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Die Grenzboten. Jg. 26, 1867, I. Semester. II. Band.

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männische Thätigkeit das männliche Costüm bequem findet, daß sie darauf, als
Lothario zum Besuch bei ihrer Freundin ist, aus Koketterie gegen diesen in
ihren Mannskleidern auf einer Jagd erscheint.

M. Bernays will in der angeführten Stelle für "in der ich mich so gern
in dieser Welt sah" -- lesen "in dieser Weste". So stehe in der ersten
Aufgabe. Gegen die gewöhnliche Lesart führt Bernays zunächst Folgendes an.
Die Redensart: die Zeit, in der ich mich so gerne in dieser Welt sah, klinge
melancholisch, wcltschmerzlich, es würde darin liegen, daß Therese jetzt nur mit
Widerwillen in dieser Welt weile und dies passe nicht zu ihrem Charakter.

Ich gebe das Letzte zu, aber nicht das Erste. Wenn jemand von der Zeit
spricht, wo er das und das "so gerne" that, so läßt sich etwa daraus folgern,
daß er eS jetzt nicht mehr "so gerne" thut, aber nicht, daß er es mit Wider¬
willen thut. Bernays selbst läßt Therese von der Zeit sprechen, wo sie sich
so gerne in dieser Weste sah. Folgt vielleicht daraus, daß Therese sie jetzt
mit Widerwillen anzog? Doch gewiß nicht, denn sie hätte eS sonst nicht ge¬
than, da sie nicht dazu genöthigt war. Also liegt auch in Theresens Worten
"on der Zeit "wo sie sich so gerne in dieser Welt sah" -- kein Welischmerz,
sondern nur, daß sie sich jetzt nicht so glücklich fühlt als damals, wo sie Lo-
thanvs Geliebte und Braut war.

Weiler meint Bernays, die fraglichen Worte auch für sich betrachtet erreg¬
ten Bedenken. Ich citire wörtlich. "Therese sagt: Ich habe ein männliches
Iagerhabit angezogen; jetzt ist das freilich nur eine Maskerade; es gab aber
eine Zeit, da es nicht blos Maskeiade war: jene glücklichen Tage nämlich, da
ich Lothario durch Feld und Wald in diesem Anzüge zu begleiten Pflegte. In¬
dem ich Ihnen nun meine Lebensgeschichte und vor allem die Geschichte meines
Verhältnisses zu Lothario erzähle, will ich mjr jene entschwundene glückliche
Zeit, in der ich diesen Anzug so gerne trug, auf alle Weise vergegenwärtigen;
und deshalb habe ich dies Kleid auch jetzt angelegt. Es soll mich in jene
Zeit zurückversetzen, ebenso wie der Platz, auf den wir uns jetzt begeben
wollen. -- Man sieht, anstatt der Worte: "in der ich mich so gerne in dieser
Welt sah", muß man durchaus eine Hindeutung aus das männliche Habit er¬
warten; denn es handelt sich hier ja eben um die Vergegenwärtigung jener
Tage, da sie an Lotharios Seite in diesem Jäger kleid durch Wald und
Feld zu streichen Pflegte." -- Dieser Anforderung genüge nun die "Weste"
der ersten Ausgabe, Weste vertrete das ganze männliche Habit.

Vor allen Dingen scheint mir, der Kritiker habe es sich mit seiner Para¬
phrase zu bequem gemacht, indem er Theresen Verschiedenes in den Mund legt,
wovon sie an dieser Stelle noch kein Wort sagt und indem er ohne Weiteres
als nothwendig voraussetzt, daß in den controverser Worten eine Anspielung


männische Thätigkeit das männliche Costüm bequem findet, daß sie darauf, als
Lothario zum Besuch bei ihrer Freundin ist, aus Koketterie gegen diesen in
ihren Mannskleidern auf einer Jagd erscheint.

M. Bernays will in der angeführten Stelle für „in der ich mich so gern
in dieser Welt sah" — lesen „in dieser Weste". So stehe in der ersten
Aufgabe. Gegen die gewöhnliche Lesart führt Bernays zunächst Folgendes an.
Die Redensart: die Zeit, in der ich mich so gerne in dieser Welt sah, klinge
melancholisch, wcltschmerzlich, es würde darin liegen, daß Therese jetzt nur mit
Widerwillen in dieser Welt weile und dies passe nicht zu ihrem Charakter.

Ich gebe das Letzte zu, aber nicht das Erste. Wenn jemand von der Zeit
spricht, wo er das und das „so gerne" that, so läßt sich etwa daraus folgern,
daß er eS jetzt nicht mehr „so gerne" thut, aber nicht, daß er es mit Wider¬
willen thut. Bernays selbst läßt Therese von der Zeit sprechen, wo sie sich
so gerne in dieser Weste sah. Folgt vielleicht daraus, daß Therese sie jetzt
mit Widerwillen anzog? Doch gewiß nicht, denn sie hätte eS sonst nicht ge¬
than, da sie nicht dazu genöthigt war. Also liegt auch in Theresens Worten
»on der Zeit „wo sie sich so gerne in dieser Welt sah" — kein Welischmerz,
sondern nur, daß sie sich jetzt nicht so glücklich fühlt als damals, wo sie Lo-
thanvs Geliebte und Braut war.

Weiler meint Bernays, die fraglichen Worte auch für sich betrachtet erreg¬
ten Bedenken. Ich citire wörtlich. „Therese sagt: Ich habe ein männliches
Iagerhabit angezogen; jetzt ist das freilich nur eine Maskerade; es gab aber
eine Zeit, da es nicht blos Maskeiade war: jene glücklichen Tage nämlich, da
ich Lothario durch Feld und Wald in diesem Anzüge zu begleiten Pflegte. In¬
dem ich Ihnen nun meine Lebensgeschichte und vor allem die Geschichte meines
Verhältnisses zu Lothario erzähle, will ich mjr jene entschwundene glückliche
Zeit, in der ich diesen Anzug so gerne trug, auf alle Weise vergegenwärtigen;
und deshalb habe ich dies Kleid auch jetzt angelegt. Es soll mich in jene
Zeit zurückversetzen, ebenso wie der Platz, auf den wir uns jetzt begeben
wollen. — Man sieht, anstatt der Worte: „in der ich mich so gerne in dieser
Welt sah", muß man durchaus eine Hindeutung aus das männliche Habit er¬
warten; denn es handelt sich hier ja eben um die Vergegenwärtigung jener
Tage, da sie an Lotharios Seite in diesem Jäger kleid durch Wald und
Feld zu streichen Pflegte." — Dieser Anforderung genüge nun die „Weste"
der ersten Ausgabe, Weste vertrete das ganze männliche Habit.

Vor allen Dingen scheint mir, der Kritiker habe es sich mit seiner Para¬
phrase zu bequem gemacht, indem er Theresen Verschiedenes in den Mund legt,
wovon sie an dieser Stelle noch kein Wort sagt und indem er ohne Weiteres
als nothwendig voraussetzt, daß in den controverser Worten eine Anspielung


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 26, 1867, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341805_349917/242>, abgerufen am 03.07.2024.