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Die Grenzboten. Jg. 26, 1867, I. Semester. II. Band.

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Persönlichkeit, welche in diesem GeWoge einen festen Punkt bildete, von welchem
aus eine bestimmte Geschmacksrichtung sich bilden konnte, die lebhafte Theil¬
nahme und das daraus hervorgehende Verständniß für Haydns Musik wurde
die Grundlage, auf der ein wahrhaftes Interesse für das. was deutsche Meister
in der Musik auf neuen Bahnen geleistet hatten, erwachsen und in weitere
Kreise eindringen konnte. Wenn Haydn auch schon als ein gemachter Mann
mit offener Anerkennung in London empfangen wurde, so konnte er doch die
über alle hervorragende Stellung nicht ohne Kampf erringen und behaupten,
der freilich wesentlich ohne ihn und unter ihm mit den niederen Kräften des
handwerksmäßigen Elwerbsintcrefscs geführt wurde. Ist er auch mit den
Kriegen des coin an roi und des coiir als la, roinö oder der Glucksten und
Piccinisten an dramatischem Interesse nicht entfernt zu vergleichen, wie denn
das londoner Concertpublicum von dem der pariser Oper so verschieden ist. als
Haydn und Pleyel, oder Salomon und Cramer von den Hauptkämpfern der
pariser Musik und Kritik -- so hat doch auch hier das Ringen der musikalischen
Parteien um den Ehrenplatz sein eigenthümliches Interesse. Von den allgemei¬
nen Verhältnissen der musikalischen Welt und ihrem Thun und Treiben in
London, wie von allen Persönlichkeiten, die nur irgendwie während des wieder¬
holten Aufenthalts Haydns in den Jahren 1791. 1792 und 1794, 1795 damit
in Berührung kommen, giebt Pohls Buch ebenso wie von Haydn selbst genaue
und zuverlässige, aus den Quellen geschöpfte Belehrung. Mit demselben treuen
Fleiß finden wir hier wieder alle Berichte der Zeitgenossen aus der Literatur.
Zeitschriften, Zeitungen und Programmen benutzt wie die Steinchen und Stift¬
chen eines Mosaikbildes. Die übersichtliche Angabe der von ihm benutzten
Quellen wird denen, die auf diesem Gebiet weiter arbeiten wollen, wo bis
jetzt jeder mit jeder Arbeit wie von vorn suchen und anfangen muß, sehr will-
kommne Fingerzeige bieten.

Was Haydns persönliche Verhältnisse betrifft, so standen ihm außer den
hübschen, von Ka raj an veröffentlichten Briefen, auch die bisher nur ungenügend
benutzten eigenhändigen Tagebücher Haydns während seines ersten Aufenthalts zu
Gebot, aus denen namentlich auch das eigenthümliche zarte Verhältniß zu Mrs.
Schröter im Detail bekannt wird. Leider sind die Tagebücher des zweiten
Aufenthalts nicht mehr vorhanden. Die Anlage und Behandlung entspricht
der ersten Abtheilung. Einleitungsweise werden die musikalischen Gesellschaften
und Institute, Opern und Concerte, soweit sie für diese Zeit in Betracht
kommen, besprochen, um den allgemeinen Hintergrund zu gewinnen. Eine Reihe
bedeutender Persönlichkeiten wird in der Beilage, alphabetisch geordnet, einzeln
in biographischen Artikeln näher charakterisirt. Vielleicht hätte der Verfasser
wohl gethan, noch mehre der in die zusammenhängende Hauptdarstellunz ein¬
gelegten Schilderungen in diese Beilage zu verweisen, so wie mancherlei, an sich


Persönlichkeit, welche in diesem GeWoge einen festen Punkt bildete, von welchem
aus eine bestimmte Geschmacksrichtung sich bilden konnte, die lebhafte Theil¬
nahme und das daraus hervorgehende Verständniß für Haydns Musik wurde
die Grundlage, auf der ein wahrhaftes Interesse für das. was deutsche Meister
in der Musik auf neuen Bahnen geleistet hatten, erwachsen und in weitere
Kreise eindringen konnte. Wenn Haydn auch schon als ein gemachter Mann
mit offener Anerkennung in London empfangen wurde, so konnte er doch die
über alle hervorragende Stellung nicht ohne Kampf erringen und behaupten,
der freilich wesentlich ohne ihn und unter ihm mit den niederen Kräften des
handwerksmäßigen Elwerbsintcrefscs geführt wurde. Ist er auch mit den
Kriegen des coin an roi und des coiir als la, roinö oder der Glucksten und
Piccinisten an dramatischem Interesse nicht entfernt zu vergleichen, wie denn
das londoner Concertpublicum von dem der pariser Oper so verschieden ist. als
Haydn und Pleyel, oder Salomon und Cramer von den Hauptkämpfern der
pariser Musik und Kritik — so hat doch auch hier das Ringen der musikalischen
Parteien um den Ehrenplatz sein eigenthümliches Interesse. Von den allgemei¬
nen Verhältnissen der musikalischen Welt und ihrem Thun und Treiben in
London, wie von allen Persönlichkeiten, die nur irgendwie während des wieder¬
holten Aufenthalts Haydns in den Jahren 1791. 1792 und 1794, 1795 damit
in Berührung kommen, giebt Pohls Buch ebenso wie von Haydn selbst genaue
und zuverlässige, aus den Quellen geschöpfte Belehrung. Mit demselben treuen
Fleiß finden wir hier wieder alle Berichte der Zeitgenossen aus der Literatur.
Zeitschriften, Zeitungen und Programmen benutzt wie die Steinchen und Stift¬
chen eines Mosaikbildes. Die übersichtliche Angabe der von ihm benutzten
Quellen wird denen, die auf diesem Gebiet weiter arbeiten wollen, wo bis
jetzt jeder mit jeder Arbeit wie von vorn suchen und anfangen muß, sehr will-
kommne Fingerzeige bieten.

