Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 26, 1867, I. Semester. II. Band.

Bild:
<< vorherige Seite

Jetzt herrscht in diesen Kreisen ein entgegengesetztes Gefühl. Ich wieder,
hole die W?rde eines angesehenen Fabrikanten, dessen Blick eine gute Strecke
über seinen Zahltisch hinausreicht. Er blickte nicht viel anders in die nächste
Zukunft als jener Vertilger des Christenthums, nur d.iß er für alle Besitzenden
heraufziehende Gefahren im Auge hatte. Ein Wort von Thiers citircnd meinte
er: man stützt sich wohl auf Bajonnette, aber man setzt sich nicht auf sie. Der
Kaiser brauche daher noch Anderes als die Armee. Eine Zeit lang habe jeder
Ruhebedürftige zur Partei des Kaisers gehört. Diese zahlreiche Classe be¬
nöthige aber materiellen Wohlergehens und hier grade beginne es seit geraumer
Zeit zu fehlen. Die Freibandelsthevrien, im Princip von der Nation accep-
tirt, seien allzu rasch in die Wirklichkeit eingeführt worden. Man habe nicht
wie in England schrittweise, man habe sprungweise verfahren. Die Folge sei,
daß aller Orten Stockungen einträten. Es sei wahr: die Ein- und Ausfubr-
tabellen wiesen bedeutendere Summen auf als je zuvor, aber man täusche sich,
wenn man NouherS darauf basirte Berechnungen gelten lasse. Ein großer Theil
dieses vermeintlichen Umsatzes reducire sich bei näherer Prüfung auf bloßes Trans-
Niren, z. B. die scheinbar so enorm gestiegene ViehauSfuhr Frankreichs nack
England; das sei östreichisches und schweizer Vieh; fast der ganze Nutzen,
welchen dieser dem Anscheine nach so schwunghafte Handel abwerfe, beschränke
sich auf die Eisenbadnfracht von Basel bis Calais. Andere Ausfuhrziffern be¬
trafen Gegenstände, bei deren Fabrikation Geld zugesetzt werde, die man aber,
um nur Geld zu machen, auf die auswärtigen Märkte werfe. Das Letztere sei
leicht nachweisbar, und sei übrigens schlimmsten Falls als Uebergangsleiden zu
ertragen. Bedenklicher sei das Hinzutreten eines andern Moments: die Epi¬
demie der sogenannten Lohnsrage. In Zeiten allgemeiner Handelsstocknngen
den Lohn erhöhen, heiße so viel wie einen versiegenden Brunnen verschütten.
Ein Fabrikant habe häufig Ursachen, warum er Jahre lang einen verlustbringenden
Artikel nicht eingehen lasse, sei es daß derselbe andern, besser rcntirenden Ar¬
tikeln mit forthelfe, sei es daß ein völliges Stillstehen von Maschinen, in denen
große Werihsummeu steckten, allzu bedeutende Einbuße an Zinsen nach sich zöge;
sei es endlich, daß die Arbeiter für bessere Zeiten in Uebung erhalten oder
^- wenn humane Rücksichten in Betracht kämen -- ernährt werden müßten.
