine feststehende Sache, wenn man
auch über das Detail noch nicht ins Reine gekommen sein mag. Denn es ver¬
lautete wieder einmal, man habe den Plan abgeändert und wolle nur vier
Forts errichten, welche als Stützpunkte einer sich sammelnden Armee dienen
sollen. Vielleicht wollte man durch dieses Gerücht die Reichsrathsabgeord¬
neten versöhnlicher stimmen.

Man gab sich im nebligen keine Mühe, die öffentliche Meinung für dieses
Project zu gewinnen. Das Hauptargumcnt der Vertheidiger bestand in der
hochtrabenden Phrase, daß die Enkel jener Männer, welche Wien zweimal so
heldenmüthig gegen die Türken vertheidigt hätten, etwas Besseres thun könnten,
als gegen eine zu ihrem Wohle und ihrer Sicherheit erdachte Maßregel zu agi-
tiren. Die Wiener jener Zeit wußten, daß sie hinter ihren Mauern für Reli¬
gion, Nationalität, politische und materielle Existenz, ja für Familie und Leben
kämpften, während gegenwärtig nach gemeiner Meinung die Opfer, welche die
Stadt selbst bei einer zeitweiligen Occupation durch feindliche Truppen tragen
müßte, nicht so groß sein würden als die Verluste, welche nach Umwandlung
der Residenz in eine Festung zu befürchten sind.

Diese Befürchtungen sind übertrieben. Ungeheuer aber sind vielleicht die
Kosten dieser Befestigung. Denn es müssen nicht nur alle unmittelbar vor den
Linien befindlichen Ortschaften, welche als Vorstädte betrachtet werden können
und von denen einige 12—18,000 Einwohner und darüber zählen, in den Be-
festigungsrahon einbezogen, sondern auch die umgebenden und dominirenden
Höhen befestigt werden. Da letztere wieder von andern Bergen überhöht
werden, so wird man auch diese mit Forts krönen müssen. Auch wo dies
nicht der Fall, muß der Bcfestigungsgürtcl weit hinausgeschoben werden, um


