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Die Grenzboten. Jg. 26, 1867, I. Semester. II. Band.

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bcchnwesen einen höchst eigenthümlichen Charakter gegeben, der sich in andern
Ländern nicht wiederfindet. Der deutsche Mittel- und Kleinstaat, der keine rechte
politische Mission hatte und doch den bekannten gouvernementalen Thätigkeits¬
trieb in sich fühlte, verfiel, um dem letzteren Geniige zu leisten, darauf, die
Functionen der bürgerlichen und wirthschaftlichen Gesellschaft an sich zu reißen.
Unter diesen befand sich auch unter Andern die Aufgabe, Eisenbahnen zu bauen,
zu befahren und zu befrachten. Der Staat wurde Commissionär. Spediteur,
Kutscher -- freilich Kutscher mit Dampf. In einzelnen Staaten wurde sogar
das Princip der Staatsbahnen gradezu als allein seligmachendes wirthschaft-
liches, finanzielles und politisches Dogma aufgestellt, verkündigt und allgemein
geglaubt, sowohl von der Regierung als auch von der Volksvertretung. So
in Würtemberg unter dem Einfluß des ebenso gelehrten als unermüdlichen
Schutzzöllners Moritz Mohl. Dort gelang es kaum im Jahre 1862, zum ersten
Mal eine Privatbahn concessionirt zu erhalte". Bis dahin hatte man. auch
wenn die Unternehmer nicht das geringste Opfer aus Staatsmitteln verlangt
und alle Garantien geboten hatten, jede Concession verweigert, -- lediglich
par xrineipö -- "denn," sagte man, "der Stellt hat das ausschließliche
Privileg, Eisenbahnen zu bauen und zu betreiben."

Im Anfang wurde dem Staate sein Uebergriff in die wirthschaftliche Func-
tion der bürgerlichen Gesellschaft sogar noch gedankt und sehr hoch angeschlagen.
Man war ihm erkenntlich dafür, daß er Steuern hob, um Eisenbahnen zu bauen.
Der Capitalübcrschuß und der Unternehmungsgeist der bürgerlichen Gesellschaft
waren damals noch gering. Man glaubte klug und vorsichtig zu sein, wenn
man "Oestreicher" kaufte, statt sich an Eisenbahnbauten zu derheiligen. Siehe
Frankfurt! Jedenfalls konnte der Staat eher ein Risico unternehmen, hatte er
ja doch die solidarische Haftbarkeit aller Steuerpflichtigen hinter sich. Auch hatte
der Staat "internationale Fühlung". Der Unternehmungsgeist des Einzelnen
und der bürgerlichen Gesellschaft machte an den LandcSgrenzen Halt. Er
fürchtete jenseits derselben bei den Nachbarrcgierungen auf Schwierigkeiten zu
stoßen wegen der Fortsetzung des Unternehmens. Der "Staat" aber war ja
ein Mitschuldiger an der politischen Zerstückelung durch einige dreißig souveräne
Gebiete, er konnte mit der Nachbarregierung als Gleicher mit dem Gleichen,
als Staat mit dem Staate unterhandeln. Er war also offenbar der richtige
Mann, um als Geschäftsführer die Eisenbahnangelegenheiten der bürgerlichen
Gesellschaft in die Hand zu nehmen. So weit ging alles in tloribus. Es
waren die Flitterwochen jener Ehe, welche der Staat mit der Gesellschaft mittelst
des eisernen Ringes der Schicnengeleise abgeschlossen hatte. Sie dauerten
nicht lange.

Der Handel und die Industrie hatten bald zu bedauern, daß sie "Staats¬
hilfe" angenommen und damit ihre Seele -- die freie Concurrenz -- verkauft


bcchnwesen einen höchst eigenthümlichen Charakter gegeben, der sich in andern
Ländern nicht wiederfindet. Der deutsche Mittel- und Kleinstaat, der keine rechte
politische Mission hatte und doch den bekannten gouvernementalen Thätigkeits¬
trieb in sich fühlte, verfiel, um dem letzteren Geniige zu leisten, darauf, die
Functionen der bürgerlichen und wirthschaftlichen Gesellschaft an sich zu reißen.
Unter diesen befand sich auch unter Andern die Aufgabe, Eisenbahnen zu bauen,
zu befahren und zu befrachten. Der Staat wurde Commissionär. Spediteur,
Kutscher — freilich Kutscher mit Dampf. In einzelnen Staaten wurde sogar
das Princip der Staatsbahnen gradezu als allein seligmachendes wirthschaft-
liches, finanzielles und politisches Dogma aufgestellt, verkündigt und allgemein
geglaubt, sowohl von der Regierung als auch von der Volksvertretung. So
in Würtemberg unter dem Einfluß des ebenso gelehrten als unermüdlichen
Schutzzöllners Moritz Mohl. Dort gelang es kaum im Jahre 1862, zum ersten
Mal eine Privatbahn concessionirt zu erhalte». Bis dahin hatte man. auch
wenn die Unternehmer nicht das geringste Opfer aus Staatsmitteln verlangt
und alle Garantien geboten hatten, jede Concession verweigert, — lediglich
par xrineipö — „denn," sagte man, „der Stellt hat das ausschließliche
Privileg, Eisenbahnen zu bauen und zu betreiben."

Im Anfang wurde dem Staate sein Uebergriff in die wirthschaftliche Func-
tion der bürgerlichen Gesellschaft sogar noch gedankt und sehr hoch angeschlagen.
Man war ihm erkenntlich dafür, daß er Steuern hob, um Eisenbahnen zu bauen.
Der Capitalübcrschuß und der Unternehmungsgeist der bürgerlichen Gesellschaft
waren damals noch gering. Man glaubte klug und vorsichtig zu sein, wenn
man „Oestreicher" kaufte, statt sich an Eisenbahnbauten zu derheiligen. Siehe
Frankfurt! Jedenfalls konnte der Staat eher ein Risico unternehmen, hatte er
ja doch die solidarische Haftbarkeit aller Steuerpflichtigen hinter sich. Auch hatte
der Staat „internationale Fühlung". Der Unternehmungsgeist des Einzelnen
und der bürgerlichen Gesellschaft machte an den LandcSgrenzen Halt. Er
fürchtete jenseits derselben bei den Nachbarrcgierungen auf Schwierigkeiten zu
stoßen wegen der Fortsetzung des Unternehmens. Der „Staat" aber war ja
ein Mitschuldiger an der politischen Zerstückelung durch einige dreißig souveräne
Gebiete, er konnte mit der Nachbarregierung als Gleicher mit dem Gleichen,
als Staat mit dem Staate unterhandeln. Er war also offenbar der richtige
Mann, um als Geschäftsführer die Eisenbahnangelegenheiten der bürgerlichen
Gesellschaft in die Hand zu nehmen. So weit ging alles in tloribus. Es
waren die Flitterwochen jener Ehe, welche der Staat mit der Gesellschaft mittelst
des eisernen Ringes der Schicnengeleise abgeschlossen hatte. Sie dauerten
nicht lange.

Der Handel und die Industrie hatten bald zu bedauern, daß sie „Staats¬
hilfe" angenommen und damit ihre Seele — die freie Concurrenz — verkauft


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 26, 1867, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341805_349917/30>, abgerufen am 22.07.2024.