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Die Grenzboten. Jg. 26, 1867, II. Semester. I. Band.

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Recht in letzter Instanz bei dem thüringischen Dingstuhl zu Mühlhausen suchen."
Bei diesem galt sächsisches Recht. Auch die Wildbahnen wurden durch den
Nennstieg in seiner ganzen Länge getrennt, und zwar folgten speciell die Jagd-
grenzen der srcmkensteiner Dynasten, wie eine Urkunde vom Jahre 1330 bezeugt,
dem Zuge der vom thüringer Walde südlich laufenden Rennstiegslinie, nicht
dem Firste. Ferner ist, wie auch schon Land an in seiner Schrift über den
thüringer Häuserbau bemerkt, die Bauart diesseit und jenseit der von Bruckner
beschriebenen Linie eine wesentlich verschiedene. Auf der Nordseite herrscht daS
zweistöckige Bauernhaus mit erdebener Thüre und erdebener Lehmbodenflur vor,
auf der Südseite das einstöckige Haus mit gestufter Thüre, erhöhter Flur, mit
Stube, Küche und Stall im Hauptstock, darüber ein spitzes Giebeldach mit
einem Staats- und Blumenstübchen. Und die Menschen endlich unterscheiden
sich schon in ihrem Aeußern so stark wie die Häuser, die sie bewohnen: aus der
fränkischen Seite, die überhaupt mehr Berührung mit der katholischen Sitte
bewahrt hat, lebt noch die Freude an lebhaft bunten, besonders rothen Farben,
auf der thüringischen ist man in der Farbenskala zu Violett, Dunkelblau, Schwarz
hinabgesunken. Der feierliche schwarze Tuchmantel mit dem alterthümlich aus¬
gezackten Kragen kommt nur auf thüringischem Boden vor. Auch in Sitten
und Gebräuchen begegnen mannigfache Unterschiede. In Franken findet daS
"Scherzen" der Dienstboten zu Petri. in Thüringen zu Lichtmeß statt; dort begeht
man das Hauptvolksfest am Kirchweihtag, mit hohem bekränzten Maibäume,
hier zur Ernte, ohne Baum, u. f. f.

So ist es keinem Zweifel unterworfen, daß die Rennstiegslinie, was immer
ihre Bezeichnung durch einen Waldweg bedeutet haben möge, eine Grenzscheide
von großer Wichtigkeit war. Und der Gegensatz von Diessen und Jenseit ist
der Art, daß er nur in langer Zeit festwurzeln konnte. Wir können Bruckner
nur beipflichten, wenn er die Annahme zurückweist, als sei Frankonien, das
Werra-Maingebiet, altthüringisches Land gewesen und erst bei der Zerstörung
des Thüringerreiches im I. 53l oder gar bei Gelegenheit der im I. 785 ent¬
deckten und bestraften Verschwörung des Grafen Hardrat aus dem altgefesieten
Reiche herausgelöst und aus einem thüringischen zu einem fränkischen Lande
geworden. Der thüringische Stamm hat nie a odeval des Waldes gesessen.
Denn vom Anfange des dritten bis zum fünften Jahrhundert, zu einer Zeit,
da Allemannen. Zuthungen, Armalausen, Cennen, Burgunder, kurz alle Stämme
Süddeutschlands gegen die römische Grenze andrängten, begegnet man dem Namen
der Thüringer oder Hermunduren in der Maingegend und in der Reihe der
kämpfenden Stämme nicht, und passiv oder activ mußte ein so bedeutender
Stamm jedenfalls an einer solchen Bewegung betheiligt werden, wenn er im
Rayon derselben vorhanden war. In der Mitte des fünften Jahrhunderts aber
erscheinen die Thüringer unter den Heerhaufen Atiilas, nach dessen Niederlage


Recht in letzter Instanz bei dem thüringischen Dingstuhl zu Mühlhausen suchen."
Bei diesem galt sächsisches Recht. Auch die Wildbahnen wurden durch den
Nennstieg in seiner ganzen Länge getrennt, und zwar folgten speciell die Jagd-
grenzen der srcmkensteiner Dynasten, wie eine Urkunde vom Jahre 1330 bezeugt,
dem Zuge der vom thüringer Walde südlich laufenden Rennstiegslinie, nicht
dem Firste. Ferner ist, wie auch schon Land an in seiner Schrift über den
thüringer Häuserbau bemerkt, die Bauart diesseit und jenseit der von Bruckner
beschriebenen Linie eine wesentlich verschiedene. Auf der Nordseite herrscht daS
zweistöckige Bauernhaus mit erdebener Thüre und erdebener Lehmbodenflur vor,
auf der Südseite das einstöckige Haus mit gestufter Thüre, erhöhter Flur, mit
Stube, Küche und Stall im Hauptstock, darüber ein spitzes Giebeldach mit
einem Staats- und Blumenstübchen. Und die Menschen endlich unterscheiden
sich schon in ihrem Aeußern so stark wie die Häuser, die sie bewohnen: aus der
fränkischen Seite, die überhaupt mehr Berührung mit der katholischen Sitte
bewahrt hat, lebt noch die Freude an lebhaft bunten, besonders rothen Farben,
auf der thüringischen ist man in der Farbenskala zu Violett, Dunkelblau, Schwarz
hinabgesunken. Der feierliche schwarze Tuchmantel mit dem alterthümlich aus¬
gezackten Kragen kommt nur auf thüringischem Boden vor. Auch in Sitten
und Gebräuchen begegnen mannigfache Unterschiede. In Franken findet daS
„Scherzen" der Dienstboten zu Petri. in Thüringen zu Lichtmeß statt; dort begeht
man das Hauptvolksfest am Kirchweihtag, mit hohem bekränzten Maibäume,
hier zur Ernte, ohne Baum, u. f. f.

So ist es keinem Zweifel unterworfen, daß die Rennstiegslinie, was immer
ihre Bezeichnung durch einen Waldweg bedeutet haben möge, eine Grenzscheide
von großer Wichtigkeit war. Und der Gegensatz von Diessen und Jenseit ist
der Art, daß er nur in langer Zeit festwurzeln konnte. Wir können Bruckner
nur beipflichten, wenn er die Annahme zurückweist, als sei Frankonien, das
Werra-Maingebiet, altthüringisches Land gewesen und erst bei der Zerstörung
des Thüringerreiches im I. 53l oder gar bei Gelegenheit der im I. 785 ent¬
deckten und bestraften Verschwörung des Grafen Hardrat aus dem altgefesieten
Reiche herausgelöst und aus einem thüringischen zu einem fränkischen Lande
geworden. Der thüringische Stamm hat nie a odeval des Waldes gesessen.
Denn vom Anfange des dritten bis zum fünften Jahrhundert, zu einer Zeit,
da Allemannen. Zuthungen, Armalausen, Cennen, Burgunder, kurz alle Stämme
Süddeutschlands gegen die römische Grenze andrängten, begegnet man dem Namen
der Thüringer oder Hermunduren in der Maingegend und in der Reihe der
kämpfenden Stämme nicht, und passiv oder activ mußte ein so bedeutender
Stamm jedenfalls an einer solchen Bewegung betheiligt werden, wenn er im
Rayon derselben vorhanden war. In der Mitte des fünften Jahrhunderts aber
erscheinen die Thüringer unter den Heerhaufen Atiilas, nach dessen Niederlage


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 26, 1867, II. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341805_191229/518>, abgerufen am 15.01.2025.