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Die Grenzboten. Jg. 26, 1867, II. Semester. I. Band.

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nach ihrem vollem Verdienst zu würdigen, rechnen wir uns nicht einmal
als besonderen nationalen Vorzug an. Unser Land und Volk hat in allen
Richtungen der Cultur eine so reiche Fülle hervorragender Erzeugnisse, großer
und genialer Männer aufzuweisen, daß uns nicht leicht der Gedanke kommen
kann, ein Vergleich mit anderen Nationen werde möglicherweise zu unserm
Nachtheil ausschlagen. Am wenigsten natürlich der Vergleich mit den Dänen
oder auch mit den Skandinaven überhaupt, die an Vielseitigkeit und Energie
der Cultur zu übertreffen für ein so viel günstiger situirtes Volk wie das
unsere, für ein Volk von sechsmal größerer Kopfzahl in der That keine son¬
derliche Heldenthat ist. Noch viel ferner liegt uns Deutschen endlich die Vor¬
stellung, als hätten wir unseren Anspruch auf Rang und Stellung eines selb¬
ständigen Culturvolks erst noch nachzuweisen. Wir sind so glücklich, uns aus
die allgemeine Uebereinstimmung der Ansichten berufen zu können. .Unser
Platz unter den Culturvö'item" wäre in Deutschland höchstens als akademisches
Thema denkbar, und dann würde den unglücklichen Verfasser oder Redner nicht
sowohl die Lückenhaftigkeit und stellenweise Armuth, als die durchgängige über¬
wältigende Fülle des Stoffes in Verlegenheit setzen. Der Seitenblicke auf
fremde Culturerrungenschaften müßte er sich schon im Interesse der nothwendigen
Selbstbeschränkung enthalten, um nur überhaupt ans Ende zu kommen.

Warum aber sollte eine ähnliche edle Enthaltsamkeit nicht auch einem
dänischen oder schwedischen Nationalanwalt möglich sein? Warum den eigenen
rechtmäßigen Anspruch auf einen ehrenvollen Platz unter den Ländern der
europäischen Civilisation dadurch verdächtigen, daß man eine andere Nation
von dem ihrigen, unzweifelhaft höheren und breiteren, herabzustoßen sucht?
Geschieht es, weil in Dänemark selbst noch immer die dänisch-nordische National¬
cultur nicht vollständig über die einst allmächtig herrschende deutsche Cultur
triumphirt hat?

Es wäre doch wohl sicherer und heilsamer zugleich, diesen vollständigen
Triumph lediglich von rein geistigen und von loyalen Mitteln zu erwarten. Wir
wollen nicht von der Möglichkeit einer Reaction reden, die sich allerdings erfah¬
rungsgemäß da einzustellen pflegt, wo dem realen Interesse und der wahren
natürlichen Stimmung einer Volksmasse Gewalt angethan wird. Aber geben
die Dänen nicht grade ihre Bildung, d. h. das Werthvollste, was es überall
auf Erden giebt, geben sie nicht einen Theil der Widerstandskraft, mit welcher
sie jetzt selbst gegen drohende fremde Uebergriffe ankämpfen, Preis, -- wenn sie
den Kanal, aus welchem so vielen unter ihnen Bildung aller Art bisher vor¬
zugsweise zufloß, die deutsche Sprache nämlich, zuschulden und nicht mehr ge¬
brauchen wollen? Ist denn die Cultur, die ihnen bis jetzt auf diesem Wege
zuströmte, etwa durchgängig oder überwiegend, ja selbst nur zu einem namhaften
Theile so beschaffen, daß sie eine ihren nationalen Interessen und Aspirationen


nach ihrem vollem Verdienst zu würdigen, rechnen wir uns nicht einmal
als besonderen nationalen Vorzug an. Unser Land und Volk hat in allen
Richtungen der Cultur eine so reiche Fülle hervorragender Erzeugnisse, großer
und genialer Männer aufzuweisen, daß uns nicht leicht der Gedanke kommen
kann, ein Vergleich mit anderen Nationen werde möglicherweise zu unserm
Nachtheil ausschlagen. Am wenigsten natürlich der Vergleich mit den Dänen
oder auch mit den Skandinaven überhaupt, die an Vielseitigkeit und Energie
der Cultur zu übertreffen für ein so viel günstiger situirtes Volk wie das
unsere, für ein Volk von sechsmal größerer Kopfzahl in der That keine son¬
derliche Heldenthat ist. Noch viel ferner liegt uns Deutschen endlich die Vor¬
stellung, als hätten wir unseren Anspruch auf Rang und Stellung eines selb¬
ständigen Culturvolks erst noch nachzuweisen. Wir sind so glücklich, uns aus
die allgemeine Uebereinstimmung der Ansichten berufen zu können. .Unser
Platz unter den Culturvö'item" wäre in Deutschland höchstens als akademisches
Thema denkbar, und dann würde den unglücklichen Verfasser oder Redner nicht
sowohl die Lückenhaftigkeit und stellenweise Armuth, als die durchgängige über¬
wältigende Fülle des Stoffes in Verlegenheit setzen. Der Seitenblicke auf
fremde Culturerrungenschaften müßte er sich schon im Interesse der nothwendigen
Selbstbeschränkung enthalten, um nur überhaupt ans Ende zu kommen.

Warum aber sollte eine ähnliche edle Enthaltsamkeit nicht auch einem
dänischen oder schwedischen Nationalanwalt möglich sein? Warum den eigenen
rechtmäßigen Anspruch auf einen ehrenvollen Platz unter den Ländern der
europäischen Civilisation dadurch verdächtigen, daß man eine andere Nation
von dem ihrigen, unzweifelhaft höheren und breiteren, herabzustoßen sucht?
Geschieht es, weil in Dänemark selbst noch immer die dänisch-nordische National¬
cultur nicht vollständig über die einst allmächtig herrschende deutsche Cultur
triumphirt hat?

Es wäre doch wohl sicherer und heilsamer zugleich, diesen vollständigen
Triumph lediglich von rein geistigen und von loyalen Mitteln zu erwarten. Wir
wollen nicht von der Möglichkeit einer Reaction reden, die sich allerdings erfah¬
rungsgemäß da einzustellen pflegt, wo dem realen Interesse und der wahren
natürlichen Stimmung einer Volksmasse Gewalt angethan wird. Aber geben
die Dänen nicht grade ihre Bildung, d. h. das Werthvollste, was es überall
auf Erden giebt, geben sie nicht einen Theil der Widerstandskraft, mit welcher
sie jetzt selbst gegen drohende fremde Uebergriffe ankämpfen, Preis, — wenn sie
den Kanal, aus welchem so vielen unter ihnen Bildung aller Art bisher vor¬
zugsweise zufloß, die deutsche Sprache nämlich, zuschulden und nicht mehr ge¬
brauchen wollen? Ist denn die Cultur, die ihnen bis jetzt auf diesem Wege
zuströmte, etwa durchgängig oder überwiegend, ja selbst nur zu einem namhaften
Theile so beschaffen, daß sie eine ihren nationalen Interessen und Aspirationen


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 26, 1867, II. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341805_191229/72>, abgerufen am 15.01.2025.