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Die Grenzboten. Jg. 26, 1867, I. Semester. II. Band.

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rath und dem Reichstag jährlich zur Entlastung Rechnung M legen", und
"in Fällen eines außerordentlichen Bedürfnisses können im Wege der Bundes¬
gesetzgebung die Aufnahme einer Anleihe sowie die Uebernahme einer Garantie
zu Lasten des Bundes erfolgen", -- mit einer hier bei Abänderungsvorschlägen
ganz ungewohnten Majorität angenommen.

Der Gang dieser Verhandlungen wurde vorigen Dienstag durch ein wich¬
tiges Intermezzo unterbrochen, das sich zwischen General- und Specialdebatte
einschob. Es war die Jnterpellation, welche die oberhessischen Abgeordneten
durch das Organ des Grafen Solms-Laubach an den Präsidenten der Bundcs-
commissare in Betreff der eventuellen Aufnahme des ganzen Großherzogthums
Hessen in den Bund richteten. Aus der Beantwortung dieser Fragen, zu welcher
sich Graf Bismarck sofort bereit erklärt hatte, scheint hervorzugehen, daß jene
Sprödigkeit, mit der im vorigen Herbst nach dem Friedensschluß solche auf den
Eintritt in den Bund gerichtete Wünsche der großh.erzoglichen Regierung
Seitens der preußischen aufgenommen resp, zurückgewiesen wurden, gegenwärtig
einer freundlicheren Bereitwilligkeit gewichen sind. Gäbe sich heute das gleiche
Verlangen Seitens der hessischen Regierung von neuem kund, so werde das
Bundespräsidium darüber sofort mit dem östreichischen Cabinet in Unterhand¬
lung treten, in wie weit die Auslegung der Süddeutschland betreffenden Para¬
graphen des prager Friedens diesen Eintritt des gesammten Großherzogthums
gestatte, und der Minister zweifle nicht an der Zustimmung jenes Paciscentcn
zu einer diesen Eintritt ermöglichenden Ausfassung. -- Diese Erklärung scheint
der großherzoglichen Negierung selbst ganz unerwartet gekommen zu sein, wenn
man die merkwürdig herzlich gegebenen, von wahrem Dankgefühl gegen Preußen
erfüllten Worte erwägt, welche nachträglich am Mittwoch der in der Dicnstag-
sitzung nicht anwesende hessische Bundescommissar v. Hoffmann in dieser An¬
gelegenheit zu hören gab.

Jener Tag brachte übrigens zum ersten Male während der bisherigen
Dauer des Reichstags das ungewohnte Schauspiel einer Abcndsitzung. In
dein von Gaslicht fast taghell erleuchteten Raume gestaltete sich das ganze Zu¬
sammensein ersichtlich behaglicher als während der Taaesstunoen. und da auch
der Gegenstand der Verhandlungen, der Abschnitt über die Schlichtung von
Streitigkeiten im Bunde, ohnehin zur Friedfertigkeit aufforderte, so zeichnete
sich diese abendliche Discussion durch eine seltene Versöhnlichkeit der allge¬
meinen Stimmung aus. Angriffe gegen die Beibehaltung des Wortlautes
des Regierungsentwurfs richteten sich nur auf wenige Punkte, welche er unter
andern aus dem preußischen Strafgesetz in das Bundesstrafgesetz hinüber-
genommen wissen will (so den bekannten "Haß- und Verachtungs-Paragraphen"),
oder gegen die Einsetzung eines als Staatsgerichtshof fungirenden obersten


rath und dem Reichstag jährlich zur Entlastung Rechnung M legen", und
„in Fällen eines außerordentlichen Bedürfnisses können im Wege der Bundes¬
gesetzgebung die Aufnahme einer Anleihe sowie die Uebernahme einer Garantie
zu Lasten des Bundes erfolgen", — mit einer hier bei Abänderungsvorschlägen
ganz ungewohnten Majorität angenommen.

Der Gang dieser Verhandlungen wurde vorigen Dienstag durch ein wich¬
tiges Intermezzo unterbrochen, das sich zwischen General- und Specialdebatte
einschob. Es war die Jnterpellation, welche die oberhessischen Abgeordneten
durch das Organ des Grafen Solms-Laubach an den Präsidenten der Bundcs-
commissare in Betreff der eventuellen Aufnahme des ganzen Großherzogthums
Hessen in den Bund richteten. Aus der Beantwortung dieser Fragen, zu welcher
sich Graf Bismarck sofort bereit erklärt hatte, scheint hervorzugehen, daß jene
Sprödigkeit, mit der im vorigen Herbst nach dem Friedensschluß solche auf den
Eintritt in den Bund gerichtete Wünsche der großh.erzoglichen Regierung
Seitens der preußischen aufgenommen resp, zurückgewiesen wurden, gegenwärtig
einer freundlicheren Bereitwilligkeit gewichen sind. Gäbe sich heute das gleiche
Verlangen Seitens der hessischen Regierung von neuem kund, so werde das
Bundespräsidium darüber sofort mit dem östreichischen Cabinet in Unterhand¬
lung treten, in wie weit die Auslegung der Süddeutschland betreffenden Para¬
graphen des prager Friedens diesen Eintritt des gesammten Großherzogthums
gestatte, und der Minister zweifle nicht an der Zustimmung jenes Paciscentcn
zu einer diesen Eintritt ermöglichenden Ausfassung. — Diese Erklärung scheint
der großherzoglichen Negierung selbst ganz unerwartet gekommen zu sein, wenn
man die merkwürdig herzlich gegebenen, von wahrem Dankgefühl gegen Preußen
erfüllten Worte erwägt, welche nachträglich am Mittwoch der in der Dicnstag-
sitzung nicht anwesende hessische Bundescommissar v. Hoffmann in dieser An¬
gelegenheit zu hören gab.

Jener Tag brachte übrigens zum ersten Male während der bisherigen
Dauer des Reichstags das ungewohnte Schauspiel einer Abcndsitzung. In
dein von Gaslicht fast taghell erleuchteten Raume gestaltete sich das ganze Zu¬
sammensein ersichtlich behaglicher als während der Taaesstunoen. und da auch
der Gegenstand der Verhandlungen, der Abschnitt über die Schlichtung von
Streitigkeiten im Bunde, ohnehin zur Friedfertigkeit aufforderte, so zeichnete
sich diese abendliche Discussion durch eine seltene Versöhnlichkeit der allge¬
meinen Stimmung aus. Angriffe gegen die Beibehaltung des Wortlautes
des Regierungsentwurfs richteten sich nur auf wenige Punkte, welche er unter
andern aus dem preußischen Strafgesetz in das Bundesstrafgesetz hinüber-
genommen wissen will (so den bekannten „Haß- und Verachtungs-Paragraphen"),
oder gegen die Einsetzung eines als Staatsgerichtshof fungirenden obersten


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 26, 1867, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341805_349917/158>, abgerufen am 22.07.2024.