Die Grenzboten. Jg. 26, 1867, II. Semester. I. Band.überreizten nationalen Selbstgefühls versteht man indessen zur Noth noch, wie Herr Hammerich, der die selbständige Bedeutung der nordischen Cultur ins überreizten nationalen Selbstgefühls versteht man indessen zur Noth noch, wie Herr Hammerich, der die selbständige Bedeutung der nordischen Cultur ins <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0071" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/191301"/> <p xml:id="ID_155" prev="#ID_154"> überreizten nationalen Selbstgefühls versteht man indessen zur Noth noch, wie<lb/> sie sich haben erzeugen können. Was soll man aber sagen, wenn man Herrn Ham«<lb/> merich ins Einzelne gehen und z. B. rundweg behaupten hört, nur Dänemark besitze<lb/> Baucrnhochschulcn, d. h. auf gut Deutsch Ackerbauschulen? Dänemark habe<lb/> derselben gegenwärtig ein halbes Hundert und Norwegen wenigstens einen An¬<lb/> fang, im übrigen Europa jedoch rühre sich noch nichts? Wenn die Einbildung<lb/> auf dem Grunde solcher Unwissenheit ruht, so hört auch bei ihren disputableren<lb/> Aussprüchen die Möglichkeit vernünftigen Streites auf.</p><lb/> <p xml:id="ID_156" next="#ID_157"> Herr Hammerich, der die selbständige Bedeutung der nordischen Cultur ins<lb/> Licht zu stellen sucht, und Graf G. K. Hamilton, unter dessen thätigen Auspicien<lb/> diese Beweisführung an die Oeffentlichkeit tritt, haben, wie aus den angeführ-<lb/> ten Proben wohl zur Genüge hervorgeht, weder Ueberblick noch Unbefangenheit<lb/> und Geistesfreiheit genug, um eine derartige Aufgabe zu lösen. Das Unter¬<lb/> nehmen, den Werth der nordischen Cultur durch gewaltsame Herunterdrückung<lb/> der deutschen Cultur zu heben, kann uns höchstens mit Mitleid erfüllen. Zu<lb/> den Bedürfnissen unseres Nationalbewußtseins gehört es nicht, die Dänen<lb/> sammt den übrigen Skcmdinavcn in geistiger Abhängigkeit von unserer Wissen¬<lb/> schaft, Kunst und Literatur zu wissen. Wir gönnen ihnen so viel selbständiges<lb/> geistiges Leben, als sie nur immer hervorzubringen im Stande sind, aus auf¬<lb/> richtiger Seele. Die Erinnerung an den Kampf Lessings und anderer deutscher<lb/> Geistesheroen gegen französische Einflüsse kann uns sogar eine gewisse Sym¬<lb/> pathie mit den Dänen einflößen, welche sich in ähnlicher Weise von dem<lb/> Drucke fremder Geistcsherrschaft zu befreien trachten, obgleich es die Herrschaft<lb/> unserer eigenen Sprache und Bildung ist, welche sie so leidenschaftlich abzu¬<lb/> schütteln bestrebt sind. Wir nehmen auch keineswegs für die Deutschdänen<lb/> Oehlenschläger und Baggesen Partei gegen den Originaldänen Holberg, sondern<lb/> gestehen gern zu. daß jene sich zu diesem ungefähr verhalten wie Opitz und<lb/> Gottsched zu Schiller. Ein Rask, ein Oersted. ein Sreenstrup finden in Deutsch¬<lb/> land bei denen, welche sich gleichartigen Studien widmen, so rückhaltlose Aner¬<lb/> kennung, als nur immer Einer unsrer eignen Sprach- und Naturgelehrtcn. Wir<lb/> mögen bedauern, nicht in einer unsrer Groß- oder Universitätsstädte ein gleich<lb/> reichhaltiges und wohlgeordnetes Museum vaterländischer Alterthümer zu be¬<lb/> sitzen, wie es im Prinzenpalast zu Kopenhagen besteht, aber es fällt uns des-<lb/> wegen doch nicht ein, zu behaupten, das Germanische Museum in Nürnberg<lb/> oder das Römisch-Deutsche Museum in Mainz gehe jenem vor. Thorwaldsens<lb/> Größe kann in seinem Vaterlande kaum höher gehalten werden als in<lb/> Deutschland, wo so manche seiner unsterblichen Schöpfungen im Original oder<lb/> Abguß von begeisterten Liebhabern über alle anderen Schätze gehegt werden,<lb/> trotzdem daß unsere Rauch und Rietschel doch auch nicht ganz zu verachtende<lb/> Meister der Sculptur gewesen sind. Diese Fähigkeit, fremde Leistungen</p><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0071]
überreizten nationalen Selbstgefühls versteht man indessen zur Noth noch, wie
sie sich haben erzeugen können. Was soll man aber sagen, wenn man Herrn Ham«
merich ins Einzelne gehen und z. B. rundweg behaupten hört, nur Dänemark besitze
Baucrnhochschulcn, d. h. auf gut Deutsch Ackerbauschulen? Dänemark habe
derselben gegenwärtig ein halbes Hundert und Norwegen wenigstens einen An¬
fang, im übrigen Europa jedoch rühre sich noch nichts? Wenn die Einbildung
auf dem Grunde solcher Unwissenheit ruht, so hört auch bei ihren disputableren
Aussprüchen die Möglichkeit vernünftigen Streites auf.
