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Die Grenzboten. Jg. 26, 1867, I. Semester. II. Band.

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thätigkeit gezwungen sind, weil die Maschinen ihrem Betriebe unentbehrlich, dort
ein müßig gehender Fabrikherr, welcher den Schlüssel zu der Werkstatt in der
Tasche hat. Es könne aber auch sein, daß die Arbeiter auf genossenschaftlichem
Wege selber zu produciren begonnen; dann habe man im besten Falle eine
Verlegung der alten Industrie unter namhaften Opfern und Schäden in andere
Umgebung, oder den Ruin beider Theile oder, wo der Besitzende den längeren
Athem habe, ein Zurückkehren der Brandung mit der Devise "mort an Capital!"
Alle diese Fährlichkeiten seien vor allem in Frankreich von acuten Charakter;
einerseits weil das französische Volk leicht erregbar sei, dann weil es geringe
Erziehung habe, endlich weil es ohne politische Schulung aufgewachsen sei. Es
komme der verhängnißvolle Dünkel hinzu: sich immer als die Apostel der Welt
zu betrachten, immer dem Wahn zu huldigen, man marschire an der Spitze
Gott weiß welcher Ideen. -- Der sorgenvolle schloß mit der Befürchtung: das
demnächst bevorstehende Erdbeben werde das Gedächtniß der großen Revolution
vollständig verdunkeln. -- Aehnlich wie diese beiden Vertreter sehr verschiedener
Anschauungen hörte ich hier von allen Seiten leidenschaftslose, verständige Leute
prophezeiten. Es ist doch seltsam, und an sich Symptom einer gewissen Kränk¬
lichkeit, wenn die Ueberzeugung von einer bevorstehenden Katastrophe, die man
ersehnt oder fürchtet, so allgemein wird.

Ich bekenne, dennoch nicht daran zu glauben. Zuvörderst was bedeuten
die Franzosen von 1867? -- Nie hat eine Regierung den politischen Sinn
einer Nation vollständiger eingeschläfert als die Louis Napoleons. In der That
brauchte sie dazu keiner sonderlichen Schlummertränke. Alles, was sie zu thun
hatte, war das suspendiren sämmtlicher politischer Freiheiten und das Isisse?-
aller aller übrigen Freiheiten. Der Kaiser begehrt den Ruhm, ein ehrbarer
Hausvater zu sein; über die kaiserliche Familie sind die Lästerzungen ziemlich
verstummt. Moralisirende Dichter wie Octave Feuillee werden in den Tuillerien
ausgezeichnet, der unartige Dumas Jeune war, sagt man. nahe daran les laves
der Mad. Aubray über: "la rög-Snöration as la vis conjugal-z en Graues"
der Kaiserin selber zuzueignen. Falsche Schritte wie die Begünstigung Theresas
und die Protection jenes andern Autors, welcher das sittsame Qucutier latin im
Parterre des Odeon ohnlängst so arg aufsässig machte, gehören zu den Ausnahmen ;
es sind Verstöße, welche im Auslande für gewichtiger gelten als in Paris selbst.
Aber unter dem Cultus persönlicher Ehrbarkeit birgt sich die politische Maxime
des kaiserlichen laisse^-aller und sie hat es dahin gebracht, daß Paris in Wirk¬
lichkeit jetzt am seidenen Schnürchen seiner Vergnügungen zu gängeln ist.

Und diese Umwandlung wird unmöglich eine vorübergehende sein, schon
deshalb nicht, weil sie einen monumentalen Untergrund hat. Nun die Haupt-
Boulevards fertig sind, begreift sich das Ungeheure der vorgenommenen Neu¬
gestaltung dieser schmutzigen, engbrüstigen Hauptstadt erst als eine völlige Ver>


thätigkeit gezwungen sind, weil die Maschinen ihrem Betriebe unentbehrlich, dort
ein müßig gehender Fabrikherr, welcher den Schlüssel zu der Werkstatt in der
Tasche hat. Es könne aber auch sein, daß die Arbeiter auf genossenschaftlichem
Wege selber zu produciren begonnen; dann habe man im besten Falle eine
Verlegung der alten Industrie unter namhaften Opfern und Schäden in andere
Umgebung, oder den Ruin beider Theile oder, wo der Besitzende den längeren
Athem habe, ein Zurückkehren der Brandung mit der Devise „mort an Capital!"
Alle diese Fährlichkeiten seien vor allem in Frankreich von acuten Charakter;
einerseits weil das französische Volk leicht erregbar sei, dann weil es geringe
Erziehung habe, endlich weil es ohne politische Schulung aufgewachsen sei. Es
komme der verhängnißvolle Dünkel hinzu: sich immer als die Apostel der Welt
zu betrachten, immer dem Wahn zu huldigen, man marschire an der Spitze
Gott weiß welcher Ideen. — Der sorgenvolle schloß mit der Befürchtung: das
demnächst bevorstehende Erdbeben werde das Gedächtniß der großen Revolution
vollständig verdunkeln. — Aehnlich wie diese beiden Vertreter sehr verschiedener
Anschauungen hörte ich hier von allen Seiten leidenschaftslose, verständige Leute
prophezeiten. Es ist doch seltsam, und an sich Symptom einer gewissen Kränk¬
lichkeit, wenn die Ueberzeugung von einer bevorstehenden Katastrophe, die man
ersehnt oder fürchtet, so allgemein wird.

Ich bekenne, dennoch nicht daran zu glauben. Zuvörderst was bedeuten
die Franzosen von 1867? — Nie hat eine Regierung den politischen Sinn
einer Nation vollständiger eingeschläfert als die Louis Napoleons. In der That
brauchte sie dazu keiner sonderlichen Schlummertränke. Alles, was sie zu thun
hatte, war das suspendiren sämmtlicher politischer Freiheiten und das Isisse?-
aller aller übrigen Freiheiten. Der Kaiser begehrt den Ruhm, ein ehrbarer
Hausvater zu sein; über die kaiserliche Familie sind die Lästerzungen ziemlich
verstummt. Moralisirende Dichter wie Octave Feuillee werden in den Tuillerien
ausgezeichnet, der unartige Dumas Jeune war, sagt man. nahe daran les laves
der Mad. Aubray über: „la rög-Snöration as la vis conjugal-z en Graues"
der Kaiserin selber zuzueignen. Falsche Schritte wie die Begünstigung Theresas
und die Protection jenes andern Autors, welcher das sittsame Qucutier latin im
Parterre des Odeon ohnlängst so arg aufsässig machte, gehören zu den Ausnahmen ;
es sind Verstöße, welche im Auslande für gewichtiger gelten als in Paris selbst.
Aber unter dem Cultus persönlicher Ehrbarkeit birgt sich die politische Maxime
des kaiserlichen laisse^-aller und sie hat es dahin gebracht, daß Paris in Wirk¬
lichkeit jetzt am seidenen Schnürchen seiner Vergnügungen zu gängeln ist.

Und diese Umwandlung wird unmöglich eine vorübergehende sein, schon
deshalb nicht, weil sie einen monumentalen Untergrund hat. Nun die Haupt-
Boulevards fertig sind, begreift sich das Ungeheure der vorgenommenen Neu¬
gestaltung dieser schmutzigen, engbrüstigen Hauptstadt erst als eine völlige Ver>


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 26, 1867, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341805_349917/348>, abgerufen am 22.07.2024.