In solchen Krisen komme alles darauf an, daß Arbeiter und Arbeitgeber die
Verwandtschaft ihrer Interessen begriffen. Stachle man dagegen die Ersteren
aus, verleite man sie zu plötzlichem Arbeitvcrsagen, wohl M- zu höheren Lohn¬
forderungen, so beschwöre man große Gefahren herauf. Es könne sein, daß die
Fabrikanten sich zum Schließen ihrer Fabriken genöthigt sähen; dann habe man
den Gegensatz von Besitz und Armuth in der verletzendsten Form, -- hier ver¬
armende Hunderte oder Tausende; dort ein Einzelner, der immer noch im ver¬
hältnißmäßigen Ueberflusse fortlebt; hier rüstige Hände und Arme, die zur Un-


Jetzt herrscht in diesen Kreisen ein entgegengesetztes Gefühl. Ich wieder,
hole die W?rde eines angesehenen Fabrikanten, dessen Blick eine gute Strecke
über seinen Zahltisch hinausreicht. Er blickte nicht viel anders in die nächste
Zukunft als jener Vertilger des Christenthums, nur d.iß er für alle Besitzenden
heraufziehende Gefahren im Auge hatte. Ein Wort von Thiers citircnd meinte
er: man stützt sich wohl auf Bajonnette, aber man setzt sich nicht auf sie. Der
Kaiser brauche daher noch Anderes als die Armee. Eine Zeit lang habe jeder
Ruhebedürftige zur Partei des Kaisers gehört. Diese zahlreiche Classe be¬
nöthige aber materiellen Wohlergehens und hier grade beginne es seit geraumer
Zeit zu fehlen. Die Freibandelsthevrien, im Princip von der Nation accep-
tirt, seien allzu rasch in die Wirklichkeit eingeführt worden. Man habe nicht
wie in England schrittweise, man habe sprungweise verfahren. Die Folge sei,
daß aller Orten Stockungen einträten. Es sei wahr: die Ein- und Ausfubr-
tabellen wiesen bedeutendere Summen auf als je zuvor, aber man täusche sich,
wenn man NouherS darauf basirte Berechnungen gelten lasse. Ein großer Theil
dieses vermeintlichen Umsatzes reducire sich bei näherer Prüfung auf bloßes Trans-
Niren, z. B. die scheinbar so enorm gestiegene ViehauSfuhr Frankreichs nack
England; das sei östreichisches und schweizer Vieh; fast der ganze Nutzen,
welchen dieser dem Anscheine nach so schwunghafte Handel abwerfe, beschränke
sich auf die Eisenbadnfracht von Basel bis Calais. Andere Ausfuhrziffern be¬
trafen Gegenstände, bei deren Fabrikation Geld zugesetzt werde, die man aber,
um nur Geld zu machen, auf die auswärtigen Märkte werfe. Das Letztere sei
leicht nachweisbar, und sei übrigens schlimmsten Falls als Uebergangsleiden zu
ertragen. Bedenklicher sei das Hinzutreten eines andern Moments: die Epi¬
demie der sogenannten Lohnsrage. In Zeiten allgemeiner Handelsstocknngen
den Lohn erhöhen, heiße so viel wie einen versiegenden Brunnen verschütten.
Ein Fabrikant habe häufig Ursachen, warum er Jahre lang einen verlustbringenden
Artikel nicht eingehen lasse, sei es daß derselbe andern, besser rcntirenden Ar¬
tikeln mit forthelfe, sei es daß ein völliges Stillstehen von Maschinen, in denen
große Werihsummeu steckten, allzu bedeutende Einbuße an Zinsen nach sich zöge;
sei es endlich, daß die Arbeiter für bessere Zeiten in Uebung erhalten oder
^- wenn humane Rücksichten in Betracht kämen — ernährt werden müßten.
