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Die Grenzboten. Jg. 26, 1867, II. Semester. I. Band.

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auf derH.rud liegt, unmögliä', die Zahl der Truppentheile zu erhöhen, wenn man die
Fricdenspräsenz herabsetzte und zweitens blieben die Bedenken gegen neue Aus¬
hebungen (wegen der mit diesen verbundenen Emancipationen) fortbestehen; die
Hauptsache aber war, daß das damalige System, Dank der Härte der Behandlung
der Leute, der endlosen Länge ihrer Dienstzeit und der Erbärmlichkeit ihrer Ver¬
pflegung, nicht im Stande war, aus den Soldaten wirkliche Krieger zu machen;
da die Leute nur durch die Macht des Zwangs und der Gewohnheit unter den
Waffen gehalten wurden und in der Regel das Kriegshandwerk, zu welchem sie
gezwungen worden, verabscheuten, -- verwilderten und entwöhnten sie sich bei
einem längeren Urlaub so rasch, daß sie bei der Wiedereinberufung in jeder
Beziehung minder tauglich waren als selbst die Neunter.

Diese Einwirkungen der Leibeigenschaft auf das Wehrsystcm waren aber
nicht die einzigen, mit welchen die Kriegsminister des iuieion r6Zimv zu kämpfen
hatten. Die stete Besorgniß vor Bauernaufständen, die den künstlichen Damm
der bestehenden Mißordnung durchbrachen, machte es nothwendig, eine ganze
Armee lediglich zur Aufrechterhaltung der Ruhe in den innern Gouvernements
zu unterhalten. Das sogenannte Corps der innern Wache, dem diese Aufgabe
zugewiesen war und das -- auch während des Krimkriegs -- niemals ins
Feld gebracht wurde oder gebracht werden konnte, betrug im Jahre 1853 nicht
weniger als 180,000 Mann. Eine zweite Armee gegen innere Feinde mußte
beständig in Polen stehen. Dazu kam, daß bei dem, wiederum durch das Leib¬
eigenschaftssystem bedingten, Mangel gesunden wirthschaftlichen Lebens keine
Fabrik'production da war, welche auch nur die Bedürfnisse der Armee genügend
bestreiten konnte; was das Heer brauchte wurde der Hauptsache nach von Leuten
gearbeitet, die gleichfalls als Soldaten zählten und vom Staat erhalten werden
mußten, ein Verhältniß, das weder ihnen selbst, noch der Güte ihrer Arbeit,
oder dem finanziellen Interesse der Regierung zu Gute kam, den Soldaten¬
ballast vermehrte, die Schlagfertigkeit und Beweglichkeit des Heeres minderte.

Bei so bewandten Umständen war es erklärlich, daß die Erfahrungen, welche
man im Krimkriege machte, einem Bankerott des alten Systems nahe kamen;
bei der ungeheuren Ausdehnung und den ungünstigen Bevölkerungsverhältnissen
des Reichs, der Corruption und Weitläufigkeit der Verwaltung, dem gänzlichen
Mangel an brauchbaren Communicationswegen und einem Zustande allgemeiner
Unfreiheit, der alle Bewegungen der Militär- wie der CivUverwaltung lähmte,
wäre ein glücklicher Ausgang, d. h. eine Lösung der orientalischen Frage im
russischen Sinne, überhaupt nicht möglich gewesen. Daß man aber selbst Se¬
wastopol nicht halten konnte und außer Stande war, dem relativ kleinen fran¬
zösisch-englischen Expeditionskorps eine brauchbare Armee entgegenzusetzen, hatte
seinen besonderen Grund. Dieser lag in dem zähen Festhalten an einer längst
veralteten taktischen Methode, einem Exercierreglement, dessen letzter Zweck nicht


auf derH.rud liegt, unmögliä', die Zahl der Truppentheile zu erhöhen, wenn man die
Fricdenspräsenz herabsetzte und zweitens blieben die Bedenken gegen neue Aus¬
hebungen (wegen der mit diesen verbundenen Emancipationen) fortbestehen; die
Hauptsache aber war, daß das damalige System, Dank der Härte der Behandlung
der Leute, der endlosen Länge ihrer Dienstzeit und der Erbärmlichkeit ihrer Ver¬
pflegung, nicht im Stande war, aus den Soldaten wirkliche Krieger zu machen;
da die Leute nur durch die Macht des Zwangs und der Gewohnheit unter den
Waffen gehalten wurden und in der Regel das Kriegshandwerk, zu welchem sie
gezwungen worden, verabscheuten, — verwilderten und entwöhnten sie sich bei
einem längeren Urlaub so rasch, daß sie bei der Wiedereinberufung in jeder
Beziehung minder tauglich waren als selbst die Neunter.

Diese Einwirkungen der Leibeigenschaft auf das Wehrsystcm waren aber
nicht die einzigen, mit welchen die Kriegsminister des iuieion r6Zimv zu kämpfen
hatten. Die stete Besorgniß vor Bauernaufständen, die den künstlichen Damm
der bestehenden Mißordnung durchbrachen, machte es nothwendig, eine ganze
Armee lediglich zur Aufrechterhaltung der Ruhe in den innern Gouvernements
zu unterhalten. Das sogenannte Corps der innern Wache, dem diese Aufgabe
zugewiesen war und das — auch während des Krimkriegs — niemals ins
Feld gebracht wurde oder gebracht werden konnte, betrug im Jahre 1853 nicht
weniger als 180,000 Mann. Eine zweite Armee gegen innere Feinde mußte
beständig in Polen stehen. Dazu kam, daß bei dem, wiederum durch das Leib¬
eigenschaftssystem bedingten, Mangel gesunden wirthschaftlichen Lebens keine
Fabrik'production da war, welche auch nur die Bedürfnisse der Armee genügend
bestreiten konnte; was das Heer brauchte wurde der Hauptsache nach von Leuten
gearbeitet, die gleichfalls als Soldaten zählten und vom Staat erhalten werden
mußten, ein Verhältniß, das weder ihnen selbst, noch der Güte ihrer Arbeit,
oder dem finanziellen Interesse der Regierung zu Gute kam, den Soldaten¬
ballast vermehrte, die Schlagfertigkeit und Beweglichkeit des Heeres minderte.

Bei so bewandten Umständen war es erklärlich, daß die Erfahrungen, welche
man im Krimkriege machte, einem Bankerott des alten Systems nahe kamen;
bei der ungeheuren Ausdehnung und den ungünstigen Bevölkerungsverhältnissen
des Reichs, der Corruption und Weitläufigkeit der Verwaltung, dem gänzlichen
Mangel an brauchbaren Communicationswegen und einem Zustande allgemeiner
Unfreiheit, der alle Bewegungen der Militär- wie der CivUverwaltung lähmte,
wäre ein glücklicher Ausgang, d. h. eine Lösung der orientalischen Frage im
russischen Sinne, überhaupt nicht möglich gewesen. Daß man aber selbst Se¬
wastopol nicht halten konnte und außer Stande war, dem relativ kleinen fran¬
zösisch-englischen Expeditionskorps eine brauchbare Armee entgegenzusetzen, hatte
seinen besonderen Grund. Dieser lag in dem zähen Festhalten an einer längst
veralteten taktischen Methode, einem Exercierreglement, dessen letzter Zweck nicht


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 26, 1867, II. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341805_191229/496>, abgerufen am 15.01.2025.