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Die Grenzboten. Jg. 26, 1867, II. Semester. I. Band.

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Ziffer, sobald man sie, wie doch gewöhnlich geschieht, als Vreitenmaß nimmt,
ist gar nicht zu denken. Sollte sie ein Längenmaß bezeichnen? Wäre hier etwa
Von einem Völkergrenzrain die Rede, wie es einen Nasenrain zwischen den ein¬
zelnen Gemarkungen gab? Wäre gar der Rennstieg ein Stück dieses Grenzrains
und setzte er sich am Ende, wie die Sage geht, über das Fichtelgebirge und
weiter fort? Dies sei hier nur hingeworfen. Wir werden die Rennstiegfrage
kaum zu einer evidenten Lösung bringen können, wenn wir nicht genauer als
bisher über die Art und Weise unterrichtet sind, wie unsere Vorfahren ihre
Grenzen bezeichneten; wenn wir ferner nicht sorgfältig nach den etwaigen Fort¬
setzungen des Rennstiegs forschen; wenn wir endlich nicht den Charakter aller
der übrigen Linien ermitteln, die in Deutschland und in der Schweiz mit dem
Namen "Rennstieg" bezeichnet werden.

Einstweilen erlaube man uns, eine Vermuthung über den praktischen Ge¬
brauch des Rennstiegs zu äußern. Wir beziehen uns dabei auf eine Bemer¬
kung des Großherzogs Karl August von Weimar, die sich in seiner Schrift über
den Rennstieg (Manuscript zu Weimar, Auszüge bei Ziegler) findet. Der
fürstliche Schriftsteller empfiehlt, den Nennstieg als Handelsstraße und Verthei¬
digungslinie auszubilden. Eine Handelsstraße, wie der Verfasser annimmt, war
der Nennstieg nun jedenfalls nie. Wäre er es gewesen, er müßte es noch heute
in einigem Maße sein. Aber wer zieht 43 Stunden auf völlig unbebauter
Höhe, wenn er in der Ebene eine belebte, sichere und schöne Straße benutzen
kann ? Und die frankfurter Straße, die über Eisenach, Gotha, Erfurt führt, ist
uralt. Wichtiger und interessanter ist Karl Augusts Vorschlag, den Nennstieg
zur Vertheidigungslinie auszubilden. Er weist darauf hin, daß es einen un¬
endlichen Vortheil gewähre, auf einer so lang gestreckten, zweifache Uebersicht
gewährenden Höhe eine leichte und schnelle Communication zu haben, während
der Feind den Fuß der Berge im Bogen umgehen müsse. Nun glauben wir,
daß, was Karl August sah, schon von den alten Königen gesehen wurde, die
nördlich des Waldes herrschten und zu jeder Zeit die Angriffe unruhiger Nach¬
barn zu befahren hatten. Wir denken, sie haben bereits gethan, was zu thun
Karl August für die Zukunft empfiehlt; mit einem Worte: wir halten den
Nennstieg für die südliche Vertheidigungslirue des alten thüringer Reiches.
Dies glauben wir um so mehr, als wir der Ueberzeugung sind, daß der thü¬
ringer Wald, der so leicht zu überschreiten ist, ohne den Nennstieg kaum ver¬
theidigt werden könnte. Er wurde ausgehauen, um die militärische Communi¬
cation auf der Höhe zu ermöglichen.

Damit scheint sich denn der theilweise doppelte Zug des Rennstiegs zu
erklären. Beide Linien können durchaus echt sein. Die Vertheidigungslinie
mußte, ihrem Zwecke nach, ganz auf dem First des Gebirges laufen; sie mußte
wohl in ihrer längsten Strecke zugleich Grenze sein, brauchte eS aber nicht durch-


Ziffer, sobald man sie, wie doch gewöhnlich geschieht, als Vreitenmaß nimmt,
ist gar nicht zu denken. Sollte sie ein Längenmaß bezeichnen? Wäre hier etwa
Von einem Völkergrenzrain die Rede, wie es einen Nasenrain zwischen den ein¬
zelnen Gemarkungen gab? Wäre gar der Rennstieg ein Stück dieses Grenzrains
und setzte er sich am Ende, wie die Sage geht, über das Fichtelgebirge und
weiter fort? Dies sei hier nur hingeworfen. Wir werden die Rennstiegfrage
kaum zu einer evidenten Lösung bringen können, wenn wir nicht genauer als
bisher über die Art und Weise unterrichtet sind, wie unsere Vorfahren ihre
Grenzen bezeichneten; wenn wir ferner nicht sorgfältig nach den etwaigen Fort¬
setzungen des Rennstiegs forschen; wenn wir endlich nicht den Charakter aller
der übrigen Linien ermitteln, die in Deutschland und in der Schweiz mit dem
Namen „Rennstieg" bezeichnet werden.

