Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 26, 1867, I. Semester. II. Band.

Bild:
<< vorherige Seite

ihrem Wunsche nicht willfahren könnte, von dem Kaiser Aufklärung über jene
Befestigungsprojecte und Rücknahme der etwa schon gefaßten Beschlüsse erbitten
sollte. Die Deputation wurde von dem Minister und auch bei Hofe sehr gnädig
empfangen, konnte aber nur allgemeine Zusagen erhalten, welche in beliebiger Weise
zu deuten waren. Der sanguinische Sinn der Wiener legte die Worte in dem günstig¬
sten Sinn aus und beruhigte sich mit dem tröstlichen Gedanken, daß die Negierung
vielleicht Lust zu derartigen Erfindungen habe, daß es ihr aber an dem Nöthig¬
sten, am Gelde fehlen würde. Die Leute ahnten noch nicht, was ein östreichi¬
scher Finanzminister zu leisten vermag.

Die Sache schien abgethan, als noch vor dem Beginne des vorjährigen
Feldzuges Generalstab und Ingenieure eine eigenthümliche Thätigkeit in den
untern Theilen des Praters und auf dem linken Donauufcr entwickelten. Zuerst
sprach man von einer Reservearmee, welche auf dem Marchfelde zusammengezogen
werden sollte. Die alte Lieblingsidee des östreichischen Hofkriegsrathes seligen An¬
denkens, daß man nämlich stets nur einen Theil der Streitkräfte dem Feinde entgegen¬
stellen und so dem Gegner seine Aufgabe erleichtern müsse, schien dadurch verwi>kunst.
Es war also eine ganz natürliche Sache, daß man zur leichtern Verbindung der
auf dem Marchfelde lagernden Truppen mit den Werkstätten und Depots des
Arsenals und der simmeringer Etablissements über die kleinen Donauarme der
.Praterauen und über die Donau selbst mehre Brücken schlug, Dämme aufwarf
und Wege anlegte. Das Lager auf dem Marchfelde kam nicht zu Stande,
wohl aber wurden auf dem linken Donauufer einige Feldschanzen, anfänglich
von sehr bescheidenen Dimensionen, aufgeworfen. Es sei, so verkündeten die
officiellen Organe, nicht undenkbar, daß die östreichische Armee bei ihrem Vor¬
rücken gegen Berlin eine kleine Lücke offen lasse, durch welche ein kleines
Streifcorps der geschlagenen preußischen Armee sich durchschleichen, gegen Wien
vorbrechen und ganz unerwartet am linken Donauufer erscheinen könne. Da
nun die östreichische Armee sich eines so untergeordneten Zweckes wegen nicht
durch Entsendungen schwächen könne, man aber auch die Bewohner der Resi¬
denz vor der Gefahr eines feindlichen Handstreiches bewahren wolle, habe man
diese Vorkehrungen für nöthig gehalten. Glaubten auch Wenige an diesen Un¬
sinn, so konnte doch das Dasein der Schanzen nicht bezweifelt werden. Die
östreichische Armee drang nicht gegen Berlin vor. Bald kam der Schlag von
Königsgrätz. Daß man nun mit allem Eifer und Kostenaufwande die begonnenen
Schanzen verstärkte, neue Werke anlegte und so endlich einen riesigen Brückenkopf
von ganz respectabler Stärke errichtete, konnte unter diesen Verhältnissen nur
gebilligt werden.

Nach dem Friedensschlüsse wurden die Werke geräumt, die Pallisaden ent¬
fernt und die Brücken abgetragen. -- Nicht lange aber, und es verbreitete sich
das Gerücht, daß nunmehr eine vollständige Befestigung Wiens hergestellt


47 *

ihrem Wunsche nicht willfahren könnte, von dem Kaiser Aufklärung über jene
Befestigungsprojecte und Rücknahme der etwa schon gefaßten Beschlüsse erbitten
sollte. Die Deputation wurde von dem Minister und auch bei Hofe sehr gnädig
empfangen, konnte aber nur allgemeine Zusagen erhalten, welche in beliebiger Weise
zu deuten waren. Der sanguinische Sinn der Wiener legte die Worte in dem günstig¬
sten Sinn aus und beruhigte sich mit dem tröstlichen Gedanken, daß die Negierung
vielleicht Lust zu derartigen Erfindungen habe, daß es ihr aber an dem Nöthig¬
sten, am Gelde fehlen würde. Die Leute ahnten noch nicht, was ein östreichi¬
scher Finanzminister zu leisten vermag.

