eine sitzende Glücksgöttin, weil sie ja nicht feststeht (!), eine fiquremeiche pathe¬ tische Gerichtsscene, wo die schöne jähzornige Verleumdung mit der Fackel in der Hand, vom bleichen häßlichen Neide als Ankläger angespornt, von Trug und Arglist als Helferinnen begleitet, den unschuldig Verklagten vor den alber¬ nen Richter mit den Eselsohren des Midas schleppt, welchem Thorheit und Argwohn zur Seite stehen, während weiterhin die Reue im zerrissenen Trauer¬ kleide sich weinend und beschämt nach der herankommenden Wahrheit umblickt. Apelles, der hochbegabte und geistvolle Hofmaler Alexanders, war der eigentliche Begründer dieses Kunstverderbs, und rasch folgte sogar auch die Sculptur, die doch noch weit enger als die Malerei an die Wirklichkeit gebunden ist. Nun schuf Lysipp seinen "günstigen Augenblick", mit geflügelten Füßen aus den Zehen vorbeieilend, das Scheermesser in der Hand, das auf das Haarscharfe des entscheidenden Moments deuten soll; vorn an der Stirnlocke mußte man ihn fassen, denn war er einmal vorbei, der Hinterkopf war kahl und ließ sich nicht packen. Ja bis zur völligen Rebusschöpfung verstieg sich diese Programmkunst, als der Syrerkönig Antiochus, der den Taurus von Räubern gereinigt hatte, sich als Bezwinger eines Stieres (Taurus) darstellen ließ! Solche Künste¬ leien fanden natürlich auch bei den römischen Kaisern willige Aufnahme, sie haben immer geblüht, wo die Künstler im Solde prunk- und ruhmliebender Monarchen schassen mußten, wohl nie schlimmer als am Hofe Ludwigs XIV. Von diesem verbreitete sich das Uebel an alle die Höfe, welche in Versailles das höchste Muster erblickten; wie hätte Dresden zurückbleiben sollen? In sol¬ cher Umgebung erwarb Winckelmann seine ersten Kunstanschauungen, er wurde darin bestärkt durch allegorisirende Künstler wie Oeser; kein Wunder wenn selbst er sich, so wenig wie noch später Goethe, von der Vorliebe für solche "sinnvolle und beziehungsreiche" Symbolik lossagen konnte. Es ist das nicht die einzige Seite, nach welcher er der sogenannten akademischen Kunst Vorschub geleistet hat. So kam es denn, daß er den Plan zu einem Werke über die Allegorie während seines ganzen römischen Aufenthalts unausgesetzt hegte und pflegte; der enge Verkehr mit Raphael Mengs. den er über alle neueren Maler, Raphael Scuti nicht ausgenommen, stellte, konnte für diese Liebhaberei nur förderlich sein. Bereits im Sommer 1739 finden wir ihn an der Ausarbeitung des Werkes, dem er einen nur mäßigen Umfang geben wollte, und das er zu einem Handbuch für Künstler bestimmte, nicht für Gelehrte. Andre Arbeiten, namentlich die Kunstgeschichte, ließen die Allegorie wieder zurücktreten, ohne daß sie doch jemals ganz bei Seite gelegt war. Erst nach Vollendung der Kunst¬ geschichte, im Herbst 1762, begann Winckelmann nach einer schweren Krankheit die Arbeit ernstlicher vorzunehmen, die nun neben den Vorarbeiten zu den rno- vumcmti ineäiti gefördert ward. Bald war er mit der Disposition im Reinen, und obwohl bei der Einzelausführung die Schwierigkeiten sich nur häuften,
eine sitzende Glücksgöttin, weil sie ja nicht feststeht (!), eine fiquremeiche pathe¬ tische Gerichtsscene, wo die schöne jähzornige Verleumdung mit der Fackel in der Hand, vom bleichen häßlichen Neide als Ankläger angespornt, von Trug und Arglist als Helferinnen begleitet, den unschuldig Verklagten vor den alber¬ nen Richter mit den Eselsohren des Midas schleppt, welchem Thorheit und Argwohn zur Seite stehen, während weiterhin die Reue im zerrissenen Trauer¬ kleide sich weinend und beschämt nach der herankommenden Wahrheit umblickt. Apelles, der hochbegabte und geistvolle Hofmaler Alexanders, war der eigentliche Begründer dieses Kunstverderbs, und rasch folgte sogar auch die Sculptur, die doch noch weit enger als die Malerei an die Wirklichkeit gebunden ist. Nun schuf Lysipp seinen „günstigen Augenblick", mit geflügelten Füßen aus den Zehen vorbeieilend, das Scheermesser in der Hand, das auf das Haarscharfe des entscheidenden Moments deuten soll; vorn an der Stirnlocke mußte man ihn fassen, denn war er einmal vorbei, der Hinterkopf war kahl und ließ sich nicht packen. Ja bis zur völligen Rebusschöpfung verstieg sich diese Programmkunst, als der Syrerkönig Antiochus, der den Taurus von Räubern gereinigt hatte, sich als Bezwinger eines Stieres (Taurus) darstellen ließ! Solche Künste¬ leien fanden natürlich auch bei den römischen Kaisern willige Aufnahme, sie haben immer geblüht, wo die Künstler im Solde prunk- und ruhmliebender Monarchen schassen mußten, wohl nie schlimmer als am Hofe Ludwigs XIV. Von diesem verbreitete sich das Uebel an alle die Höfe, welche