Einstweilen erlaube man uns, eine Vermuthung über den praktischen Ge¬
brauch des Rennstiegs zu äußern. Wir beziehen uns dabei auf eine Bemer¬
kung des Großherzogs Karl August von Weimar, die sich in seiner Schrift über
den Rennstieg (Manuscript zu Weimar, Auszüge bei Ziegler) findet. Der
fürstliche Schriftsteller empfiehlt, den Nennstieg als Handelsstraße und Verthei¬
digungslinie auszubilden. Eine Handelsstraße, wie der Verfasser annimmt, war
der Nennstieg nun jedenfalls nie. Wäre er es gewesen, er müßte es noch heute
in einigem Maße sein. Aber wer zieht 43 Stunden auf völlig unbebauter
Höhe, wenn er in der Ebene eine belebte, sichere und schöne Straße benutzen
kann ? Und die frankfurter Straße, die über Eisenach, Gotha, Erfurt führt, ist
uralt. Wichtiger und interessanter ist Karl Augusts Vorschlag, den Nennstieg
zur Vertheidigungslinie auszubilden. Er weist darauf hin, daß es einen un¬
endlichen Vortheil gewähre, auf einer so lang gestreckten, zweifache Uebersicht
gewährenden Höhe eine leichte und schnelle Communication zu haben, während
der Feind den Fuß der Berge im Bogen umgehen müsse. Nun glauben wir,
daß, was Karl August sah, schon von den alten Königen gesehen wurde, die
nördlich des Waldes herrschten und zu jeder Zeit die Angriffe unruhiger Nach¬
barn zu befahren hatten. Wir denken, sie haben bereits gethan, was zu thun
Karl August für die Zukunft empfiehlt; mit einem Worte: wir halten den
Nennstieg für die südliche Vertheidigungslirue des alten thüringer Reiches.
Dies glauben wir um so mehr, als wir der Ueberzeugung sind, daß der thü¬
ringer Wald, der so leicht zu überschreiten ist, ohne den Nennstieg kaum ver¬
theidigt werden könnte. Er wurde ausgehauen, um die militärische Communi¬
cation auf der Höhe zu ermöglichen.

Damit scheint sich denn der theilweise doppelte Zug des Rennstiegs zu
erklären. Beide Linien können durchaus echt sein. Die Vertheidigungslinie
mußte, ihrem Zwecke nach, ganz auf dem First des Gebirges laufen; sie mußte
wohl in ihrer längsten Strecke zugleich Grenze sein, brauchte eS aber nicht durch-


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[0520] Ziffer, sobald man sie, wie doch gewöhnlich geschieht, als Vreitenmaß nimmt, ist gar nicht zu denken. Sollte sie ein Längenmaß bezeichnen? Wäre hier etwa Von einem Völkergrenzrain die Rede, wie es einen Nasenrain zwischen den ein¬ zelnen Gemarkungen gab? Wäre gar der Rennstieg ein Stück dieses Grenzrains und setzte er sich am Ende, wie die Sage geht, über das Fichtelgebirge und weiter fort? Dies sei hier nur hingeworfen. Wir werden die Rennstiegfrage kaum zu einer evidenten Lösung bringen können, wenn wir nicht genauer als bisher über die Art und Weise unterrichtet sind, wie unsere Vorfahren ihre Grenzen bezeichneten; wenn wir ferner nicht sorgfältig nach den etwaigen Fort¬ setzungen des Rennstiegs forschen; wenn wir endlich nicht den Charakter aller der übrigen Linien ermitteln, die in Deutschland und in der Schweiz mit dem Namen „Rennstieg" bezeichnet werden. Einstweilen erlaube man uns, eine Vermuthung über den praktischen Ge¬ brauch des Rennstiegs zu äußern. Wir beziehen uns dabei auf eine Bemer¬ kung des Großherzogs Karl August von Weimar, die sich in seiner Schrift über den Rennstieg (Manuscript zu Weimar, Auszüge bei Ziegler) findet. Der fürstliche Schriftsteller empfiehlt, den Nennstieg als Handelsstraße und Verthei¬ digungslinie auszubilden. Eine Handelsstraße, wie der Verfasser annimmt, war der Nennstieg nun jedenfalls nie. Wäre er es gewesen, er müßte es noch heute in einigem Maße sein. Aber wer zieht 43 Stunden auf völlig unbebauter Höhe, wenn er in der Ebene eine belebte, sichere und schöne Straße benutzen kann ? Und die frankfurter Straße, die über Eisenach, Gotha, Erfurt führt, ist uralt. Wichtiger und interessanter ist Karl Augusts Vorschlag, den Nennstieg zur Vertheidigungslinie auszubilden. Er weist darauf hin, daß es einen un¬ endlichen Vortheil gewähre, auf einer so lang gestreckten, zweifache Uebersicht gewährenden Höhe eine leichte und schnelle Communication zu haben, während der Feind den Fuß der Berge im Bogen umgehen müsse. Nun glauben wir, daß, was Karl August sah, schon von den alten Königen gesehen wurde, die nördlich des Waldes herrschten und zu jeder Zeit die Angriffe unruhiger Nach¬ barn zu befahren hatten. Wir denken, sie haben bereits gethan, was zu thun Karl August für die Zukunft empfiehlt; mit einem Worte: wir halten den Nennstieg für die südliche Vertheidigungslirue des alten thüringer Reiches. Dies glauben wir um so mehr, als wir der Ueberzeugung sind, daß der thü¬ ringer Wald, der so leicht zu überschreiten ist, ohne den Nennstieg kaum ver¬ theidigt werden könnte. Er wurde ausgehauen, um die militärische Communi¬ cation auf der Höhe zu ermöglichen. Damit scheint sich denn der theilweise doppelte Zug des Rennstiegs zu erklären. Beide Linien können durchaus echt sein. Die Vertheidigungslinie mußte, ihrem Zwecke nach, ganz auf dem First des Gebirges laufen; sie mußte wohl in ihrer längsten Strecke zugleich Grenze sein, brauchte eS aber nicht durch-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 26, 1867, II. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341805_191229/520>, abgerufen am 15.01.2025.