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Die Grenzboten. Jg. 26, 1867, I. Semester. II. Band.

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Viel gehabt wie andere Junggesellen, und da mochte mir nichts zu Theil wer¬
den und war meiner niemand froh. Da hat es mich wahrlich sehr gereut, d.iß
ich nicht bei meinem Herrn geblieben war und ich erhob mich und lief zur
Stunde wieder in das Land hinein. Und da ich hinein kam, da kam ich gleich
wie der Schauer") an die Halme: mein Herr war todt und halte all sein Gut
seinen Kindern und andern Leuten vermacht, er hatte wohl vier Kinder, Also
war ich umsonst hinein gelaufen und hatte mir müde Beine gemacht und bekam
nicht eines Hellers Werth; mir geschah recht, wär ich bei ihm geblieben, ich
hätte alles bekommen.

AIs ich nun meine Beine umsonst müde gelaufen hatte, da machte ich mich
wieder aus die Füße und kam wieder gen Meiningen, da war der Wirth zuvor
daheim. °) Niemand war meiner froh, alle meine Freunde achteten nicht auf
mich. Also kam ich zu einem Biedermann, der war aus einem Dorf in die
Stadt gezogen, dem führte ich zwei Knaben in die Schule und bei dem blieb
ich ein Jahr und lehrte ihm die Knaben. Da ward ich einem Töchterlein hold
und ging je länger je ungerucr in die Schule und hintennach wollt ich gar
nimmer in die Schule gehn und wollt ein Handwerk lernen, denn meine
Schwester hatte einen Weber, der war ein frommer und reicher Weber. Da
ging ich aus und ein, und bedachte, wie sein Knecht ein gar gutes Leben hatte
und dasselbe Handwerk gefiel mir so wohl, daß ich es lernen wollte und ließ
ganz von der Schule. Mein Schwager hätte mich es auch gern gelehrt, aber
meine andern Freunde, die wollten minds nicht lernen lassen, da wollt ich ein
anderes Handwerk lernen. Also riethen mir meine Freunde, wenn ich denn
nicht anders wolle, daß ich das Kürschncrhandwerk") lerne, das wäre gar ein
gut und ehrbar Handwerk, dazu wollten sie mir rathen.

Also ließ ich mich überreden und zu einem Kürschner dingen zu Meiningen,
der hieß Meister Jos und ward seither ein Wächter auf dem Kempter Thor.
Und als ich nun bei dem Meister war bei 14 Tagen, da hatte ich sein genug,
es that mir im Rücken weh und war ihm nichts recht. Also ging ich zu meiner
Schwester und sagte ihr, ich wollte nicht mehr bei dem Kürschner bleiben, ich
wollt abermals wieder in die Schule gehn. Das sah meine Schwester gern und
auch ihr Mann. Denn mein Schwager hätte gern einen Pfaffen aus mir
gemacht.

Also erhob ich mich und nahm mein Schulbuch und bat meine Schwester
und ihren Mann um eine Zehrung; sie gaben mir 6 Schilling Heller'') und



4) d. h, Hagel. sprüchwörtlich i bedeutet etwa so viel als: ich kam zu spät.
<-) Verfertigung vou Kleidungsstücken aus Netzwerk. F^-, 7 Sgr. unseres Geldes. Die
Werthbercchnungcn sind in Silber unsrer ThaleNvährung ausgedrückt, nach Anleitung der vor¬
trefflichen numismatischen Abhandlung, die Professor Hegel S, 421--440 des V. Bandes der
Chroniken veröffentlicht hat.

Viel gehabt wie andere Junggesellen, und da mochte mir nichts zu Theil wer¬
den und war meiner niemand froh. Da hat es mich wahrlich sehr gereut, d.iß
ich nicht bei meinem Herrn geblieben war und ich erhob mich und lief zur
Stunde wieder in das Land hinein. Und da ich hinein kam, da kam ich gleich
wie der Schauer") an die Halme: mein Herr war todt und halte all sein Gut
seinen Kindern und andern Leuten vermacht, er hatte wohl vier Kinder, Also
war ich umsonst hinein gelaufen und hatte mir müde Beine gemacht und bekam
nicht eines Hellers Werth; mir geschah recht, wär ich bei ihm geblieben, ich
hätte alles bekommen.

AIs ich nun meine Beine umsonst müde gelaufen hatte, da machte ich mich
wieder aus die Füße und kam wieder gen Meiningen, da war der Wirth zuvor
daheim. °) Niemand war meiner froh, alle meine Freunde achteten nicht auf
mich. Also kam ich zu einem Biedermann, der war aus einem Dorf in die
Stadt gezogen, dem führte ich zwei Knaben in die Schule und bei dem blieb
ich ein Jahr und lehrte ihm die Knaben. Da ward ich einem Töchterlein hold
und ging je länger je ungerucr in die Schule und hintennach wollt ich gar
nimmer in die Schule gehn und wollt ein Handwerk lernen, denn meine
Schwester hatte einen Weber, der war ein frommer und reicher Weber. Da
ging ich aus und ein, und bedachte, wie sein Knecht ein gar gutes Leben hatte
und dasselbe Handwerk gefiel mir so wohl, daß ich es lernen wollte und ließ
ganz von der Schule. Mein Schwager hätte mich es auch gern gelehrt, aber
meine andern Freunde, die wollten minds nicht lernen lassen, da wollt ich ein
anderes Handwerk lernen. Also riethen mir meine Freunde, wenn ich denn
nicht anders wolle, daß ich das Kürschncrhandwerk") lerne, das wäre gar ein
gut und ehrbar Handwerk, dazu wollten sie mir rathen.

Also ließ ich mich überreden und zu einem Kürschner dingen zu Meiningen,
der hieß Meister Jos und ward seither ein Wächter auf dem Kempter Thor.
Und als ich nun bei dem Meister war bei 14 Tagen, da hatte ich sein genug,
es that mir im Rücken weh und war ihm nichts recht. Also ging ich zu meiner
Schwester und sagte ihr, ich wollte nicht mehr bei dem Kürschner bleiben, ich
wollt abermals wieder in die Schule gehn. Das sah meine Schwester gern und
auch ihr Mann. Denn mein Schwager hätte gern einen Pfaffen aus mir
gemacht.

Also erhob ich mich und nahm mein Schulbuch und bat meine Schwester
und ihren Mann um eine Zehrung; sie gaben mir 6 Schilling Heller'') und



4) d. h, Hagel. sprüchwörtlich i bedeutet etwa so viel als: ich kam zu spät.
<-) Verfertigung vou Kleidungsstücken aus Netzwerk. F^-, 7 Sgr. unseres Geldes. Die
Werthbercchnungcn sind in Silber unsrer ThaleNvährung ausgedrückt, nach Anleitung der vor¬
trefflichen numismatischen Abhandlung, die Professor Hegel S, 421—440 des V. Bandes der
Chroniken veröffentlicht hat.
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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 26, 1867, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341805_349917/222>, abgerufen am 22.07.2024.