Was Haydns persönliche Verhältnisse betrifft, so standen ihm außer den
hübschen, von Ka raj an veröffentlichten Briefen, auch die bisher nur ungenügend
benutzten eigenhändigen Tagebücher Haydns während seines ersten Aufenthalts zu
Gebot, aus denen namentlich auch das eigenthümliche zarte Verhältniß zu Mrs.
Schröter im Detail bekannt wird. Leider sind die Tagebücher des zweiten
Aufenthalts nicht mehr vorhanden. Die Anlage und Behandlung entspricht
der ersten Abtheilung. Einleitungsweise werden die musikalischen Gesellschaften
und Institute, Opern und Concerte, soweit sie für diese Zeit in Betracht
kommen, besprochen, um den allgemeinen Hintergrund zu gewinnen. Eine Reihe
bedeutender Persönlichkeiten wird in der Beilage, alphabetisch geordnet, einzeln
in biographischen Artikeln näher charakterisirt. Vielleicht hätte der Verfasser
wohl gethan, noch mehre der in die zusammenhängende Hauptdarstellunz ein¬
gelegten Schilderungen in diese Beilage zu verweisen, so wie mancherlei, an sich


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[0322] Persönlichkeit, welche in diesem GeWoge einen festen Punkt bildete, von welchem aus eine bestimmte Geschmacksrichtung sich bilden konnte, die lebhafte Theil¬ nahme und das daraus hervorgehende Verständniß für Haydns Musik wurde die Grundlage, auf der ein wahrhaftes Interesse für das. was deutsche Meister in der Musik auf neuen Bahnen geleistet hatten, erwachsen und in weitere Kreise eindringen konnte. Wenn Haydn auch schon als ein gemachter Mann mit offener Anerkennung in London empfangen wurde, so konnte er doch die über alle hervorragende Stellung nicht ohne Kampf erringen und behaupten, der freilich wesentlich ohne ihn und unter ihm mit den niederen Kräften des handwerksmäßigen Elwerbsintcrefscs geführt wurde. Ist er auch mit den Kriegen des coin an roi und des coiir als la, roinö oder der Glucksten und Piccinisten an dramatischem Interesse nicht entfernt zu vergleichen, wie denn das londoner Concertpublicum von dem der pariser Oper so verschieden ist. als Haydn und Pleyel, oder Salomon und Cramer von den Hauptkämpfern der pariser Musik und Kritik — so hat doch auch hier das Ringen der musikalischen Parteien um den Ehrenplatz sein eigenthümliches Interesse. Von den allgemei¬ nen Verhältnissen der musikalischen Welt und ihrem Thun und Treiben in London, wie von allen Persönlichkeiten, die nur irgendwie während des wieder¬ holten Aufenthalts Haydns in den Jahren 1791. 1792 und 1794, 1795 damit in Berührung kommen, giebt Pohls Buch ebenso wie von Haydn selbst genaue und zuverlässige, aus den Quellen geschöpfte Belehrung. Mit demselben treuen Fleiß finden wir hier wieder alle Berichte der Zeitgenossen aus der Literatur. Zeitschriften, Zeitungen und Programmen benutzt wie die Steinchen und Stift¬ chen eines Mosaikbildes. Die übersichtliche Angabe der von ihm benutzten Quellen wird denen, die auf diesem Gebiet weiter arbeiten wollen, wo bis jetzt jeder mit jeder Arbeit wie von vorn suchen und anfangen muß, sehr will- kommne Fingerzeige bieten. Was Haydns persönliche Verhältnisse betrifft, so standen ihm außer den hübschen, von Ka raj an veröffentlichten Briefen, auch die bisher nur ungenügend benutzten eigenhändigen Tagebücher Haydns während seines ersten Aufenthalts zu Gebot, aus denen namentlich auch das eigenthümliche zarte Verhältniß zu Mrs. Schröter im Detail bekannt wird. Leider sind die Tagebücher des zweiten Aufenthalts nicht mehr vorhanden. Die Anlage und Behandlung entspricht der ersten Abtheilung. Einleitungsweise werden die musikalischen Gesellschaften und Institute, Opern und Concerte, soweit sie für diese Zeit in Betracht kommen, besprochen, um den allgemeinen Hintergrund zu gewinnen. Eine Reihe bedeutender Persönlichkeiten wird in der Beilage, alphabetisch geordnet, einzeln in biographischen Artikeln näher charakterisirt. Vielleicht hätte der Verfasser wohl gethan, noch mehre der in die zusammenhängende Hauptdarstellunz ein¬ gelegten Schilderungen in diese Beilage zu verweisen, so wie mancherlei, an sich

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 26, 1867, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341805_349917/322>, abgerufen am 01.07.2024.