In solchen Krisen komme alles darauf an, daß Arbeiter und Arbeitgeber die
Verwandtschaft ihrer Interessen begriffen. Stachle man dagegen die Ersteren
aus, verleite man sie zu plötzlichem Arbeitvcrsagen, wohl M- zu höheren Lohn¬
forderungen, so beschwöre man große Gefahren herauf. Es könne sein, daß die
Fabrikanten sich zum Schließen ihrer Fabriken genöthigt sähen; dann habe man
den Gegensatz von Besitz und Armuth in der verletzendsten Form, — hier ver¬
armende Hunderte oder Tausende; dort ein Einzelner, der immer noch im ver¬
hältnißmäßigen Ueberflusse fortlebt; hier rüstige Hände und Arme, die zur Un-


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0347" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/191041"/>
          <p xml:id="ID_1193" next="#ID_1194"> Jetzt herrscht in diesen Kreisen ein entgegengesetztes Gefühl. Ich wieder,<lb/>
hole die W?rde eines angesehenen Fabrikanten, dessen Blick eine gute Strecke<lb/>
über seinen Zahltisch hinausreicht. Er blickte nicht viel anders in die nächste<lb/>
Zukunft als jener Vertilger des Christenthums, nur d.iß er für alle Besitzenden<lb/>
heraufziehende Gefahren im Auge hatte. Ein Wort von Thiers citircnd meinte<lb/>
er: man stützt sich wohl auf Bajonnette, aber man setzt sich nicht auf sie. Der<lb/>
Kaiser brauche daher noch Anderes als die Armee. Eine Zeit lang habe jeder<lb/>
Ruhebedürftige zur Partei des Kaisers gehört. Diese zahlreiche Classe be¬<lb/>
nöthige aber materiellen Wohlergehens und hier grade beginne es seit geraumer<lb/>
Zeit zu fehlen. Die Freibandelsthevrien, im Princip von der Nation accep-<lb/>
tirt, seien allzu rasch in die Wirklichkeit eingeführt worden. Man habe nicht<lb/>
wie in England schrittweise, man habe sprungweise verfahren. Die Folge sei,<lb/>
daß aller Orten Stockungen einträten. Es sei wahr: die Ein- und Ausfubr-<lb/>
tabellen wiesen bedeutendere Summen auf als je zuvor, aber man täusche sich,<lb/>
wenn man NouherS darauf basirte Berechnungen gelten lasse. Ein großer Theil<lb/>
dieses vermeintlichen Umsatzes reducire sich bei näherer Prüfung auf bloßes Trans-<lb/>
Niren, z. B. die scheinbar so enorm gestiegene ViehauSfuhr Frankreichs nack<lb/>
England; das sei östreichisches und schweizer Vieh; fast der ganze Nutzen,<lb/>
welchen dieser dem Anscheine nach so schwunghafte Handel abwerfe, beschränke<lb/>
sich auf die Eisenbadnfracht von Basel bis Calais. Andere Ausfuhrziffern be¬<lb/>
trafen Gegenstände, bei deren Fabrikation Geld zugesetzt werde, die man aber,<lb/>
um nur Geld zu machen, auf die auswärtigen Märkte werfe. Das Letztere sei<lb/>
leicht nachweisbar, und sei übrigens schlimmsten Falls als Uebergangsleiden zu<lb/>
ertragen. Bedenklicher sei das Hinzutreten eines andern Moments: die Epi¬<lb/>
demie der sogenannten Lohnsrage. In Zeiten allgemeiner Handelsstocknngen<lb/>
den Lohn erhöhen, heiße so viel wie einen versiegenden Brunnen verschütten.<lb/>
Ein Fabrikant habe häufig Ursachen, warum er Jahre lang einen verlustbringenden<lb/>
Artikel nicht eingehen lasse, sei es daß derselbe andern, besser rcntirenden Ar¬<lb/>
tikeln mit forthelfe, sei es daß ein völliges Stillstehen von Maschinen, in denen<lb/>
große Werihsummeu steckten, allzu bedeutende Einbuße an Zinsen nach sich zöge;<lb/>
sei es endlich, daß die Arbeiter für bessere Zeiten in Uebung erhalten oder<lb/>
^- wenn humane Rücksichten in Betracht kämen &#x2014; ernährt werden müßten.<lb/>
In solchen Krisen komme alles darauf an, daß Arbeiter und Arbeitgeber die<lb/>
Verwandtschaft ihrer Interessen begriffen. Stachle man dagegen die Ersteren<lb/>
aus, verleite man sie zu plötzlichem Arbeitvcrsagen, wohl M- zu höheren Lohn¬<lb/>
forderungen, so beschwöre man große Gefahren herauf. Es könne sein, daß die<lb/>