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0376" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/191070"/>
          <p xml:id="ID_1274" prev="#ID_1273"> werden solle. Man vernahm, daß die zu befestigenden Punkte bereits bestimmt,<lb/>
die Pläne dafür festgestellt seien, ja daß man bereits Contracte mit einigen<lb/>
Bauunternehmern abgeschlossen habe. Der Gemeinderath, einzelne Innungen<lb/>
und die Vertreter der verschiedenen Bezirke stellten Anfragen, aber ohne Erfolg.<lb/>
Die Negierung fand es nicht nöthig, das Publikum über die getroffenen Ver¬<lb/>
fügungen aufzuklären. Dennoch hoffte man, daß die Vorstellungen Eindruck<lb/>
gemacht hätten und die Regierung stillschweigend von ihrem Vorhaben abstehen<lb/>
oder doch wenigstens bis zum Zusammentritt des Reichstages warten und die<lb/>
Bewilligung von demselben vielleicht durch anderweitige Zugeständnisse zu erlangen<lb/>
suchen werde. Um so bitterer war die Enttäuschung, als vor einigen Wochen<lb/>
eine &#x201E;Bcfcstigungsbaudirection", von deren Dasein niemand wußte, die be¬<lb/>
treffenden Unternehmer erinnerte, alle Vorkehrungen zu treffen, um binnen vier¬<lb/>
zehn Tagen mit dem Baue beginnen zu können. Und wirklich wurde bereits<lb/>
bei den Orten Rodaun, Siebenhirten und Mauer mit der Anlage großer Werke<lb/>
begonnen.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1275"> Die Befestigung Wiens scheint demnach eine feststehende Sache, wenn man<lb/>
auch über das Detail noch nicht ins Reine gekommen sein mag. Denn es ver¬<lb/>
lautete wieder einmal, man habe den Plan abgeändert und wolle nur vier<lb/>
Forts errichten, welche als Stützpunkte einer sich sammelnden Armee dienen<lb/>
sollen. Vielleicht wollte man durch dieses Gerücht die Reichsrathsabgeord¬<lb/>
neten versöhnlicher stimmen.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1276"> Man gab sich im nebligen keine Mühe, die öffentliche Meinung für dieses<lb/>
Project zu gewinnen. Das Hauptargumcnt der Vertheidiger bestand in der<lb/>
hochtrabenden Phrase, daß die Enkel jener Männer, welche Wien zweimal so<lb/>
heldenmüthig gegen die Türken vertheidigt hätten, etwas Besseres thun könnten,<lb/>
als gegen eine zu ihrem Wohle und ihrer Sicherheit erdachte Maßregel zu agi-<lb/>
tiren. Die Wiener jener Zeit wußten, daß sie hinter ihren Mauern für Reli¬<lb/>
gion, Nationalität, politische und materielle Existenz, ja für Familie und Leben<lb/>
kämpften, während gegenwärtig nach gemeiner Meinung die Opfer, welche die<lb/>
Stadt selbst bei einer zeitweiligen Occupation durch feindliche Truppen tragen<lb/>
müßte, nicht so groß sein würden als die Verluste, welche nach Umwandlung<lb/>
der Residenz in eine Festung zu befürchten sind.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1277" next="#ID_1278"> Diese Befürchtungen sind übertrieben. Ungeheuer aber sind vielleicht die<lb/>
Kosten dieser Befestigung. Denn es müssen nicht nur alle unmittelbar vor den<lb/>
Linien befindlichen Ortschaften, welche als Vorstädte betrachtet werden können<lb/>
und von denen einige 12&#x2014;18,000 Einwohner und darüber zählen, in den Be-<lb/>
festigungsrahon einbezogen, sondern auch die umgebenden und dominirenden<lb/>
Höhen befestigt werden. Da letztere wieder von andern Bergen überhöht<lb/>
werden, so wird man auch diese mit Forts krönen müssen. Auch wo dies<lb/>
nicht der Fall, muß der Bcfestigungsgürtcl weit hinausgeschoben werden, um</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0376] werden solle. Man vernahm, daß die zu befestigenden Punkte bereits bestimmt, die Pläne dafür festgestellt seien, ja daß man bereits Contracte mit einigen Bauunternehmern abgeschlossen habe. Der Gemeinderath, einzelne Innungen und die Vertreter der verschiedenen Bezirke stellten Anfragen, aber ohne Erfolg. Die Negierung fand es nicht nöthig, das Publikum über die getroffenen Ver¬ fügungen aufzuklären. Dennoch hoffte man, daß die Vorstellungen Eindruck gemacht hätten und die Regierung stillschweigend von ihrem Vorhaben abstehen oder doch wenigstens bis zum Zusammentritt des Reichstages warten und die Bewilligung von demselben vielleicht durch anderweitige Zugeständnisse zu erlangen suchen werde. Um so bitterer war die Enttäuschung, als vor einigen Wochen eine „Bcfcstigungsbaudirection", von deren Dasein niemand wußte, die be¬ treffenden Unternehmer erinnerte, alle Vorkehrungen zu treffen, um binnen vier¬ zehn Tagen mit dem Baue beginnen zu können. Und wirklich wurde bereits bei den Orten Rodaun, Siebenhirten und Mauer mit der Anlage großer Werke begonnen. Die Befestigung Wiens scheint demnach eine feststehende Sache, wenn man auch über das Detail noch nicht ins Reine gekommen sein mag. Denn es ver¬ lautete wieder einmal, man habe den Plan abgeändert und wolle nur vier Forts errichten, welche als Stützpunkte einer sich sammelnden Armee dienen sollen. Vielleicht wollte man durch dieses Gerücht die Reichsrathsabgeord¬ neten versöhnlicher stimmen. Man gab sich im nebligen keine Mühe, die öffentliche Meinung für dieses Project zu gewinnen. Das Hauptargumcnt der Vertheidiger bestand in der hochtrabenden Phrase, daß die Enkel jener Männer, welche Wien zweimal so heldenmüthig gegen die Türken vertheidigt hätten, etwas Besseres thun könnten, als gegen eine zu ihrem Wohle und ihrer Sicherheit erdachte Maßregel zu agi- tiren. Die Wiener jener Zeit wußten, daß sie hinter ihren Mauern für Reli¬ gion, Nationalität, politische und materielle Existenz, ja für Familie und Leben kämpften, während gegenwärtig nach gemeiner Meinung die Opfer, welche die Stadt selbst bei einer zeitweiligen Occupation durch feindliche Truppen tragen müßte, nicht so groß sein würden als die Verluste, welche nach Umwandlung der Residenz in eine Festung zu befürchten sind. Diese Befürchtungen sind übertrieben. Ungeheuer aber sind vielleicht die Kosten dieser Befestigung. Denn es müssen nicht nur alle unmittelbar vor den Linien befindlichen Ortschaften, welche als Vorstädte betrachtet werden können und von denen einige 12—18,000 Einwohner und darüber zählen, in den Be- festigungsrahon einbezogen, sondern auch die umgebenden und dominirenden Höhen befestigt werden. Da letztere wieder von andern Bergen überhöht werden, so wird man auch diese mit Forts krönen müssen. Auch wo dies nicht der Fall, muß der Bcfestigungsgürtcl weit hinausgeschoben werden, um

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341805_349917
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341805_349917/376
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 26, 1867, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341805_349917/376>, abgerufen am 22.07.2024.