Die Sache schien abgethan, als noch vor dem Beginne des vorjährigen
Feldzuges Generalstab und Ingenieure eine eigenthümliche Thätigkeit in den
untern Theilen des Praters und auf dem linken Donauufcr entwickelten. Zuerst
sprach man von einer Reservearmee, welche auf dem Marchfelde zusammengezogen
werden sollte. Die alte Lieblingsidee des östreichischen Hofkriegsrathes seligen An¬
denkens, daß man nämlich stets nur einen Theil der Streitkräfte dem Feinde entgegen¬
stellen und so dem Gegner seine Aufgabe erleichtern müsse, schien dadurch verwi>kunst.
Es war also eine ganz natürliche Sache, daß man zur leichtern Verbindung der
auf dem Marchfelde lagernden Truppen mit den Werkstätten und Depots des
Arsenals und der simmeringer Etablissements über die kleinen Donauarme der
.Praterauen und über die Donau selbst mehre Brücken schlug, Dämme aufwarf
und Wege anlegte. Das Lager auf dem Marchfelde kam nicht zu Stande,
wohl aber wurden auf dem linken Donauufer einige Feldschanzen, anfänglich
von sehr bescheidenen Dimensionen, aufgeworfen. Es sei, so verkündeten die
officiellen Organe, nicht undenkbar, daß die östreichische Armee bei ihrem Vor¬
rücken gegen Berlin eine kleine Lücke offen lasse, durch welche ein kleines
Streifcorps der geschlagenen preußischen Armee sich durchschleichen, gegen Wien
vorbrechen und ganz unerwartet am linken Donauufer erscheinen könne. Da
nun die östreichische Armee sich eines so untergeordneten Zweckes wegen nicht
durch Entsendungen schwächen könne, man aber auch die Bewohner der Resi¬
denz vor der Gefahr eines feindlichen Handstreiches bewahren wolle, habe man
diese Vorkehrungen für nöthig gehalten. Glaubten auch Wenige an diesen Un¬
sinn, so konnte doch das Dasein der Schanzen nicht bezweifelt werden. Die
östreichische Armee drang nicht gegen Berlin vor. Bald kam der Schlag von
Königsgrätz. Daß man nun mit allem Eifer und Kostenaufwande die begonnenen
Schanzen verstärkte, neue Werke anlegte und so endlich einen riesigen Brückenkopf
von ganz respectabler Stärke errichtete, konnte unter diesen Verhältnissen nur
gebilligt werden.

Nach dem Friedensschlüsse wurden die Werke geräumt, die Pallisaden ent¬
fernt und die Brücken abgetragen. — Nicht lange aber, und es verbreitete sich
das Gerücht, daß nunmehr eine vollständige Befestigung Wiens hergestellt


