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Die Grenzboten. Jg. 26, 1867, I. Semester. II. Band.

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bei welchem die entgegengesetzten Principien, die Contingentirung der Necrutcn-
zcchl, die Kasse zum Loskaufen, und das Bestreben alle Soldaten bei der Fahne
zu halten, die Kriegstüchtigkeit der Armee wesentlich beeinträchtigt haben.

Ein Heer aber, dessen Grundlagen so national sind wie die unseren, und
dessen Bildung so kunstvoll, verträgt schwer das gelegentliche Eingreifen der
Volksvertretung und seiner Organisation.

Der Grundsatz, daß die Volksvertretung, welche die Schnüre des Geld¬
beutels hält, alljährlich die Stärke der Armee zu bestimmen habe, wurde in
den älteren Verfassungen durchgeführt, in einer Zeit, wo im Frühjahr die
Werbetrommel das lose Volk unter die Fahne rief, zum Winter häusig das
geworbene Volk sich wieder zerstreute. An die Stelle der lockeren Landknechts.
Heere und der dauerhafteren Lohnsoldaten sind andere Principien der Ausbildung
und ein kunstvoll gegliederter Organismus eines Volksheeres getreten. Mit
diesem haben sich die Forderungen der Volksrepräsentation auszugleichen. Wenn
§ 86 (60) des amendirten Verfassungsentwurfs bestimmte, daß die Präsenzstärke
des Heeres für die Zeit nach 1871 im Wege der Bundesgesetzgebung normirt
werden mußte, so war allerdings die Frage berechtigt: Was soll dann geschehen,
wenn ein Gesetz nicht zu Stande kommt, d. h> wenn die drei Factoren der
Gesetzgebung: Reichstag. Bundesrath und Bundespräsidium sich nicht über den
Procentsatz vereinigen, z. B. weil Reichstag und Präsidium einer Meinung
sind, der Bundesrath aber einer andern, ein wohl denkbarer Fall, zumal nach
Zutritt der süddeutschen Staaten; -- soll dann die Armee aufhören? -- Man
antwortet uns, ein solches normirendes Gesetz muß eben zu Stande kommen,
so gut wie ein Etatgesetz. Aber auch ein Etatgesetz kommt zuweilen nicht zu
Stande, und der preußische Conflict kann sich überall wiederholen, wo das so-
genante Etatgesetz in Wirklichkeit so verkehrt als Gesetz behandelt wird, wie nach
unsrer constitutionellen Doctrin, während dasselbe in England thatsächlich eine
Dotation des Unterhauses für die Regierung ist. welcher nur aus Courtoisie
und aus formellen Gründen die Form eines Gesetzes gegeben wird. Es wird
ganz in der Ordnung sein, wenn der Reichstag bei seinen Geldbewilligungen all-
mälig in dieselbe bevorzugte Stellung einrückt; bei Bestimmungen aber über die
Stärke des Heeres den. Reichstag in ähnlicher Weise zum entscheidenden
Factor zu machen, halte ich für Unrecht, schon darum, weil die Heeresfrage zum
großen Theil eine technische Frage ist, und nach anderer Rücksicht von ge¬
nauem Einblick in die äußeren politischen Verhältnisse des Staates abhängt, und
Weil der Reichstag nach diesen beiden Seiten nicht die sachverständige Instanz ist.

Es ist sehr möglich, daß der Reichstag vollständig begreift, daß einige
Formationen zu reichlich bemessen sind, daß z. B. die Cavalerie wohl eine Ver¬
minderung erfahren könne, und daß, da jedes Reiterregiment ca. 300,000 Thlr.
jährlich kostet, schon allein darin nicht unbedeutende Ersparnisse bewirkt werden


bei welchem die entgegengesetzten Principien, die Contingentirung der Necrutcn-
zcchl, die Kasse zum Loskaufen, und das Bestreben alle Soldaten bei der Fahne
zu halten, die Kriegstüchtigkeit der Armee wesentlich beeinträchtigt haben.

Ein Heer aber, dessen Grundlagen so national sind wie die unseren, und
dessen Bildung so kunstvoll, verträgt schwer das gelegentliche Eingreifen der
Volksvertretung und seiner Organisation.

Der Grundsatz, daß die Volksvertretung, welche die Schnüre des Geld¬
beutels hält, alljährlich die Stärke der Armee zu bestimmen habe, wurde in
den älteren Verfassungen durchgeführt, in einer Zeit, wo im Frühjahr die
Werbetrommel das lose Volk unter die Fahne rief, zum Winter häusig das
geworbene Volk sich wieder zerstreute. An die Stelle der lockeren Landknechts.
Heere und der dauerhafteren Lohnsoldaten sind andere Principien der Ausbildung
und ein kunstvoll gegliederter Organismus eines Volksheeres getreten. Mit
diesem haben sich die Forderungen der Volksrepräsentation auszugleichen. Wenn
§ 86 (60) des amendirten Verfassungsentwurfs bestimmte, daß die Präsenzstärke
des Heeres für die Zeit nach 1871 im Wege der Bundesgesetzgebung normirt
werden mußte, so war allerdings die Frage berechtigt: Was soll dann geschehen,
wenn ein Gesetz nicht zu Stande kommt, d. h> wenn die drei Factoren der
Gesetzgebung: Reichstag. Bundesrath und Bundespräsidium sich nicht über den
Procentsatz vereinigen, z. B. weil Reichstag und Präsidium einer Meinung
sind, der Bundesrath aber einer andern, ein wohl denkbarer Fall, zumal nach
Zutritt der süddeutschen Staaten; — soll dann die Armee aufhören? — Man
antwortet uns, ein solches normirendes Gesetz muß eben zu Stande kommen,
so gut wie ein Etatgesetz. Aber auch ein Etatgesetz kommt zuweilen nicht zu
Stande, und der preußische Conflict kann sich überall wiederholen, wo das so-
genante Etatgesetz in Wirklichkeit so verkehrt als Gesetz behandelt wird, wie nach
unsrer constitutionellen Doctrin, während dasselbe in England thatsächlich eine
Dotation des Unterhauses für die Regierung ist. welcher nur aus Courtoisie
und aus formellen Gründen die Form eines Gesetzes gegeben wird. Es wird
ganz in der Ordnung sein, wenn der Reichstag bei seinen Geldbewilligungen all-
mälig in dieselbe bevorzugte Stellung einrückt; bei Bestimmungen aber über die
Stärke des Heeres den. Reichstag in ähnlicher Weise zum entscheidenden
Factor zu machen, halte ich für Unrecht, schon darum, weil die Heeresfrage zum
großen Theil eine technische Frage ist, und nach anderer Rücksicht von ge¬
nauem Einblick in die äußeren politischen Verhältnisse des Staates abhängt, und
Weil der Reichstag nach diesen beiden Seiten nicht die sachverständige Instanz ist.

Es ist sehr möglich, daß der Reichstag vollständig begreift, daß einige
Formationen zu reichlich bemessen sind, daß z. B. die Cavalerie wohl eine Ver¬
minderung erfahren könne, und daß, da jedes Reiterregiment ca. 300,000 Thlr.
jährlich kostet, schon allein darin nicht unbedeutende Ersparnisse bewirkt werden


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 26, 1867, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341805_349917/174>, abgerufen am 22.07.2024.