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Die Grenzboten. Jg. 26, 1867, II. Semester. I. Band.

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fallor der Truppentheile anlangt, so stellte Miljutin sich mit Entschiedenheit auf
den Boden des Systems der Reserven; schon die Rücksicht auf die ungünstige
Finanzlage, in welcher der neue Kriegsminister das russische Reich vorfand,
machte es nothwendig, dies ungeheure stehende Heer, an das man sich zur
Zeit Nikolaus gewöhnt hatte, zu reduciren. Häufige Aushebungen und kurze
Dienstzeiten, die es ermöglichten, den größten Theil der militärpflichtigen Be¬
völkerung (in Rußland besteht dieselbe bekanntlich nur aus dem Landvolk und
den städtischen Kleinbürgern und Proletariern) durch die Armee gehen zu lassen
und im Kriegsfall unter die Fahnen zu rufen, traten sofort nach Aufhebung
der Leibeigenschaft ins Leben. Bei der demgemäß vorgenommenen Umgestaltung
ging man von zwei Hauptgestchtspunkten aus. 1. Bei dem Uebergang vom
Friedens- auf den Kriegsfuß dürfen keine neue Heerestheile gebildet werden,
sondern nur Completirungen der vorhandenen stattfinden. 2. Zur Einstellung
in die active, für den Krieg bestimmte Armee dürfen nur bereits geschulte und
dann als Reservisten entlassene Leute verwendet werden; die Anzahl dieser Leute
bildet die Differenz zwischen der Friedens- und der Kriegsstärke. Die neu aus¬
gehobenen Rekruten treten nie, auch nicht in Friedenszeiten in die active Armee;
ihre Ausbildung und Einschulung findet in den Reservebataillonen statt. End¬
lich muß das Material an Munition, Waffen u. s. w. auch im Frieden so
reichlich vorhanden sein, daß es nöthigenfalls für die gesammte (Kriegs-) Stärke
der Armee ausreicht.

Durch Adoption des Systems der Reserven wurde zugleich die Möglichkeit
geboten, trotz Herabsetzung der Gesammtsumme der unter den Waffenbcsindlichen
Soldaten und entsprechender Reductionen der einzelnen Regimenter und Bataillone,
die Zahl der Truppenkörper und militärischen Einheiten beträchtlich zu erhöhen.
Zu den 28 Infanteriedivisionen, welche vor 1862 bestanden, kamen 18 neue
Divistonen hinzu; das Total der russischen regulären Infanterie beläuft sich
somit auf 46 Divisionen, ohne daß das Militärbudget in entsprechendem Ma߬
stabe gewachsen wäre, denn ein Theil der Soldaten ist als Reserve entlassen
und fällt dem Staate nicht mehr zur Last. Behufs eines allmäligen Ueber-
gangs von der Friedens- zur Kriegsstärke und um unvorhergesehenen Fällen,
Wie sie in einem Reiche von der Ausdehnung des russischen unvermeidlich sind,
begegnen zu können, werden für das Bataillon, das in der Kriegsstärke 1000
Mann zählt, drei verschiedene Grade der Friedenspräsenzstärke 350, 600 und
680 Mann angenommen. In Zeiten tiefsten Friedens kann die Zahl der ms-
fischen Soldaten somit auf ein Drittel herabgesetzt, zu Kriegszeiten verdreifacht
werden u. s. w. Um die Lücken, welche nach Ausbruch des Krieges oder nach
den Verlusten der ersten Schlacht nothwendigerweise in der activen Armee ent¬
stehen, nicht anders als mit bereits geübten Leuten auszufüllen, bestehen 82


Grenzboten III. 18K7. 62

fallor der Truppentheile anlangt, so stellte Miljutin sich mit Entschiedenheit auf
den Boden des Systems der Reserven; schon die Rücksicht auf die ungünstige
Finanzlage, in welcher der neue Kriegsminister das russische Reich vorfand,
machte es nothwendig, dies ungeheure stehende Heer, an das man sich zur
Zeit Nikolaus gewöhnt hatte, zu reduciren. Häufige Aushebungen und kurze
Dienstzeiten, die es ermöglichten, den größten Theil der militärpflichtigen Be¬
völkerung (in Rußland besteht dieselbe bekanntlich nur aus dem Landvolk und
den städtischen Kleinbürgern und Proletariern) durch die Armee gehen zu lassen
und im Kriegsfall unter die Fahnen zu rufen, traten sofort nach Aufhebung
der Leibeigenschaft ins Leben. Bei der demgemäß vorgenommenen Umgestaltung
ging man von zwei Hauptgestchtspunkten aus. 1. Bei dem Uebergang vom
Friedens- auf den Kriegsfuß dürfen keine neue Heerestheile gebildet werden,
sondern nur Completirungen der vorhandenen stattfinden. 2. Zur Einstellung
in die active, für den Krieg bestimmte Armee dürfen nur bereits geschulte und
dann als Reservisten entlassene Leute verwendet werden; die Anzahl dieser Leute
bildet die Differenz zwischen der Friedens- und der Kriegsstärke. Die neu aus¬
gehobenen Rekruten treten nie, auch nicht in Friedenszeiten in die active Armee;
ihre Ausbildung und Einschulung findet in den Reservebataillonen statt. End¬
lich muß das Material an Munition, Waffen u. s. w. auch im Frieden so
reichlich vorhanden sein, daß es nöthigenfalls für die gesammte (Kriegs-) Stärke
der Armee ausreicht.

