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Die Grenzboten. Jg. 26, 1867, II. Semester. I. Band.

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Die Noten, mittelst welcher der Pfordte die Niedersetzung einer Enquete¬
commission zur Prüfung der nautischen Zustände vorgeschlagen wird, waren
der Hauptsache nach schon früher beschlossen worden.

Der pariser Besuch des Sultans wird für die Antwort auf diesen Vor¬
schlag, an dessen Annahme England und Frankreich ebenso viel, als Nußland
wenig gelegen sein muß, entscheidend sein und eröffnet der Diplomatie der West,
machte ein weites Feld der Thätigkeit. Es ist sicher nicht zufällig, daß die pari-
ser Presse in letzter Zeit in Sachen des Orients ziemlich schweigsam gewesen
ist. dieser Ebbe soll beim Einzuge Abdul-Azizs in die französische Hauptstadt
eine journalistische Hochfluth folgen, um der Negierung neben andern Diensten
auch den der Ableitung des öffentlichen Interesses, von den Verhandlungen des
Corps legislativ zu leisten. Daß es für die Negierung nicht gerathen ist. die
Pariser auch nur einen Augenblick sich selbst und den eigenen Gedanken zu über¬
lassen, hat sich bei Gelegenheit der ersten Wiederaufführung des Jahre lang
verboten gewesenen hugoschen "Hcrnani" freilich deutlich gezeigt. Der Enthusias¬
mus, mit dem Presse und Publikum dieses mittelmäßige und dazu schlecht dar¬
gestellte Stück begrüßt haben, hat nicht der neuromantischen Schule der Restau¬
rationszeit, sondern dem nach Guernsey verbannten Autor des ,MpoI<zorr le
Mit" gegolten, einem Manne, der an und für sich alles Recht hätte, zu den
Todten gelegt zu sein. Bei der Oppositionslust, die in der gegenwärtigen pa¬
riser Luft liegt, und der deutlich bekundeten Absicht Thiers, Glaize-Bisoins,
Favres und der übrigen Repräsentanten der parlamentarischen Minorität werden
die Vorlagen über das neue Preßgesetz, das Versammlungsrecht und die Armee¬
reorganisation ^) manchen Sturm zu bestehen haben, ehe sie glücklich in den Ha¬
fen gelöthet sind. Selbst in regierungsfreundlichen Kreisen sieht man den Re¬
organisationsplan ziemlich mißgünstig an und Glaize-Bisoins höhnische Phrase
von dem Gesetz über die Versammlungsfreiheit, das nach einem Attentat auf
diese Freiheit aussehe, charakterisirt den Ton, in welchem man die Regierungs¬
concessionen von Seiten der Opposition zu behandeln gedenkt. Nach den neuesten
Nachrichten denkt der Kaiser bereits an Vertagung, wie die Jndependance belge
wissen will, an Auflösung der Kammer und Ausschreibung neuer Wahlen für
den Herbst. Da das Budget und das Militärgesetz aber jedenfalls vor der Ver¬
tagung discutirt werden sollen, kann die Beschäftigung mit einer zurückgelegten
Frage, wie der orientalischen, der Regierung nur willkommen sein; die Officiö-
sen haben bereits begonnen, dieselbe wieder in Wendung zu bringen.

Bis jetzt werden die müßigen Stunden der Pariser noch immer mit Be-



') Wir machen die Leser auf ein soeben erschienenes nach amtlichen Quellen bearbeitetes
Buch über "Das französische Heerwesen" von Hermann Pfister. Hauptmann K la,
suite u. s. w. (Kassel, bei Carl Luckhardt) aufmerksam.
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Die Noten, mittelst welcher der Pfordte die Niedersetzung einer Enquete¬
commission zur Prüfung der nautischen Zustände vorgeschlagen wird, waren
der Hauptsache nach schon früher beschlossen worden.

Der pariser Besuch des Sultans wird für die Antwort auf diesen Vor¬
schlag, an dessen Annahme England und Frankreich ebenso viel, als Nußland
wenig gelegen sein muß, entscheidend sein und eröffnet der Diplomatie der West,
machte ein weites Feld der Thätigkeit. Es ist sicher nicht zufällig, daß die pari-
ser Presse in letzter Zeit in Sachen des Orients ziemlich schweigsam gewesen
ist. dieser Ebbe soll beim Einzuge Abdul-Azizs in die französische Hauptstadt
eine journalistische Hochfluth folgen, um der Negierung neben andern Diensten
auch den der Ableitung des öffentlichen Interesses, von den Verhandlungen des
Corps legislativ zu leisten. Daß es für die Negierung nicht gerathen ist. die
Pariser auch nur einen Augenblick sich selbst und den eigenen Gedanken zu über¬
lassen, hat sich bei Gelegenheit der ersten Wiederaufführung des Jahre lang
verboten gewesenen hugoschen „Hcrnani" freilich deutlich gezeigt. Der Enthusias¬
mus, mit dem Presse und Publikum dieses mittelmäßige und dazu schlecht dar¬
gestellte Stück begrüßt haben, hat nicht der neuromantischen Schule der Restau¬
rationszeit, sondern dem nach Guernsey verbannten Autor des ,MpoI<zorr le
Mit" gegolten, einem Manne, der an und für sich alles Recht hätte, zu den
Todten gelegt zu sein. Bei der Oppositionslust, die in der gegenwärtigen pa¬
riser Luft liegt, und der deutlich bekundeten Absicht Thiers, Glaize-Bisoins,
Favres und der übrigen Repräsentanten der parlamentarischen Minorität werden
die Vorlagen über das neue Preßgesetz, das Versammlungsrecht und die Armee¬
reorganisation ^) manchen Sturm zu bestehen haben, ehe sie glücklich in den Ha¬
fen gelöthet sind. Selbst in regierungsfreundlichen Kreisen sieht man den Re¬
organisationsplan ziemlich mißgünstig an und Glaize-Bisoins höhnische Phrase
von dem Gesetz über die Versammlungsfreiheit, das nach einem Attentat auf
diese Freiheit aussehe, charakterisirt den Ton, in welchem man die Regierungs¬
concessionen von Seiten der Opposition zu behandeln gedenkt. Nach den neuesten
Nachrichten denkt der Kaiser bereits an Vertagung, wie die Jndependance belge
wissen will, an Auflösung der Kammer und Ausschreibung neuer Wahlen für
den Herbst. Da das Budget und das Militärgesetz aber jedenfalls vor der Ver¬
tagung discutirt werden sollen, kann die Beschäftigung mit einer zurückgelegten
Frage, wie der orientalischen, der Regierung nur willkommen sein; die Officiö-
sen haben bereits begonnen, dieselbe wieder in Wendung zu bringen.

Bis jetzt werden die müßigen Stunden der Pariser noch immer mit Be-



') Wir machen die Leser auf ein soeben erschienenes nach amtlichen Quellen bearbeitetes
Buch über „Das französische Heerwesen" von Hermann Pfister. Hauptmann K la,
suite u. s. w. (Kassel, bei Carl Luckhardt) aufmerksam.
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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 26, 1867, II. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341805_191229/45>, abgerufen am 15.01.2025.