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Die Grenzboten. Jg. 26, 1867, II. Semester. I. Band.

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Indiskretion sind -jene Punctationen doch ans Licht gekommen. Nach Schluß
des Landtags sind dann die Unterhandlungen mit Preußen forgeführt, und ist
der Vertrag, vorbehaltlich der Zustimmung der beiderseitigen Landesvertrctungen,
abgeschlossen und ratisicirt worden. Gutem Vernehmen nach enthält derselbe
einige Abänderungen und Zusätze zu dem ursprünglichen Entwurf; im Allge¬
meinen aber ist er mit jenem in Einklang geblieben.

Der Inhalt des Vertrags beruht wesentlich in folgenden Punkten:

1. Die waidecksche Verfassung bleibt bestehen. Die bisher dem Fürsten
zustehende Staatsgewalt geht auf den König über. Die Verwaltung geschieht
überall durch königliche Beamte. Preußen bezieht sämmtliche Staatseinnahmen
und bestreitet alle Staatsausgaben.

2. Der Staat Waldeck verzichtet zu Gunsten des Fürsten nicht nur auf
das Domanialvermögen, dessen Eigenthum zwischen Fürst und Land streitig ist,
sondern auch auf das unbestrittene Staatsvermögen (das im Jahre 1848 ein¬
gezogene Stift Schalen).

3. Die Zustimmung des Fürsten bleibt erforderlich zu allen Gesetzen, aus¬
genommen zu den die Organisation der Justiz und Verwaltung betreffenden.
Außerdem behält der Fürst das Begnadigungsrecht und die geistlichen Angele¬
genheiten.

Der Vertrag soll am 1. Januar 1868, nominell auf 10 Jahre, in Kraft
treten, und nach Ablauf dieser Frist -- als auf weitere 10 Jahre verlängert
angesehen werden, wenn nicht wenigstens 1 Jahr vorher von einem oder dem
andern Theile Kündigung erfolgt. Seine ganze Natur aber ergiebt die positive
Unmöglichkeit, nach einer etwaigen Kündigung den alten Zustand wieder eintreten
zu lassen. Außerdem liegt die Annahme nahe, daß Preußen sich durch eine
besondere Verabredung gegen eine Kündigung seitens des Fürsten sicher gestellt
hat. daß die Ueberleitung dieses Zustandes in die vollständige Einverleibung
nur von dem Belieben Preußens abhängt. So ist denn die von unsern Gou-
vernementalen so hoch gepriesene Versicherung des Fürsten, daß die Rechte des
Landes am Staatsgute nach dem Ablauf des Vertrags wieder aufleben sollen,
ganz werthlos. Offen herausgesagt: ist die Accession unter Zustimmung der
waldeckschen Stände einmal durchgeführt, so ist das gute Recht des Landes
beseitigt.

Soviel erkennt demnach jeder Unbefangene: das waldecksche Land und
Volk ist die übervortheilte Partei.

Es heißt: Preußen bezieht sämmtliche Staatseinnahmen und bestreitet
sämmtliche Staatsausgaben. Offenbar also: wenn die Staatseinnahmen zu
den nothwendigen Ausgaben nicht ausreichen, soll Preußen aus seiner Tasche
nachzählen. Wohl scheint dies für Waldeck eine ungemein günstige Bestimmung,
näher besehen schwindet jedoch die Illusion durchaus. In dem 1865. also vor


Indiskretion sind -jene Punctationen doch ans Licht gekommen. Nach Schluß
des Landtags sind dann die Unterhandlungen mit Preußen forgeführt, und ist
der Vertrag, vorbehaltlich der Zustimmung der beiderseitigen Landesvertrctungen,
abgeschlossen und ratisicirt worden. Gutem Vernehmen nach enthält derselbe
einige Abänderungen und Zusätze zu dem ursprünglichen Entwurf; im Allge¬
meinen aber ist er mit jenem in Einklang geblieben.

Der Inhalt des Vertrags beruht wesentlich in folgenden Punkten:

1. Die waidecksche Verfassung bleibt bestehen. Die bisher dem Fürsten
zustehende Staatsgewalt geht auf den König über. Die Verwaltung geschieht
überall durch königliche Beamte. Preußen bezieht sämmtliche Staatseinnahmen
und bestreitet alle Staatsausgaben.

2. Der Staat Waldeck verzichtet zu Gunsten des Fürsten nicht nur auf
das Domanialvermögen, dessen Eigenthum zwischen Fürst und Land streitig ist,
sondern auch auf das unbestrittene Staatsvermögen (das im Jahre 1848 ein¬
gezogene Stift Schalen).

3. Die Zustimmung des Fürsten bleibt erforderlich zu allen Gesetzen, aus¬
genommen zu den die Organisation der Justiz und Verwaltung betreffenden.
Außerdem behält der Fürst das Begnadigungsrecht und die geistlichen Angele¬
genheiten.

