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Die Grenzboten. Jg. 26, 1867, I. Semester. II. Band.

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geborenen und berechtigten Führern des Volks zuerst beschütten werden und
das Pole säumte nicht ihnen zu folgen.

Zu Hause gab es gleichfalls meist ruhige Tage, wenigsten" im Vergleich
mit der Art der Väter und Großväter. Das Regieren ließ man sich nicht
sauer werden, denn aller Orts flössen jetzt die Schreiber und Schoßer und
Kanzleiverwandte wie Pilze aus der Erde und nahmen mit den verordneten
Räthen in ihren Amtsstuben und vor bedenklich anwachsenden Acienregistranden
das Geschäft des Nechtsprechens, der Verwaltung und Polizei allein auf ihre
Schultern. Der regierende Herr ließ sich etwa alle Wochen einmal von seinem
Kanzler einen unterthänigsten Portrag thun und setzte dann -- ärgerlich über
die Schererei -- die schweren und plumpen Züge des allergnädigsten Hand¬
zeichens unter die bogenlangcn Urtel oder allerhöchsten Mandate. Noch immer
hatte sich so viel von der alten Autonomie auch des kleinstes Nestes, nicht blos
eines solchen, das den Namen "Stadt" trug, weil es seine Viehställe und
Scheuern hinter steinernen Mauern barg, sondern auch der einzelnen gefreiten
Höfe und Häuser erhalten, das; es im Grunde sehr wenig zu regiren gab und
die fürstlichen Diener und Räthe, weil sie doch einmal zum Regieren da waren,
ordentlich nach Stoff dazu auf die Jagd gehen mußten, wobei sie fortwährend
an jenen aitbercchtigien Selbständigkeiten anstießen. Hohe Politik gab es frei¬
lich die Fülle und die deutschen Fürsten hätten darin nicht blos Material zur
Unterhaltung in ihrer reichlichen Mußezeit, sondern fortwährende Haken und
Dornen bei jedem Schritt und Tritt finden tonnen, wenn nicht ihr Phlegma
jede gefährliche und lästige Emotion ihnen untersagt hätte. Denn im Reiche
selbst wogte der Kampf der beiden großen Parteien oder richtiger Systeme, des
katholischen und des protestantischen, noH immer unentschieden auf und ab.
Noch war es seit jenem Waffenstillstand im sogenannte" Religivnsfrieden zu
keinem energischen Zusammenstoß der feindlichen Massen gekommen: sie operirten
verdeckt, oft schien es sogar, als operirten sie nicht, sondern hätten es, des
fruchtlosen Scheintricges müde, vorgezogen, die Waffen ganz niederzulegen.
Aber es schien auch nur. und jedermann im Reiche wußte, daß sich träge und
schwerfällig, aber sicher und unaufhaltsam eine ungeheure Katastrophe vorbereitete,
an der jeder so oder so iheilnehmen müsse, wenn auch noch so widerwillig.
Denn jeder, der etwas zu verlieren hatte, trug sich mit der Ahnung, daß dann
sehr viel verloren werden könnte und die deutschen Fürsten vor allem hatten
viel zu verlieren. Darum grollten sie auch aufrichtig über die verrückten
Hetzereien der Jesuiten, über die spanischen Tücken und Machinationen, und
Katholische wie Protestantische begegneten sich in dem Gefühle, daß es viel
besser wäre, wenn .ille diese Händel abgethan wären. Aber diese Händel waren
zu "geschwinde" und die deutschen fürstlichen Geister und Eharaltere der Zeit
zu langsam, als daß sie ihrer hätten Herr werden können. Sie mußten sie


geborenen und berechtigten Führern des Volks zuerst beschütten werden und
das Pole säumte nicht ihnen zu folgen.

Zu Hause gab es gleichfalls meist ruhige Tage, wenigsten« im Vergleich
mit der Art der Väter und Großväter. Das Regieren ließ man sich nicht
sauer werden, denn aller Orts flössen jetzt die Schreiber und Schoßer und
Kanzleiverwandte wie Pilze aus der Erde und nahmen mit den verordneten
Räthen in ihren Amtsstuben und vor bedenklich anwachsenden Acienregistranden
das Geschäft des Nechtsprechens, der Verwaltung und Polizei allein auf ihre
Schultern. Der regierende Herr ließ sich etwa alle Wochen einmal von seinem
Kanzler einen unterthänigsten Portrag thun und setzte dann — ärgerlich über
die Schererei — die schweren und plumpen Züge des allergnädigsten Hand¬
zeichens unter die bogenlangcn Urtel oder allerhöchsten Mandate. Noch immer
hatte sich so viel von der alten Autonomie auch des kleinstes Nestes, nicht blos
eines solchen, das den Namen „Stadt" trug, weil es seine Viehställe und
Scheuern hinter steinernen Mauern barg, sondern auch der einzelnen gefreiten
Höfe und Häuser erhalten, das; es im Grunde sehr wenig zu regiren gab und
die fürstlichen Diener und Räthe, weil sie doch einmal zum Regieren da waren,
ordentlich nach Stoff dazu auf die Jagd gehen mußten, wobei sie fortwährend
an jenen aitbercchtigien Selbständigkeiten anstießen. Hohe Politik gab es frei¬
lich die Fülle und die deutschen Fürsten hätten darin nicht blos Material zur
Unterhaltung in ihrer reichlichen Mußezeit, sondern fortwährende Haken und
Dornen bei jedem Schritt und Tritt finden tonnen, wenn nicht ihr Phlegma
jede gefährliche und lästige Emotion ihnen untersagt hätte. Denn im Reiche
selbst wogte der Kampf der beiden großen Parteien oder richtiger Systeme, des
katholischen und des protestantischen, noH immer unentschieden auf und ab.
Noch war es seit jenem Waffenstillstand im sogenannte» Religivnsfrieden zu
keinem energischen Zusammenstoß der feindlichen Massen gekommen: sie operirten
verdeckt, oft schien es sogar, als operirten sie nicht, sondern hätten es, des
fruchtlosen Scheintricges müde, vorgezogen, die Waffen ganz niederzulegen.
Aber es schien auch nur. und jedermann im Reiche wußte, daß sich träge und
schwerfällig, aber sicher und unaufhaltsam eine ungeheure Katastrophe vorbereitete,
an der jeder so oder so iheilnehmen müsse, wenn auch noch so widerwillig.
Denn jeder, der etwas zu verlieren hatte, trug sich mit der Ahnung, daß dann
sehr viel verloren werden könnte und die deutschen Fürsten vor allem hatten
viel zu verlieren. Darum grollten sie auch aufrichtig über die verrückten
Hetzereien der Jesuiten, über die spanischen Tücken und Machinationen, und
Katholische wie Protestantische begegneten sich in dem Gefühle, daß es viel
besser wäre, wenn .ille diese Händel abgethan wären. Aber diese Händel waren
zu „geschwinde" und die deutschen fürstlichen Geister und Eharaltere der Zeit
zu langsam, als daß sie ihrer hätten Herr werden können. Sie mußten sie


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 26, 1867, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341805_349917/10>, abgerufen am 22.07.2024.