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Die Grenzboten. Jg. 26, 1867, II. Semester. I. Band.

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higen, so hatten die Vertreter der Volksinteressen nur eine Pflicht: die Ableh¬
nung sans xdi-ÄLö. Es steht fest: die meisten, wenn nicht alle Mitglieder des
Landtages waren mit grade diesem Vorsatze in die Session eingetreten; nun
aber die Versuchung an sie herantrat, da wurde man schwach. Offen-
bar fürchtete man sich, die Dinge bis auf die Spitze zu treiben. Was die
Regierung bot, fand man nicht accevtabel; statt aber nunmehr den einfachsten und
nächstliegenden Weg einzuschlagen, verkroch man sich hinter nichtssagende Ver-
clausulirungen; statt den zerbrechlichen waldeckschen Staatskarren aus seinen
tausend Nöthen herauszureißen, schob man ihn in den Koth bis zum Versinken.

Fürwahr, die Kleinstaaterei ist ein Fluch für den politischen Sinn des
Volkes. Wo sie nicht ganz die politische Einsicht zerstört und die Leute
über eigene und fremde Zustände verblendet hat, da hat sie wenigstens die
Energie gebrochen, welche dazu gehört, das für nothwendig Erkannte rücksichts¬
los zum erwünschten Ziele zu führen. So hat sich auch der waldecksche Land-
tag einschüchtern lassen und jenen sinnlosen Beschluß gesaßt, über den jetzt nicht
allein das Volk, sondern nicht wenige der Landtagsmitglieder selbst sehr unan¬
genehm erstaunt sind. Der Beschluß hat aber dem waldeckschen Volk und dessen
Vertretern alle Macht aus den Händen genommen; es hilft jetzt nichts, sich
hinter die Behauptung zu stecken, die der Annahme der Bundesverfassung bei¬
gefügte Bedingung sei eine Suspensivbedingung; die Regierung habe deshalb
die Verfassung noch gar nicht publiciren dürfen, dieselbe bestehe somit in Wcildeck
gar nicht zu Recht. Diese Interpretation ist unmöglich: die Bedingung ist
ihrem Wortlaut und ihrer Entstehungsgeschichte nach eine Nesolutivbedingung.
Einerlei aber, die Clausel kann überhaupt nichts nützen, kann der Lage der
Verhältnisse nach die in Waldeck einmal eingeführte Bundesverfassung sicherlich
nicht wieder außer Geltung bringen. Statt daß die waldecksche Regierung, um
die drohende Wiederaufhebung der Verfassung zu vermeiden, gezwungen wäre,
einen dem Landtag annehmbar erscheinenden Vertrag vorzulegen, hat sich viel¬
mehr der Landtag in die Lage versetzt, jede ihm gemachte Proposition annehmen
zu müssen, wofern nur dadurch das Land von der Verpflichtung zur Zahlung
der unerschwinglichen Bundeslasten befreit wird.

Und war denn jener Accessionsvertrag wirklich so unannehmbar? -- So
fragt wohl der Leser, und so fragten auch wir gar oftmals >in jenen Tagen, die
über unser ganzes Wohl und Wehe entscheiden sollten. Aber allen unsern Fra¬
gen begegnete man mit tiefstem Schweigen. Die Regierung hatte verlangt, daß
die Verhandlungen geheim gehalten würden und der Landtag sich diesem Ver¬
langen ohne weiteres gefügt! In einer Angelegenheit von fundamentalster
Bedeutung, die nur unter allscitigster und freiester Discussion zu wenigstens
einigermaßen allgemeiner Befriedigung erledigt werden konnte, behandelte mau
das waldecksche Volk gleich einem unverständigen Kinde! -- Indeß durch eine


higen, so hatten die Vertreter der Volksinteressen nur eine Pflicht: die Ableh¬
nung sans xdi-ÄLö. Es steht fest: die meisten, wenn nicht alle Mitglieder des
Landtages waren mit grade diesem Vorsatze in die Session eingetreten; nun
aber die Versuchung an sie herantrat, da wurde man schwach. Offen-
bar fürchtete man sich, die Dinge bis auf die Spitze zu treiben. Was die
Regierung bot, fand man nicht accevtabel; statt aber nunmehr den einfachsten und
nächstliegenden Weg einzuschlagen, verkroch man sich hinter nichtssagende Ver-
clausulirungen; statt den zerbrechlichen waldeckschen Staatskarren aus seinen
tausend Nöthen herauszureißen, schob man ihn in den Koth bis zum Versinken.

Fürwahr, die Kleinstaaterei ist ein Fluch für den politischen Sinn des
Volkes. Wo sie nicht ganz die politische Einsicht zerstört und die Leute
über eigene und fremde Zustände verblendet hat, da hat sie wenigstens die
Energie gebrochen, welche dazu gehört, das für nothwendig Erkannte rücksichts¬
los zum erwünschten Ziele zu führen. So hat sich auch der waldecksche Land-
tag einschüchtern lassen und jenen sinnlosen Beschluß gesaßt, über den jetzt nicht
allein das Volk, sondern nicht wenige der Landtagsmitglieder selbst sehr unan¬
genehm erstaunt sind. Der Beschluß hat aber dem waldeckschen Volk und dessen
Vertretern alle Macht aus den Händen genommen; es hilft jetzt nichts, sich
hinter die Behauptung zu stecken, die der Annahme der Bundesverfassung bei¬
gefügte Bedingung sei eine Suspensivbedingung; die Regierung habe deshalb
die Verfassung noch gar nicht publiciren dürfen, dieselbe bestehe somit in Wcildeck
gar nicht zu Recht. Diese Interpretation ist unmöglich: die Bedingung ist
ihrem Wortlaut und ihrer Entstehungsgeschichte nach eine Nesolutivbedingung.
Einerlei aber, die Clausel kann überhaupt nichts nützen, kann der Lage der
Verhältnisse nach die in Waldeck einmal eingeführte Bundesverfassung sicherlich
nicht wieder außer Geltung bringen. Statt daß die waldecksche Regierung, um
die drohende Wiederaufhebung der Verfassung zu vermeiden, gezwungen wäre,
einen dem Landtag annehmbar erscheinenden Vertrag vorzulegen, hat sich viel¬
mehr der Landtag in die Lage versetzt, jede ihm gemachte Proposition annehmen
zu müssen, wofern nur dadurch das Land von der Verpflichtung zur Zahlung
der unerschwinglichen Bundeslasten befreit wird.

Und war denn jener Accessionsvertrag wirklich so unannehmbar? — So
fragt wohl der Leser, und so fragten auch wir gar oftmals >in jenen Tagen, die
über unser ganzes Wohl und Wehe entscheiden sollten. Aber allen unsern Fra¬
gen begegnete man mit tiefstem Schweigen. Die Regierung hatte verlangt, daß
die Verhandlungen geheim gehalten würden und der Landtag sich diesem Ver¬
langen ohne weiteres gefügt! In einer Angelegenheit von fundamentalster
Bedeutung, die nur unter allscitigster und freiester Discussion zu wenigstens
einigermaßen allgemeiner Befriedigung erledigt werden konnte, behandelte mau
das waldecksche Volk gleich einem unverständigen Kinde! — Indeß durch eine


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 26, 1867, II. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341805_191229/414>, abgerufen am 15.01.2025.