in Versailles das höchste Muster erblickten; wie hätte Dresden zurückbleiben sollen? In sol¬ cher Umgebung erwarb Winckelmann seine ersten Kunstanschauungen, er wurde darin bestärkt durch allegorisirende Künstler wie Oeser; kein Wunder wenn selbst er sich, so wenig wie noch später Goethe, von der Vorliebe für solche „sinnvolle und beziehungsreiche" Symbolik lossagen konnte. Es ist das nicht die einzige Seite, nach welcher er der sogenannten akademischen Kunst Vorschub geleistet hat. So kam es denn, daß er den Plan zu einem Werke über die Allegorie während seines ganzen römischen Aufenthalts unausgesetzt hegte und pflegte; der enge Verkehr mit Raphael Mengs. den er über alle neueren Maler, Raphael Scuti nicht ausgenommen, stellte, konnte für diese Liebhaberei nur förderlich sein. Bereits im Sommer 1739 finden wir ihn an der Ausarbeitung des Werkes, dem er einen nur mäßigen Umfang geben wollte, und das er zu einem Handbuch für Künstler bestimmte, nicht für Gelehrte. Andre Arbeiten, namentlich die Kunstgeschichte, ließen die Allegorie wieder zurücktreten, ohne daß sie doch jemals ganz bei Seite gelegt war. Erst nach Vollendung der Kunst¬ geschichte, im Herbst 1762, begann Winckelmann nach einer schweren Krankheit die Arbeit ernstlicher vorzunehmen, die nun neben den Vorarbeiten zu den rno- vumcmti ineäiti gefördert ward. Bald war er mit der Disposition im Reinen, und obwohl bei der Einzelausführung die Schwierigkeiten sich nur häuften,
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der Hand, vom bleichen häßlichen Neide als Ankläger angespornt, von Trug
und Arglist als Helferinnen begleitet, den unschuldig Verklagten vor den alber¬
nen Richter mit den Eselsohren des Midas schleppt, welchem Thorheit und
Argwohn zur Seite stehen, während weiterhin die Reue im zerrissenen Trauer¬
kleide sich weinend und beschämt nach der herankommenden Wahrheit umblickt.
Apelles, der hochbegabte und geistvolle Hofmaler Alexanders, war der eigentliche
Begründer dieses Kunstverderbs, und rasch folgte sogar auch die Sculptur, die
doch noch weit enger als die Malerei an die Wirklichkeit gebunden ist. Nun
schuf Lysipp seinen „günstigen Augenblick", mit geflügelten Füßen aus den
Zehen vorbeieilend, das Scheermesser in der Hand, das auf das Haarscharfe des
entscheidenden Moments deuten soll; vorn an der Stirnlocke mußte man ihn
fassen, denn war er einmal vorbei, der Hinterkopf war kahl und ließ sich nicht
packen. Ja bis zur völligen Rebusschöpfung verstieg sich diese Programmkunst,
als der Syrerkönig Antiochus, der den Taurus von Räubern gereinigt
hatte, sich als Bezwinger eines Stieres (Taurus) darstellen ließ! Solche Künste¬
leien fanden natürlich auch bei den römischen Kaisern willige Aufnahme, sie
haben immer geblüht, wo die Künstler im Solde prunk- und ruhmliebender
Monarchen schassen mußten, wohl nie schlimmer als am Hofe Ludwigs XIV.
Von diesem verbreitete sich das Uebel an alle die Höfe, welche in Versailles
das höchste Muster erblickten; wie hätte Dresden zurückbleiben sollen? In sol¬
cher Umgebung erwarb Winckelmann seine ersten Kunstanschauungen, er wurde
darin bestärkt durch allegorisirende Künstler wie Oeser; kein Wunder wenn
selbst er sich, so wenig wie noch später Goethe, von der Vorliebe für solche
„sinnvolle und beziehungsreiche" Symbolik lossagen konnte. Es ist das nicht
die einzige Seite, nach welcher er der sogenannten akademischen Kunst Vorschub
geleistet hat. So kam es denn, daß er den Plan zu einem Werke über die
Allegorie während seines ganzen römischen Aufenthalts unausgesetzt hegte und
pflegte; der enge Verkehr mit Raphael Mengs. den er über alle neueren Maler,
Raphael Scuti nicht ausgenommen, stellte, konnte für diese Liebhaberei nur
förderlich sein. Bereits im Sommer 1739 finden wir ihn an der Ausarbeitung
des Werkes, dem er einen nur mäßigen Umfang geben wollte, und das er zu
einem Handbuch für Künstler bestimmte, nicht für Gelehrte. Andre Arbeiten,
namentlich die Kunstgeschichte, ließen die Allegorie wieder zurücktreten, ohne daß
sie doch jemals ganz bei Seite gelegt war. Erst nach Vollendung der Kunst¬
geschichte, im Herbst 1762, begann Winckelmann nach einer schweren Krankheit
die Arbeit ernstlicher vorzunehmen, die nun neben den Vorarbeiten zu den rno-
vumcmti ineäiti gefördert ward. Bald war er mit der Disposition im Reinen,
und obwohl bei der Einzelausführung die Schwierigkeiten sich nur häuften,
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Die Grenzboten. Jg. 26, 1867, II. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341805_191229/506>, abgerufen am 24.01.2025.
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