Durch Adoption des Systems der Reserven wurde zugleich die Möglichkeit
geboten, trotz Herabsetzung der Gesammtsumme der unter den Waffenbcsindlichen
Soldaten und entsprechender Reductionen der einzelnen Regimenter und Bataillone,
die Zahl der Truppenkörper und militärischen Einheiten beträchtlich zu erhöhen.
Zu den 28 Infanteriedivisionen, welche vor 1862 bestanden, kamen 18 neue
Divistonen hinzu; das Total der russischen regulären Infanterie beläuft sich
somit auf 46 Divisionen, ohne daß das Militärbudget in entsprechendem Ma߬
stabe gewachsen wäre, denn ein Theil der Soldaten ist als Reserve entlassen
und fällt dem Staate nicht mehr zur Last. Behufs eines allmäligen Ueber-
gangs von der Friedens- zur Kriegsstärke und um unvorhergesehenen Fällen,
Wie sie in einem Reiche von der Ausdehnung des russischen unvermeidlich sind,
begegnen zu können, werden für das Bataillon, das in der Kriegsstärke 1000
Mann zählt, drei verschiedene Grade der Friedenspräsenzstärke 350, 600 und
680 Mann angenommen. In Zeiten tiefsten Friedens kann die Zahl der ms-
fischen Soldaten somit auf ein Drittel herabgesetzt, zu Kriegszeiten verdreifacht
werden u. s. w. Um die Lücken, welche nach Ausbruch des Krieges oder nach
den Verlusten der ersten Schlacht nothwendigerweise in der activen Armee ent¬
stehen, nicht anders als mit bereits geübten Leuten auszufüllen, bestehen 82


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[0499] fallor der Truppentheile anlangt, so stellte Miljutin sich mit Entschiedenheit auf den Boden des Systems der Reserven; schon die Rücksicht auf die ungünstige Finanzlage, in welcher der neue Kriegsminister das russische Reich vorfand, machte es nothwendig, dies ungeheure stehende Heer, an das man sich zur Zeit Nikolaus gewöhnt hatte, zu reduciren. Häufige Aushebungen und kurze Dienstzeiten, die es ermöglichten, den größten Theil der militärpflichtigen Be¬ völkerung (in Rußland besteht dieselbe bekanntlich nur aus dem Landvolk und den städtischen Kleinbürgern und Proletariern) durch die Armee gehen zu lassen und im Kriegsfall unter die Fahnen zu rufen, traten sofort nach Aufhebung der Leibeigenschaft ins Leben. Bei der demgemäß vorgenommenen Umgestaltung ging man von zwei Hauptgestchtspunkten aus. 1. Bei dem Uebergang vom Friedens- auf den Kriegsfuß dürfen keine neue Heerestheile gebildet werden, sondern nur Completirungen der vorhandenen stattfinden. 2. Zur Einstellung in die active, für den Krieg bestimmte Armee dürfen nur bereits geschulte und dann als Reservisten entlassene Leute verwendet werden; die Anzahl dieser Leute bildet die Differenz zwischen der Friedens- und der Kriegsstärke. Die neu aus¬ gehobenen Rekruten treten nie, auch nicht in Friedenszeiten in die active Armee; ihre Ausbildung und Einschulung findet in den Reservebataillonen statt. End¬ lich muß das Material an Munition, Waffen u. s. w. auch im Frieden so reichlich vorhanden sein, daß es nöthigenfalls für die gesammte (Kriegs-) Stärke der Armee ausreicht. Durch Adoption des Systems der Reserven wurde zugleich die Möglichkeit geboten, trotz Herabsetzung der Gesammtsumme der unter den Waffenbcsindlichen Soldaten und entsprechender Reductionen der einzelnen Regimenter und Bataillone, die Zahl der Truppenkörper und militärischen Einheiten beträchtlich zu erhöhen. Zu den 28 Infanteriedivisionen, welche vor 1862 bestanden, kamen 18 neue Divistonen hinzu; das Total der russischen regulären Infanterie beläuft sich somit auf 46 Divisionen, ohne daß das Militärbudget in entsprechendem Ma߬ stabe gewachsen wäre, denn ein Theil der Soldaten ist als Reserve entlassen und fällt dem Staate nicht mehr zur Last. Behufs eines allmäligen Ueber- gangs von der Friedens- zur Kriegsstärke und um unvorhergesehenen Fällen, Wie sie in einem Reiche von der Ausdehnung des russischen unvermeidlich sind, begegnen zu können, werden für das Bataillon, das in der Kriegsstärke 1000 Mann zählt, drei verschiedene Grade der Friedenspräsenzstärke 350, 600 und 680 Mann angenommen. In Zeiten tiefsten Friedens kann die Zahl der ms- fischen Soldaten somit auf ein Drittel herabgesetzt, zu Kriegszeiten verdreifacht werden u. s. w. Um die Lücken, welche nach Ausbruch des Krieges oder nach den Verlusten der ersten Schlacht nothwendigerweise in der activen Armee ent¬ stehen, nicht anders als mit bereits geübten Leuten auszufüllen, bestehen 82 Grenzboten III. 18K7. 62

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 26, 1867, II. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341805_191229/499>, abgerufen am 15.01.2025.