Fabrikanten sich zum Schließen ihrer Fabriken genöthigt sähen; dann habe man<lb/>
den Gegensatz von Besitz und Armuth in der verletzendsten Form, &#x2014; hier ver¬<lb/>
armende Hunderte oder Tausende; dort ein Einzelner, der immer noch im ver¬<lb/>
hältnißmäßigen Ueberflusse fortlebt; hier rüstige Hände und Arme, die zur Un-</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0347] Jetzt herrscht in diesen Kreisen ein entgegengesetztes Gefühl. Ich wieder, hole die W?rde eines angesehenen Fabrikanten, dessen Blick eine gute Strecke über seinen Zahltisch hinausreicht. Er blickte nicht viel anders in die nächste Zukunft als jener Vertilger des Christenthums, nur d.iß er für alle Besitzenden heraufziehende Gefahren im Auge hatte. Ein Wort von Thiers citircnd meinte er: man stützt sich wohl auf Bajonnette, aber man setzt sich nicht auf sie. Der Kaiser brauche daher noch Anderes als die Armee. Eine Zeit lang habe jeder Ruhebedürftige zur Partei des Kaisers gehört. Diese zahlreiche Classe be¬ nöthige aber materiellen Wohlergehens und hier grade beginne es seit geraumer Zeit zu fehlen. Die Freibandelsthevrien, im Princip von der Nation accep- tirt, seien allzu rasch in die Wirklichkeit eingeführt worden. Man habe nicht wie in England schrittweise, man habe sprungweise verfahren. Die Folge sei, daß aller Orten Stockungen einträten. Es sei wahr: die Ein- und Ausfubr- tabellen wiesen bedeutendere Summen auf als je zuvor, aber man täusche sich, wenn man NouherS darauf basirte Berechnungen gelten lasse. Ein großer Theil dieses vermeintlichen Umsatzes reducire sich bei näherer Prüfung auf bloßes Trans- Niren, z. B. die scheinbar so enorm gestiegene ViehauSfuhr Frankreichs nack England; das sei östreichisches und schweizer Vieh; fast der ganze Nutzen, welchen dieser dem Anscheine nach so schwunghafte Handel abwerfe, beschränke sich auf die Eisenbadnfracht von Basel bis Calais. Andere Ausfuhrziffern be¬ trafen Gegenstände, bei deren Fabrikation Geld zugesetzt werde, die man aber, um nur Geld zu machen, auf die auswärtigen Märkte werfe. Das Letztere sei leicht nachweisbar, und sei übrigens schlimmsten Falls als Uebergangsleiden zu ertragen. Bedenklicher sei das Hinzutreten eines andern Moments: die Epi¬ demie der sogenannten Lohnsrage. In Zeiten allgemeiner Handelsstocknngen den Lohn erhöhen, heiße so viel wie einen versiegenden Brunnen verschütten. Ein Fabrikant habe häufig Ursachen, warum er Jahre lang einen verlustbringenden Artikel nicht eingehen lasse, sei es daß derselbe andern, besser rcntirenden Ar¬ tikeln mit forthelfe, sei es daß ein völliges Stillstehen von Maschinen, in denen große Werihsummeu steckten, allzu bedeutende Einbuße an Zinsen nach sich zöge; sei es endlich, daß die Arbeiter für bessere Zeiten in Uebung erhalten oder ^- wenn humane Rücksichten in Betracht kämen — ernährt werden müßten. In solchen Krisen komme alles darauf an, daß Arbeiter und Arbeitgeber die Verwandtschaft ihrer Interessen begriffen. Stachle man dagegen die Ersteren aus, verleite man sie zu plötzlichem Arbeitvcrsagen, wohl M- zu höheren Lohn¬ forderungen, so beschwöre man große Gefahren herauf. Es könne sein, daß die Fabrikanten sich zum Schließen ihrer Fabriken genöthigt sähen; dann habe man den Gegensatz von Besitz und Armuth in der verletzendsten Form, — hier ver¬ armende Hunderte oder Tausende; dort ein Einzelner, der immer noch im ver¬ hältnißmäßigen Ueberflusse fortlebt; hier rüstige Hände und Arme, die zur Un-

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341805_349917
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341805_349917/347
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 26, 1867, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341805_349917/347>, abgerufen am 24.08.2024.