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Die Grenzboten. Jg. 26, 1867, II. Semester. I. Band.

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einzuschränken verpflichtet war? Gar nicht; er begnügt sich fortzufahren: "Wie
sehr aber Winckelmann selbst an seinem Buche hing, das beweisen die zahlrei¬
chen Zusätze, mit denen er während der letzten zwei Jahre seines Lebens sein
Handexemplar ausstattete." Winckelmann ist bei allen seinen Schriften nie
müde geworden, auch nach ihrem Erscheinen zu bessern und nachzutragen. Mit
Zusätzen stattet man ja wohl überhaupt auch weniger gelungene Arbeiten aus,
vielleicht sogar diese um so mehr, je besscrungsbedürftiger sie erscheinen. Jeden¬
falls erhellt Winkelmanns Vorliebe für jene Schrift viel deutlicher aus zahl¬
reichen Briefen: in einem nennt er sie gradezu seine beste Arbeit, er schreibt
sie deutsch und nicht italienisch, weil er hofft mit ihr "den Deutschen etwas
zu geben, was unsere Nachbarn nicht aufweisen können". In der Th.it hat
er an diesem Werke fast sein ganzes literarisches Leben hindurch "gedacht und
gemcirtelt".

Schon in seiner Erstlingsschrift, den "Gedanken über die Nachahmung der
griechischen Werke in der Malerei und Bildhauerkunst" (1755), welche den be¬
rühmten Satz von der edlen Einfalt und stillen Größe als Hauptmerkmalen
der griechischen Kunst aufstellte, also schon in Dresden, hatte Winckelmann sich
mit der Allegorie beschäftigt und in ihr das Mittel gesunden, der bloßen sinn¬
lichen Form einen vollen übersinnlichen Gedankeninhalt zu verleiben, wobei er
freilich das Wort Allegorie in dem denkbar weitesten Sinne auffaßt. Vor¬
trefflich hat Justi in seinem schönen Buche über Winckelmann die UnHaltbarkeit
dieser Ansicht dargelegt und ebenso darauf hingewiesen, wie wenig dieser Ab¬
schnitt der genannten Schrift mit den übrigen Grundgedanken derselben über¬
einstimmt. Hier ist eben der Punkt, wo auch Winckelmann. der bahnbrechende
Forscher und Seher auf dem Gebiet des Kunstgefühls und Kunstverständnisses,
sich von den allgemeinen Anschauungen seiner Zeit abhängig erweist, "der mensch¬
lichen Schwachheit seinen Tribut entrichte!". Die Allegorie d. h. der Ausdruck
von allgemeinen Gedanken, die sich directer künstlerischer Darstellung entziehen,
durch fremde nur andeutende und daher erst auszudeutende Zeichen ist ihrem inner¬
sten Wesen nach unkünstlerisch, ganz entsprechend der neumodischen Programm-
Musik. Sie ist denn auch in die bildende Kunst der Griechen erst eingedrungen,
als die freie und selbständige Schöpfungskraft mehr und mehr erlosch und äußere
Einflüsse auf die Kunst bestimmend einzuwirken begannen. Ein irgendwie erheb,
l'cher Gebrauch derselben läßt sich kaum vor Alexander dem Großen nachweisen
dann aber bemächtigt sich die Hofkunst dieses bequemen Mittels, um zu schmei¬
cheln, um auf Umwegen Dinge anzudeuten, welche gradezu auszusprechen nicht
gerathen schien, um Geist, Esprit zu entfalten, wo es an neuen wahrhaft künst¬
lerischen Ideen gebrach. Jetzt wird ein Ruhm darein gesetzt "Dinge zu malen,
die sich gar nicht malen lassen", Donner, Blitz und Wetterschlag in ausgeführten
Personificationen, das gefesselte Bild des Krieges im Triumphzug Alexanders,


einzuschränken verpflichtet war? Gar nicht; er begnügt sich fortzufahren: „Wie
sehr aber Winckelmann selbst an seinem Buche hing, das beweisen die zahlrei¬
chen Zusätze, mit denen er während der letzten zwei Jahre seines Lebens sein
Handexemplar ausstattete." Winckelmann ist bei allen seinen Schriften nie
müde geworden, auch nach ihrem Erscheinen zu bessern und nachzutragen. Mit
Zusätzen stattet man ja wohl überhaupt auch weniger gelungene Arbeiten aus,
vielleicht sogar diese um so mehr, je besscrungsbedürftiger sie erscheinen. Jeden¬
falls erhellt Winkelmanns Vorliebe für jene Schrift viel deutlicher aus zahl¬
reichen Briefen: in einem nennt er sie gradezu seine beste Arbeit, er schreibt
sie deutsch und nicht italienisch, weil er hofft mit ihr „den Deutschen etwas
zu geben, was unsere Nachbarn nicht aufweisen können". In der Th.it hat
er an diesem Werke fast sein ganzes literarisches Leben hindurch „gedacht und
gemcirtelt".

Schon in seiner Erstlingsschrift, den „Gedanken über die Nachahmung der
griechischen Werke in der Malerei und Bildhauerkunst" (1755), welche den be¬
rühmten Satz von der edlen Einfalt und stillen Größe als Hauptmerkmalen
der griechischen Kunst aufstellte, also schon in Dresden, hatte Winckelmann sich
mit der Allegorie beschäftigt und in ihr das Mittel gesunden, der bloßen sinn¬
lichen Form einen vollen übersinnlichen Gedankeninhalt zu verleiben, wobei er
freilich das Wort Allegorie in dem denkbar weitesten Sinne auffaßt. Vor¬
trefflich hat Justi in seinem schönen Buche über Winckelmann die UnHaltbarkeit
dieser Ansicht dargelegt und ebenso darauf hingewiesen, wie wenig dieser Ab¬
schnitt der genannten Schrift mit den übrigen Grundgedanken derselben über¬
einstimmt. Hier ist eben der Punkt, wo auch Winckelmann. der bahnbrechende
Forscher und Seher auf dem Gebiet des Kunstgefühls und Kunstverständnisses,
sich von den allgemeinen Anschauungen seiner Zeit abhängig erweist, „der mensch¬
lichen Schwachheit seinen Tribut entrichte!". Die Allegorie d. h. der Ausdruck
von allgemeinen Gedanken, die sich directer künstlerischer Darstellung entziehen,
durch fremde nur andeutende und daher erst auszudeutende Zeichen ist ihrem inner¬
sten Wesen nach unkünstlerisch, ganz entsprechend der neumodischen Programm-
Musik. Sie ist denn auch in die bildende Kunst der Griechen erst eingedrungen,
als die freie und selbständige Schöpfungskraft mehr und mehr erlosch und äußere
Einflüsse auf die Kunst bestimmend einzuwirken begannen. Ein irgendwie erheb,
l'cher Gebrauch derselben läßt sich kaum vor Alexander dem Großen nachweisen
dann aber bemächtigt sich die Hofkunst dieses bequemen Mittels, um zu schmei¬
cheln, um auf Umwegen Dinge anzudeuten, welche gradezu auszusprechen nicht
gerathen schien, um Geist, Esprit zu entfalten, wo es an neuen wahrhaft künst¬
lerischen Ideen gebrach. Jetzt wird ein Ruhm darein gesetzt „Dinge zu malen,
die sich gar nicht malen lassen", Donner, Blitz und Wetterschlag in ausgeführten
Personificationen, das gefesselte Bild des Krieges im Triumphzug Alexanders,


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 26, 1867, II. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341805_191229/505>, abgerufen am 15.01.2025.