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Die Grenzboten. Jg. 26, 1867, I. Semester. II. Band.

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gewähren lassen, doch kümmerten sie sich so wenig wie möglich um das Einzelne
daraus und ließen dafür ihre Räthe und Ambassadoren sorgen, wie sie auch für
die laufenden Reichsgesckäfte, deren es bei einem so complicirten und ungefügen
Organismus so viele und so dringende gab, immer gute oder vielmehr keine
Zeit und höchstens hoffnungsreiche oder, je nachdem es war, klägliche Redens¬
arten hatten, mit denen der Kaiser, wenn er könnte, den Türken abwehren,
Ruh und Frieden unter den Confessionen erhalten, die Neichspolizei führen,
kurz alles das thun mochte, was unerläßlich gethan werden mußte und wozu
doch niemand einen Pfennig Geld oder einen Augenblick Zeit übrig zu haben
behauptete. Freilich konnten sich diese Fürsten der von außen her ziemlich auf¬
dringlich sie angehenden europäischen Politik noch weniger erwehren, als der
Sorge um die Reichssachen, aber auch dieses ewige Werben und Suchen der
fremden Großmächte. Spaniens, Frankreichs, Englands, der Niederlande, Polens
und Schwedens, der Venetianer und des Papstes, die alle viel mehr von der
Wichtigkeit Deutschlands für die europäischen Dinge überzeugt waren, als die
Vertreter des deutschen Volkes nur irgend zu begreifen vermochten, brachte diese
nicht aus ihrer Gemüthsruhe. Man entrirte dahin und dorthin Allianzen, gab
schöne Versprechungen, empfing andere und noch lieber stattliche Geschenke und
Icchrgehalte, wie es die Väter und Großväter auch gethan hatten, aber man that
eigentlich nichts, als daß man von neuem schöne Versprechungen ' für blankes
Geld zurückgab und allenfalls unter der Hand den Werbungen von Kriegs¬
volk für fremde Dienste Vorschub leistete, trotz aller abmahnenden kaiserlichen
Mandate.

Wenn es noch irgendetwas gab, was den Geist dieser Herren ernstlich
beschäftigte, so war es der rechte Glaube, je nackten man ihn verstand, hier
lutherisch, dort calvinisch und an einem dritten Orte katholisch. Aber auch dies
Interesse war doch mehr ein traditionelles, von den Vätern ererbtes, so gut
wie Land und Leute und das Herrscherreckt von Gottes Gnaden und darum
auch ebenso zäh festgehalten. Aus sich selbst heraus war dieser Menschenschlag
keines religiösen Elan mehr fähig, wie ihn einst ein Landgraf Philipp von
Hessen, ja selbst der pblcgmatisckste aller Phlegmatiker, ein Johann Friedrich
von Sachsen entwickelt hatte. Wäre das Gewissen nickt täglich durch die
argusäugigen Zivnswächter scharf vurUirt und bei jedem Verdacht der Lauigkeit
im rechten Glauben in aller Unterthänigkeit doch unerbittlich aufgestachelt wor¬
den, so hätte schon das damalige Deutschland unter seinen fürstlichen Herren
eine Menge Freidenker aus Jndifferentismus und Bequemlichkeit erzeugt, wie
es deren in den mittleren und unteren Ständen massenweise gab. So aber
brachten die immer wieder aufgestachelter Controversen, die Kctzcrriecherei und
ihr Gegenstück, die endlosen Versuche, durch freien Gedankenaustausch die strei¬
tenden Kirchen zu vereinen, eine gewisse Abweckselung in die Monotonie des


gewähren lassen, doch kümmerten sie sich so wenig wie möglich um das Einzelne
daraus und ließen dafür ihre Räthe und Ambassadoren sorgen, wie sie auch für
die laufenden Reichsgesckäfte, deren es bei einem so complicirten und ungefügen
Organismus so viele und so dringende gab, immer gute oder vielmehr keine
Zeit und höchstens hoffnungsreiche oder, je nachdem es war, klägliche Redens¬
arten hatten, mit denen der Kaiser, wenn er könnte, den Türken abwehren,
Ruh und Frieden unter den Confessionen erhalten, die Neichspolizei führen,
kurz alles das thun mochte, was unerläßlich gethan werden mußte und wozu
doch niemand einen Pfennig Geld oder einen Augenblick Zeit übrig zu haben
behauptete. Freilich konnten sich diese Fürsten der von außen her ziemlich auf¬
dringlich sie angehenden europäischen Politik noch weniger erwehren, als der
Sorge um die Reichssachen, aber auch dieses ewige Werben und Suchen der
fremden Großmächte. Spaniens, Frankreichs, Englands, der Niederlande, Polens
und Schwedens, der Venetianer und des Papstes, die alle viel mehr von der
Wichtigkeit Deutschlands für die europäischen Dinge überzeugt waren, als die
Vertreter des deutschen Volkes nur irgend zu begreifen vermochten, brachte diese
nicht aus ihrer Gemüthsruhe. Man entrirte dahin und dorthin Allianzen, gab
schöne Versprechungen, empfing andere und noch lieber stattliche Geschenke und
Icchrgehalte, wie es die Väter und Großväter auch gethan hatten, aber man that
eigentlich nichts, als daß man von neuem schöne Versprechungen ' für blankes
Geld zurückgab und allenfalls unter der Hand den Werbungen von Kriegs¬
volk für fremde Dienste Vorschub leistete, trotz aller abmahnenden kaiserlichen
Mandate.

Wenn es noch irgendetwas gab, was den Geist dieser Herren ernstlich
beschäftigte, so war es der rechte Glaube, je nackten man ihn verstand, hier
lutherisch, dort calvinisch und an einem dritten Orte katholisch. Aber auch dies
Interesse war doch mehr ein traditionelles, von den Vätern ererbtes, so gut
wie Land und Leute und das Herrscherreckt von Gottes Gnaden und darum
auch ebenso zäh festgehalten. Aus sich selbst heraus war dieser Menschenschlag
keines religiösen Elan mehr fähig, wie ihn einst ein Landgraf Philipp von
Hessen, ja selbst der pblcgmatisckste aller Phlegmatiker, ein Johann Friedrich
von Sachsen entwickelt hatte. Wäre das Gewissen nickt täglich durch die
argusäugigen Zivnswächter scharf vurUirt und bei jedem Verdacht der Lauigkeit
im rechten Glauben in aller Unterthänigkeit doch unerbittlich aufgestachelt wor¬
den, so hätte schon das damalige Deutschland unter seinen fürstlichen Herren
eine Menge Freidenker aus Jndifferentismus und Bequemlichkeit erzeugt, wie
es deren in den mittleren und unteren Ständen massenweise gab. So aber
brachten die immer wieder aufgestachelter Controversen, die Kctzcrriecherei und
ihr Gegenstück, die endlosen Versuche, durch freien Gedankenaustausch die strei¬
tenden Kirchen zu vereinen, eine gewisse Abweckselung in die Monotonie des


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 26, 1867, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341805_349917/11>, abgerufen am 22.07.2024.