47 *
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0375" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/191069"/>
          <p xml:id="ID_1271" prev="#ID_1270"> ihrem Wunsche nicht willfahren könnte, von dem Kaiser Aufklärung über jene<lb/>
Befestigungsprojecte und Rücknahme der etwa schon gefaßten Beschlüsse erbitten<lb/>
sollte. Die Deputation wurde von dem Minister und auch bei Hofe sehr gnädig<lb/>
empfangen, konnte aber nur allgemeine Zusagen erhalten, welche in beliebiger Weise<lb/>
zu deuten waren. Der sanguinische Sinn der Wiener legte die Worte in dem günstig¬<lb/>
sten Sinn aus und beruhigte sich mit dem tröstlichen Gedanken, daß die Negierung<lb/>
vielleicht Lust zu derartigen Erfindungen habe, daß es ihr aber an dem Nöthig¬<lb/>
sten, am Gelde fehlen würde. Die Leute ahnten noch nicht, was ein östreichi¬<lb/>
scher Finanzminister zu leisten vermag.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1272"> Die Sache schien abgethan, als noch vor dem Beginne des vorjährigen<lb/>
Feldzuges Generalstab und Ingenieure eine eigenthümliche Thätigkeit in den<lb/>
untern Theilen des Praters und auf dem linken Donauufcr entwickelten. Zuerst<lb/>
sprach man von einer Reservearmee, welche auf dem Marchfelde zusammengezogen<lb/>
werden sollte. Die alte Lieblingsidee des östreichischen Hofkriegsrathes seligen An¬<lb/>
denkens, daß man nämlich stets nur einen Theil der Streitkräfte dem Feinde entgegen¬<lb/>
stellen und so dem Gegner seine Aufgabe erleichtern müsse, schien dadurch verwi&gt;kunst.<lb/>
Es war also eine ganz natürliche Sache, daß man zur leichtern Verbindung der<lb/>
auf dem Marchfelde lagernden Truppen mit den Werkstätten und Depots des<lb/>
Arsenals und der simmeringer Etablissements über die kleinen Donauarme der<lb/>
.Praterauen und über die Donau selbst mehre Brücken schlug, Dämme aufwarf<lb/>
und Wege anlegte. Das Lager auf dem Marchfelde kam nicht zu Stande,<lb/>
wohl aber wurden auf dem linken Donauufer einige Feldschanzen, anfänglich<lb/>
von sehr bescheidenen Dimensionen, aufgeworfen.  Es sei, so verkündeten die<lb/>
officiellen Organe, nicht undenkbar, daß die östreichische Armee bei ihrem Vor¬<lb/>
rücken gegen Berlin eine kleine Lücke offen lasse, durch welche ein kleines<lb/>
Streifcorps der geschlagenen preußischen Armee sich durchschleichen, gegen Wien<lb/>
vorbrechen und ganz unerwartet am linken Donauufer erscheinen könne. Da<lb/>
nun die östreichische Armee sich eines so untergeordneten Zweckes wegen nicht<lb/>
durch Entsendungen schwächen könne, man aber auch die Bewohner der Resi¬<lb/>
denz vor der Gefahr eines feindlichen Handstreiches bewahren wolle, habe man<lb/>
diese Vorkehrungen für nöthig gehalten. Glaubten auch Wenige an diesen Un¬<lb/>
sinn, so konnte doch das Dasein der Schanzen nicht bezweifelt werden. Die<lb/>
östreichische Armee drang nicht gegen Berlin vor. Bald kam der Schlag von<lb/>
Königsgrätz. Daß man nun mit allem Eifer und Kostenaufwande die begonnenen<lb/>
Schanzen verstärkte, neue Werke anlegte und so endlich einen riesigen Brückenkopf<lb/>
von ganz respectabler Stärke errichtete, konnte unter diesen Verhältnissen nur<lb/>
gebilligt werden.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1273" next="#ID_1274"> Nach dem Friedensschlüsse wurden die Werke geräumt, die Pallisaden ent¬<lb/>
fernt und die Brücken abgetragen. &#x2014; Nicht lange aber, und es verbreitete sich<lb/>
das Gerücht, daß nunmehr eine vollständige Befestigung Wiens hergestellt</p><lb/>
          <fw type="sig" place="bottom"> 47 *</fw><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0375] ihrem Wunsche nicht willfahren könnte, von dem Kaiser Aufklärung über jene Befestigungsprojecte und Rücknahme der etwa schon gefaßten Beschlüsse erbitten sollte. Die Deputation wurde von dem Minister und auch bei Hofe sehr gnädig empfangen, konnte aber nur allgemeine Zusagen erhalten, welche in beliebiger Weise zu deuten waren. Der sanguinische Sinn der Wiener legte die Worte in dem günstig¬ sten Sinn aus und beruhigte sich mit dem tröstlichen Gedanken, daß die Negierung vielleicht Lust zu derartigen Erfindungen habe, daß es ihr aber an dem Nöthig¬ sten, am Gelde fehlen würde. Die Leute ahnten noch nicht, was ein östreichi¬ scher Finanzminister zu leisten vermag. Die Sache schien abgethan, als noch vor dem Beginne des vorjährigen Feldzuges Generalstab und Ingenieure eine eigenthümliche Thätigkeit in den untern Theilen des Praters und auf dem linken Donauufcr entwickelten. Zuerst sprach man von einer Reservearmee, welche auf dem Marchfelde zusammengezogen werden sollte. Die alte Lieblingsidee des östreichischen Hofkriegsrathes seligen An¬ denkens, daß man nämlich stets nur einen Theil der Streitkräfte dem Feinde entgegen¬ stellen und so dem Gegner seine Aufgabe erleichtern müsse, schien dadurch verwi>kunst. Es war also eine ganz natürliche Sache, daß man zur leichtern Verbindung der auf dem Marchfelde lagernden Truppen mit den Werkstätten und Depots des Arsenals und der simmeringer Etablissements über die kleinen Donauarme der .Praterauen und über die Donau selbst mehre Brücken schlug, Dämme aufwarf und Wege anlegte. Das Lager auf dem Marchfelde kam nicht zu Stande, wohl aber wurden auf dem linken Donauufer einige Feldschanzen, anfänglich von sehr bescheidenen Dimensionen, aufgeworfen. Es sei, so verkündeten die officiellen Organe, nicht undenkbar, daß die östreichische Armee bei ihrem Vor¬ rücken gegen Berlin eine kleine Lücke offen lasse, durch welche ein kleines Streifcorps der geschlagenen preußischen Armee sich durchschleichen, gegen Wien vorbrechen und ganz unerwartet am linken Donauufer erscheinen könne. Da nun die östreichische Armee sich eines so untergeordneten Zweckes wegen nicht durch Entsendungen schwächen könne, man aber auch die Bewohner der Resi¬ denz vor der Gefahr eines feindlichen Handstreiches bewahren wolle, habe man diese Vorkehrungen für nöthig gehalten. Glaubten auch Wenige an diesen Un¬ sinn, so konnte doch das Dasein der Schanzen nicht bezweifelt werden. Die östreichische Armee drang nicht gegen Berlin vor. Bald kam der Schlag von Königsgrätz. Daß man nun mit allem Eifer und Kostenaufwande die begonnenen Schanzen verstärkte, neue Werke anlegte und so endlich einen riesigen Brückenkopf von ganz respectabler Stärke errichtete, konnte unter diesen Verhältnissen nur gebilligt werden. Nach dem Friedensschlüsse wurden die Werke geräumt, die Pallisaden ent¬ fernt und die Brücken abgetragen. — Nicht lange aber, und es verbreitete sich das Gerücht, daß nunmehr eine vollständige Befestigung Wiens hergestellt 47 *

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341805_349917
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341805_349917/375
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 26, 1867, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341805_349917/375>, abgerufen am 22.07.2024.