Herr Hammerich, der die selbständige Bedeutung der nordischen Cultur ins
Licht zu stellen sucht, und Graf G. K. Hamilton, unter dessen thätigen Auspicien
diese Beweisführung an die Oeffentlichkeit tritt, haben, wie aus den angeführ-
ten Proben wohl zur Genüge hervorgeht, weder Ueberblick noch Unbefangenheit
und Geistesfreiheit genug, um eine derartige Aufgabe zu lösen. Das Unter¬
nehmen, den Werth der nordischen Cultur durch gewaltsame Herunterdrückung
der deutschen Cultur zu heben, kann uns höchstens mit Mitleid erfüllen. Zu
den Bedürfnissen unseres Nationalbewußtseins gehört es nicht, die Dänen
sammt den übrigen Skcmdinavcn in geistiger Abhängigkeit von unserer Wissen¬
schaft, Kunst und Literatur zu wissen. Wir gönnen ihnen so viel selbständiges
geistiges Leben, als sie nur immer hervorzubringen im Stande sind, aus auf¬
richtiger Seele. Die Erinnerung an den Kampf Lessings und anderer deutscher
Geistesheroen gegen französische Einflüsse kann uns sogar eine gewisse Sym¬
pathie mit den Dänen einflößen, welche sich in ähnlicher Weise von dem
Drucke fremder Geistcsherrschaft zu befreien trachten, obgleich es die Herrschaft
unserer eigenen Sprache und Bildung ist, welche sie so leidenschaftlich abzu¬
schütteln bestrebt sind. Wir nehmen auch keineswegs für die Deutschdänen
Oehlenschläger und Baggesen Partei gegen den Originaldänen Holberg, sondern
gestehen gern zu. daß jene sich zu diesem ungefähr verhalten wie Opitz und
Gottsched zu Schiller. Ein Rask, ein Oersted. ein Sreenstrup finden in Deutsch¬
land bei denen, welche sich gleichartigen Studien widmen, so rückhaltlose Aner¬
kennung, als nur immer Einer unsrer eignen Sprach- und Naturgelehrtcn. Wir
mögen bedauern, nicht in einer unsrer Groß- oder Universitätsstädte ein gleich
reichhaltiges und wohlgeordnetes Museum vaterländischer Alterthümer zu be¬
sitzen, wie es im Prinzenpalast zu Kopenhagen besteht, aber es fällt uns des-
wegen doch nicht ein, zu behaupten, das Germanische Museum in Nürnberg
oder das Römisch-Deutsche Museum in Mainz gehe jenem vor. Thorwaldsens
Größe kann in seinem Vaterlande kaum höher gehalten werden als in
Deutschland, wo so manche seiner unsterblichen Schöpfungen im Original oder
Abguß von begeisterten Liebhabern über alle anderen Schätze gehegt werden,
trotzdem daß unsere Rauch und Rietschel doch auch nicht ganz zu verachtende
Meister der Sculptur gewesen sind. Diese Fähigkeit, fremde Leistungen
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