Der Vertrag soll am 1. Januar 1868, nominell auf 10 Jahre, in Kraft
treten, und nach Ablauf dieser Frist — als auf weitere 10 Jahre verlängert
angesehen werden, wenn nicht wenigstens 1 Jahr vorher von einem oder dem
andern Theile Kündigung erfolgt. Seine ganze Natur aber ergiebt die positive
Unmöglichkeit, nach einer etwaigen Kündigung den alten Zustand wieder eintreten
zu lassen. Außerdem liegt die Annahme nahe, daß Preußen sich durch eine
besondere Verabredung gegen eine Kündigung seitens des Fürsten sicher gestellt
hat. daß die Ueberleitung dieses Zustandes in die vollständige Einverleibung
nur von dem Belieben Preußens abhängt. So ist denn die von unsern Gou-
vernementalen so hoch gepriesene Versicherung des Fürsten, daß die Rechte des
Landes am Staatsgute nach dem Ablauf des Vertrags wieder aufleben sollen,
ganz werthlos. Offen herausgesagt: ist die Accession unter Zustimmung der
waldeckschen Stände einmal durchgeführt, so ist das gute Recht des Landes
beseitigt.

Soviel erkennt demnach jeder Unbefangene: das waldecksche Land und
Volk ist die übervortheilte Partei.

Es heißt: Preußen bezieht sämmtliche Staatseinnahmen und bestreitet
sämmtliche Staatsausgaben. Offenbar also: wenn die Staatseinnahmen zu
den nothwendigen Ausgaben nicht ausreichen, soll Preußen aus seiner Tasche
nachzählen. Wohl scheint dies für Waldeck eine ungemein günstige Bestimmung,
näher besehen schwindet jedoch die Illusion durchaus. In dem 1865. also vor


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[0415] Indiskretion sind -jene Punctationen doch ans Licht gekommen. Nach Schluß des Landtags sind dann die Unterhandlungen mit Preußen forgeführt, und ist der Vertrag, vorbehaltlich der Zustimmung der beiderseitigen Landesvertrctungen, abgeschlossen und ratisicirt worden. Gutem Vernehmen nach enthält derselbe einige Abänderungen und Zusätze zu dem ursprünglichen Entwurf; im Allge¬ meinen aber ist er mit jenem in Einklang geblieben. Der Inhalt des Vertrags beruht wesentlich in folgenden Punkten: 1. Die waidecksche Verfassung bleibt bestehen. Die bisher dem Fürsten zustehende Staatsgewalt geht auf den König über. Die Verwaltung geschieht überall durch königliche Beamte. Preußen bezieht sämmtliche Staatseinnahmen und bestreitet alle Staatsausgaben. 2. Der Staat Waldeck verzichtet zu Gunsten des Fürsten nicht nur auf das Domanialvermögen, dessen Eigenthum zwischen Fürst und Land streitig ist, sondern auch auf das unbestrittene Staatsvermögen (das im Jahre 1848 ein¬ gezogene Stift Schalen). 3. Die Zustimmung des Fürsten bleibt erforderlich zu allen Gesetzen, aus¬ genommen zu den die Organisation der Justiz und Verwaltung betreffenden. Außerdem behält der Fürst das Begnadigungsrecht und die geistlichen Angele¬ genheiten. Der Vertrag soll am 1. Januar 1868, nominell auf 10 Jahre, in Kraft treten, und nach Ablauf dieser Frist — als auf weitere 10 Jahre verlängert angesehen werden, wenn nicht wenigstens 1 Jahr vorher von einem oder dem andern Theile Kündigung erfolgt. Seine ganze Natur aber ergiebt die positive Unmöglichkeit, nach einer etwaigen Kündigung den alten Zustand wieder eintreten zu lassen. Außerdem liegt die Annahme nahe, daß Preußen sich durch eine besondere Verabredung gegen eine Kündigung seitens des Fürsten sicher gestellt hat. daß die Ueberleitung dieses Zustandes in die vollständige Einverleibung nur von dem Belieben Preußens abhängt. So ist denn die von unsern Gou- vernementalen so hoch gepriesene Versicherung des Fürsten, daß die Rechte des Landes am Staatsgute nach dem Ablauf des Vertrags wieder aufleben sollen, ganz werthlos. Offen herausgesagt: ist die Accession unter Zustimmung der waldeckschen Stände einmal durchgeführt, so ist das gute Recht des Landes beseitigt. Soviel erkennt demnach jeder Unbefangene: das waldecksche Land und Volk ist die übervortheilte Partei. Es heißt: Preußen bezieht sämmtliche Staatseinnahmen und bestreitet sämmtliche Staatsausgaben. Offenbar also: wenn die Staatseinnahmen zu den nothwendigen Ausgaben nicht ausreichen, soll Preußen aus seiner Tasche nachzählen. Wohl scheint dies für Waldeck eine ungemein günstige Bestimmung, näher besehen schwindet jedoch die Illusion durchaus. In dem 1865. also vor

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 26, 1867, II. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341805_191229/415>, abgerufen am 15.01.2025.