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Die Grenzboten. Jg. 26, 1867, I. Semester. II. Band.

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nicht mehr und mit dem ging ich denselben Tag gen Waise,°) da lag ich die
Nacht in dem Spital, denn ich hatte nicht viel Zehrung. Und ist zu wissen,
als ich von dem Kürschner gekommen war, da mußten ihm meine Freunde geben
7 S Heller, die hatte man ihm als Lehrgeld verheißen. Und als ich zu Watse
in dem Spital die Nacht gelegen, da stand ich des Morgens früh auf und
lief hinüber gen Bibrach, da kam ich von Stund an zu einem frommen Mann,
(der war gar reich und war ein Schuster gewesen, aber er trieb das Handwerk
nicht mehr) der wollte mich um Gottes willen behalten ein Jahr oder länger
und ich wollte in die Schule gehen, aber das Brod selber baben. Also ging
ich da in die Schule bei 14 Tagen und schämte mich zu betteln und wenn ich
aus der Schule ging, so kaufte ich einen Laib Brod um 1 Pfenning und schnitt
Stücklein daraus; und wenn ich heim kam so fragte mich mein Herr, ob ich in
der Stadt gewesen wäre nach Brod, so sprach ich: ja; da sprach er dann zu mir:
"man gibt gar gern hier den armen Schülern"; und so that ich bis ich nimmer
Pfenninge hatte. Ich mochte aber nicht betteln; und es sagte mir ein Schüler,
daß gar eine gute Schule zu Edinger") wäre und wollte ich mit ihm ziehen,
sollt ichs thun. Also ging ich mit ihm gen Edinger. da waren viele
Bachanten,'°) die liefen alle in die Stadt nach Brod. Da ich das sah, daß
die alten und die großen Schüler nach Brod sangen und gingen, da lies ich
mit ihnen und kam an: ich wollte mir selbvicrt genug gebettelt haben und
Schaale mich fürbaß nicht mehr und gewann mir genug, daß ich wohl zu essen hatte.

Als ich nun zu Edinger war und ging in die Schule bei einem halben
Jahr, da kam ein großer Student zu mir und sprach, ob ich mit ihm wollte
ziehen gen Balingen,") da wäre gar eine gute Schule, da wollt er mir helfen
zu einem guten Dienst, in dem man mir Belohnung gab und wollte mir helfen
und rathen. Und er brachte mich mit seinen guten Worten dahin, daß ick mit
ihm gen Balingen zog. das ist eine kleine Stadt, liegt 1 Meile von Hohcnzoll.
Und als wir nun gen Balingen kamen, da blieben wir da wohl ein Jahr: da
ging ich in die Schule und mein Gesell verließ mich und that mir weder Hilf
noch Nath. Also kam ich zu einem armen Mann, der war ein Schmid, genannt
Spilbenl), bei dem war ich eine Zeit und führte ihm einen Knaben in die
Schule. Darnach kam ich zu einem Gastgeber, der gab mir ganze Kost, daß
ich des Bettelns nicht bedürfte. Danach zog ich von dannen und kam gen
Ulm, da blieb ich ein ganzes Jahr und war bei einem Pfeifer, der war der
Stadt Pfeifer, genannt Häuflein von Bibrach, der that mir gütlich; ich führte
ihm einen Knaben in die Schule, der ist seither auch ein Pfeifer geworden;
ich bettelte das Brod.



°) Waldscc zwischen Rcwensburg und Biberach. ") An der Donau, oberhalb Ulm.
Fahrende Schüler, >" der Pennalsprache Bezeichnung der älteren S. ") Im würtem-
bergischen Schwcrrzwald.
28*

nicht mehr und mit dem ging ich denselben Tag gen Waise,°) da lag ich die
Nacht in dem Spital, denn ich hatte nicht viel Zehrung. Und ist zu wissen,
als ich von dem Kürschner gekommen war, da mußten ihm meine Freunde geben
7 S Heller, die hatte man ihm als Lehrgeld verheißen. Und als ich zu Watse
in dem Spital die Nacht gelegen, da stand ich des Morgens früh auf und
lief hinüber gen Bibrach, da kam ich von Stund an zu einem frommen Mann,
(der war gar reich und war ein Schuster gewesen, aber er trieb das Handwerk
nicht mehr) der wollte mich um Gottes willen behalten ein Jahr oder länger
und ich wollte in die Schule gehen, aber das Brod selber baben. Also ging
ich da in die Schule bei 14 Tagen und schämte mich zu betteln und wenn ich
aus der Schule ging, so kaufte ich einen Laib Brod um 1 Pfenning und schnitt
Stücklein daraus; und wenn ich heim kam so fragte mich mein Herr, ob ich in
der Stadt gewesen wäre nach Brod, so sprach ich: ja; da sprach er dann zu mir:
„man gibt gar gern hier den armen Schülern"; und so that ich bis ich nimmer
Pfenninge hatte. Ich mochte aber nicht betteln; und es sagte mir ein Schüler,
daß gar eine gute Schule zu Edinger") wäre und wollte ich mit ihm ziehen,
sollt ichs thun. Also ging ich mit ihm gen Edinger. da waren viele
Bachanten,'°) die liefen alle in die Stadt nach Brod. Da ich das sah, daß
die alten und die großen Schüler nach Brod sangen und gingen, da lies ich
mit ihnen und kam an: ich wollte mir selbvicrt genug gebettelt haben und
Schaale mich fürbaß nicht mehr und gewann mir genug, daß ich wohl zu essen hatte.

Als ich nun zu Edinger war und ging in die Schule bei einem halben
Jahr, da kam ein großer Student zu mir und sprach, ob ich mit ihm wollte
ziehen gen Balingen,") da wäre gar eine gute Schule, da wollt er mir helfen
zu einem guten Dienst, in dem man mir Belohnung gab und wollte mir helfen
und rathen. Und er brachte mich mit seinen guten Worten dahin, daß ick mit
ihm gen Balingen zog. das ist eine kleine Stadt, liegt 1 Meile von Hohcnzoll.
Und als wir nun gen Balingen kamen, da blieben wir da wohl ein Jahr: da
ging ich in die Schule und mein Gesell verließ mich und that mir weder Hilf
noch Nath. Also kam ich zu einem armen Mann, der war ein Schmid, genannt
Spilbenl), bei dem war ich eine Zeit und führte ihm einen Knaben in die
Schule. Darnach kam ich zu einem Gastgeber, der gab mir ganze Kost, daß
ich des Bettelns nicht bedürfte. Danach zog ich von dannen und kam gen
Ulm, da blieb ich ein ganzes Jahr und war bei einem Pfeifer, der war der
Stadt Pfeifer, genannt Häuflein von Bibrach, der that mir gütlich; ich führte
ihm einen Knaben in die Schule, der ist seither auch ein Pfeifer geworden;
ich bettelte das Brod.



°) Waldscc zwischen Rcwensburg und Biberach. ") An der Donau, oberhalb Ulm.
Fahrende Schüler, >» der Pennalsprache Bezeichnung der älteren S. ") Im würtem-
bergischen Schwcrrzwald.
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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 26, 1867, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341805_349917/223>, abgerufen am 22.07.2024.