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Die Grenzboten. Jg. 26, 1867, II. Semester. I. Band.

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sie plündernd und verheerend bis zur Donau ziehen. In dieser Zeit werden
sie. aber ohne in Masse auszuwandern, eine Herrschaft auch über die Mainlande
begründet haben, die es bis dahin, wie es scheint, nicht zu constanten Ver¬
hältnissen gebracht hatten. Aber sie währte nicht lange. Im I. S31, wie be-
kannt, brach der Frankenkönig Theodorich die Macht der Thüringer durch die
Besiegung Hermenefrieds in der Schlacht an der Unstrut. Von da an scheint
die Provinz Frankonien gebildet worden zu sein. Sofort nämlich trat das
Land vom thüringer Walde bis zum Main in ein anderes Verhältniß zum
Frankenkönige, als das nördlich belegene Stammland der Thüringer: während
dieses mit einem Schweinstribut belegt ward, wurde in jenem ein Drittel alles
Grundes zu königlichem Eigenthum gemacht. Schon dieser Umstand weist, bei
der Eigenthümlichkeit des fränkischen Vvltsrechtes, daraus hin, daß es verschiedene
Stämme waren, die diesseit und jenseit des Gebirgskamms saßen: denn einerlei
Stamm erfuhr einerlei Behandlung. Jene Ausbuchtung des Rennsiiegs aber,
die sich um die Stadt Satzungen herumlegt, datirt aus früherer Zeit. Sie
scheint ein Erwerb zu sein, den die Hermunduren im I. S8 n. Chr. gegen die
Karten gemacht haben, welche das westliche Grabfcld inne hatten. In diesem
Jahre kämpften sie. wie Tacitus berichtet, mit diesen erfolgreich um einige Salz¬
quellen, unter denen ohne Zweifel die salzunger wie die weiter unterhalb an
der Werra gelegenen kreuzburger zu verstehen sind. Diese letzteren finden sich
in dem altthüringischen Ninggau, der ebenfalls über die natürliche Grenze der
Werra hinausliegt.

Hiermit ist der auffällige Umstand der südlichen Ausbuchtung des Renn¬
siiegs erklärt. Nun aber weiß man. daß auch der zu diesem Bogen gehörige
Durchmesser, welcher auf dem Kamme des Gebirges von Weißenberg bis Hörsel
liegt, den Namen des Rennstiegs und seine Eigenschaften hat und zu dem süd¬
lichen Zuge etwa wie ein Haupideich zum Außendeiche liegt. Wie ist das zu
erklären? Es scheint, daß diese Frage nur mit der nach der Bedeutung der
eigenthümlichen Einrichtung und Form des Rennstiegs gelöst werden kann.
Jedenfalls wäre es nicht, uninteressant zu wissen, warum man hier, um eine
Völkergrcnze zu markiren, eine etwa vierzig Stunden lange, sehr breite Wald-
lichtung machte. War das bei dem einen und anderen Stamm auch sonst Ge¬
brauch? Oder hat vielmehr die Nennstiegslinie einen doppelten Charakter und
erfüllt sie mehre Zwecke? Was konnte sie sein außer dem, daß sie Grenze
war? Wir erlauben uns einige Vermuthungen zu äußern.

Nicht ganz vorübergehen können wir an einer Notiz, die Cäsar in seinen
Commentaren (4,3) giebt. Er sagt da, daß die Sueven (die zu seiner Zeit
bis an den Bacenis wohnten, den viele Historiker für den thüringer Wald
halten) ihr Gebiet mit einem Streifen unbebauten Landes umgaben, und für
die eine Seite nennt er ein Maß von 120 Meilen. An die Nichtigkeit dieser


sie plündernd und verheerend bis zur Donau ziehen. In dieser Zeit werden
sie. aber ohne in Masse auszuwandern, eine Herrschaft auch über die Mainlande
begründet haben, die es bis dahin, wie es scheint, nicht zu constanten Ver¬
hältnissen gebracht hatten. Aber sie währte nicht lange. Im I. S31, wie be-
kannt, brach der Frankenkönig Theodorich die Macht der Thüringer durch die
Besiegung Hermenefrieds in der Schlacht an der Unstrut. Von da an scheint
die Provinz Frankonien gebildet worden zu sein. Sofort nämlich trat das
Land vom thüringer Walde bis zum Main in ein anderes Verhältniß zum
Frankenkönige, als das nördlich belegene Stammland der Thüringer: während
dieses mit einem Schweinstribut belegt ward, wurde in jenem ein Drittel alles
Grundes zu königlichem Eigenthum gemacht. Schon dieser Umstand weist, bei
der Eigenthümlichkeit des fränkischen Vvltsrechtes, daraus hin, daß es verschiedene
Stämme waren, die diesseit und jenseit des Gebirgskamms saßen: denn einerlei
Stamm erfuhr einerlei Behandlung. Jene Ausbuchtung des Rennsiiegs aber,
die sich um die Stadt Satzungen herumlegt, datirt aus früherer Zeit. Sie
scheint ein Erwerb zu sein, den die Hermunduren im I. S8 n. Chr. gegen die
Karten gemacht haben, welche das westliche Grabfcld inne hatten. In diesem
Jahre kämpften sie. wie Tacitus berichtet, mit diesen erfolgreich um einige Salz¬
quellen, unter denen ohne Zweifel die salzunger wie die weiter unterhalb an
der Werra gelegenen kreuzburger zu verstehen sind. Diese letzteren finden sich
in dem altthüringischen Ninggau, der ebenfalls über die natürliche Grenze der
Werra hinausliegt.

Hiermit ist der auffällige Umstand der südlichen Ausbuchtung des Renn¬
siiegs erklärt. Nun aber weiß man. daß auch der zu diesem Bogen gehörige
Durchmesser, welcher auf dem Kamme des Gebirges von Weißenberg bis Hörsel
liegt, den Namen des Rennstiegs und seine Eigenschaften hat und zu dem süd¬
lichen Zuge etwa wie ein Haupideich zum Außendeiche liegt. Wie ist das zu
erklären? Es scheint, daß diese Frage nur mit der nach der Bedeutung der
eigenthümlichen Einrichtung und Form des Rennstiegs gelöst werden kann.
Jedenfalls wäre es nicht, uninteressant zu wissen, warum man hier, um eine
Völkergrcnze zu markiren, eine etwa vierzig Stunden lange, sehr breite Wald-
lichtung machte. War das bei dem einen und anderen Stamm auch sonst Ge¬
brauch? Oder hat vielmehr die Nennstiegslinie einen doppelten Charakter und
erfüllt sie mehre Zwecke? Was konnte sie sein außer dem, daß sie Grenze
war? Wir erlauben uns einige Vermuthungen zu äußern.

Nicht ganz vorübergehen können wir an einer Notiz, die Cäsar in seinen
Commentaren (4,3) giebt. Er sagt da, daß die Sueven (die zu seiner Zeit
bis an den Bacenis wohnten, den viele Historiker für den thüringer Wald
halten) ihr Gebiet mit einem Streifen unbebauten Landes umgaben, und für
die eine Seite nennt er ein Maß von 120 Meilen. An die Nichtigkeit dieser


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 26, 1867, II. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341805_191229/519>, abgerufen am 15.01.2025.