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Die Grenzboten. Jg. 26, 1867, I. Semester. II. Band.

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bei dem besten Willen ihrer Regierungen können sie aus eigenem freien Entschlüsse
weder die allgemeine Wehrpflicht, noch die größeren Prästationen zur Erhaltung
eines Kontingents aufbringen, welches der Organisation des norddeutschen
Bundes völlig entspricht. Nur eine feste Verbindung mit Preußen und dem
Bunde vermag diese Landschaften davor zu bewahren, daß sie bei nächster Ge¬
legenheit den Oestreichern oder Franzosen anheimfallen, und diese Verbindung,
zunächst die militärische, wird den Regierungen und Völkern nicht verschafft
werden können, ohne eine gewisse freundschaftliche Mahnung des Nordens --
um die Sachlage zart auszudrücken. Aber jedes Uebergreifen Preußens und des
Bundes über die Fiction der Mainlinie wird Geschrei im Auslande erregen,
man wird darin eine Alteration der Verträge von Nikolsbmg finden. Unsere
Lage wird fast unerträglich, weil sie jede Woche den Nachbarn in Frankreich
und den Nachbarn jenseits der böhmischen Grenze Veranlassung giebt, uns ihre
Einwendungen und Proteste zuzusenden und gegen uns zu conspiriren. An
Handhaben dazu werden es weder einzelne Regierungen, noch einzelne Parteien
fehlen lassen.

Deshalb vermögen wir uns jetzt der Friedensaussicht noch nicht zu freuen.
Denn wir fürchten, auch wenn es uns gelingt, die luxcmburger Frage für einige
Jahre aus der Welt zu schaffen, es liegt doch in der Hand unserer Nachbarn
und Gegner, jeden Augenblick, der ihnen gelegen ist und uns ungelegen, ein
neues Slrcitobject aufzufinden.

Die Empfindung, daß diese Unsicherheit doch unsere nächste Zukunft belasten
wird, ist im Norden des Mains weit verbreitet, und daraus erklärt sich die
Stimmung, welche in den letzten Wochen überall im Privatverkehr und in der
Presse Ausdruck fand. Wir stehen gegen das Ausland durchaus auf der De¬
fensive, unsere Stellung in Luxemburg war uns durch europäische Sorge um
die Eroberungssucht Frankreichs gegeben, diese Sorge ist zur Zeit nicht kleiner
geworden, der Kaiser hat viel gethan, sie aufs Neue wach zu rufen, wir haben,
so lange man in Frankreich als Recht beansprucht, sich in die innern politischen
Umwälzungen der Nachbarländer einzumischen, keine Garantie, welche unsere
nächste Zukunft vor solcher uns unerträglichen Einmischung bewahrt. Daher bei
uns die Entschlossenheit, in dem gegenwärtigen Conflict mit Frankreich nichts
zu bewilligen, was irgendwie das deutsche Interesse beschädigen kann. In dieser
Festigkeit liegt auch Klugheit. Ein aufstrebender Staat darf sich nach keiner
Richtung schwach zeigen.

Wenn wir deshalb jetzt auf die Besetzung Luxemburgs verzichten müßten,
so dürften wir es nur thun, wenn wir dabei zugleich eine Sicherung gewonnen,
daß ein näherer Anschluß der Südstaaten an den norddeutschen Bund uns keiner


bei dem besten Willen ihrer Regierungen können sie aus eigenem freien Entschlüsse
weder die allgemeine Wehrpflicht, noch die größeren Prästationen zur Erhaltung
eines Kontingents aufbringen, welches der Organisation des norddeutschen
Bundes völlig entspricht. Nur eine feste Verbindung mit Preußen und dem
Bunde vermag diese Landschaften davor zu bewahren, daß sie bei nächster Ge¬
legenheit den Oestreichern oder Franzosen anheimfallen, und diese Verbindung,
zunächst die militärische, wird den Regierungen und Völkern nicht verschafft
werden können, ohne eine gewisse freundschaftliche Mahnung des Nordens —
um die Sachlage zart auszudrücken. Aber jedes Uebergreifen Preußens und des
Bundes über die Fiction der Mainlinie wird Geschrei im Auslande erregen,
man wird darin eine Alteration der Verträge von Nikolsbmg finden. Unsere
Lage wird fast unerträglich, weil sie jede Woche den Nachbarn in Frankreich
und den Nachbarn jenseits der böhmischen Grenze Veranlassung giebt, uns ihre
Einwendungen und Proteste zuzusenden und gegen uns zu conspiriren. An
Handhaben dazu werden es weder einzelne Regierungen, noch einzelne Parteien
fehlen lassen.

Deshalb vermögen wir uns jetzt der Friedensaussicht noch nicht zu freuen.
Denn wir fürchten, auch wenn es uns gelingt, die luxcmburger Frage für einige
Jahre aus der Welt zu schaffen, es liegt doch in der Hand unserer Nachbarn
und Gegner, jeden Augenblick, der ihnen gelegen ist und uns ungelegen, ein
neues Slrcitobject aufzufinden.

Die Empfindung, daß diese Unsicherheit doch unsere nächste Zukunft belasten
wird, ist im Norden des Mains weit verbreitet, und daraus erklärt sich die
Stimmung, welche in den letzten Wochen überall im Privatverkehr und in der
Presse Ausdruck fand. Wir stehen gegen das Ausland durchaus auf der De¬
fensive, unsere Stellung in Luxemburg war uns durch europäische Sorge um
die Eroberungssucht Frankreichs gegeben, diese Sorge ist zur Zeit nicht kleiner
geworden, der Kaiser hat viel gethan, sie aufs Neue wach zu rufen, wir haben,
so lange man in Frankreich als Recht beansprucht, sich in die innern politischen
Umwälzungen der Nachbarländer einzumischen, keine Garantie, welche unsere
nächste Zukunft vor solcher uns unerträglichen Einmischung bewahrt. Daher bei
uns die Entschlossenheit, in dem gegenwärtigen Conflict mit Frankreich nichts
zu bewilligen, was irgendwie das deutsche Interesse beschädigen kann. In dieser
Festigkeit liegt auch Klugheit. Ein aufstrebender Staat darf sich nach keiner
Richtung schwach zeigen.

Wenn wir deshalb jetzt auf die Besetzung Luxemburgs verzichten müßten,
so dürften wir es nur thun, wenn wir dabei zugleich eine Sicherung gewonnen,
daß ein näherer Anschluß der Südstaaten an den norddeutschen Bund uns keiner


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 26, 1867, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341805_349917/240>, abgerufen am 22.07.2024.