Die Grenzboten. Jg. 26, 1867, II. Semester. I. Band.Valeutino. Azeglio siedelte sich gleichfalls dort an, und in wehmüthiger Rück- Er wollte also ein Buch schreiben. Zweck und Richtung standen fest. Es Zuvor aberhielt er es für schicklich, den Freunden, mit denen er seit einem Die Frage war noch, wo es drucken lassen? Hätte die Regierung den Valeutino. Azeglio siedelte sich gleichfalls dort an, und in wehmüthiger Rück- Er wollte also ein Buch schreiben. Zweck und Richtung standen fest. Es Zuvor aberhielt er es für schicklich, den Freunden, mit denen er seit einem Die Frage war noch, wo es drucken lassen? Hätte die Regierung den <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0398" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/191628"/> <p xml:id="ID_1160" prev="#ID_1159"> Valeutino. Azeglio siedelte sich gleichfalls dort an, und in wehmüthiger Rück-<lb/> erinnerung schreibt er: „Es waren schöne Tage! Man fühlte etwas in der Luft,<lb/> das eine bessere Zeit verkündigte, das Hoffnungen einflößte, unendliche Vorge¬<lb/> fühle, bei welchen dem Herzen kein Zweifel aufstieg. Die italienische Sache, so<lb/> niedergedrückt, so erstorben unter dem Elend, schien verjüngt, erneuert; sie hatte<lb/> die Frische, die Anmuth, die Verheißungen der Jugend, die eine kräftige und<lb/> schöne Männlichkeit ankündigt."</p><lb/> <p xml:id="ID_1161"> Er wollte also ein Buch schreiben. Zweck und Richtung standen fest. Es<lb/> fehlte nur noch ein äußerer Anlaß, ein Anknüpfungspunkt. Da dachte er an die<lb/> letzte Bewegung von Rimini; dies schien ihm die beste Gelegenheit, sich zwischen<lb/> beide Lager zu stellen und beiden ohne Rückhalt die volle Wahrheit zu sagen.<lb/> Balbo billigte den Gedanken, und er fing an zu schreiben.</p><lb/> <p xml:id="ID_1162"> Zuvor aberhielt er es für schicklich, den Freunden, mit denen er seit einem<lb/> halben Jahr in Verbindung stand, Mittheilung davon zu machen. Ein Schrei<lb/> allgemeiner Mißbilligung antwortete ihm. Man war einverstanden mit dem,<lb/> was gegen Rom gehen sollte, aber über die Fehler der eigenen Partei mochte<lb/> man die Wahrheit noch nicht hören. Allein er ließ sich dadurch nicht irre<lb/> machen, verschaffte sich genaue Berichte über das Thatsächliche der Bewegung<lb/> und knüpfte daran seine Reflexionen über den Zustand des Kirchenstaats und<lb/> Italiens überhaupt und über die Mittel zu einer durchgreifenden Abhilfe. So<lb/> entstand die berühmte Schrift: Ueber die letzten Ereignisse der Rö¬<lb/> mer gra, die erste politische Flugschrift, die in Italien selbst, mit dem Namen<lb/> des Autors zu erscheinen wagte; jener vernichtende Anklageact gegen die päpst¬<lb/> liche Regierung, jener schonungslose Absagebrief an die Politik der heimlichen<lb/> Verschwörungen, das Manifest, das die Wendung in der Strategie der liberalen<lb/> Partei bezeichnet.</p><lb/> <p xml:id="ID_1163"> Die Frage war noch, wo es drucken lassen? Hätte die Regierung den<lb/> Druck in Turin erlaubt, so hätte dies das ungeheuerste Aufsehen machen müssen,<lb/> es hätte eine unverhüllte Parteinahme bedeutet. Ein solcher Entschluß war von<lb/> Karl Albert nicht zu erwarten. Doch wollte Azeglio das Manuscript dem Bi¬<lb/> bliothekar des Königs, Dom. Promis, damals Mitglied der Censur, vorlegen.<lb/> Bis er die Antwort erhielt, begab er sich nach Mailand, um da seine Sachen<lb/> in Ordnung zu bringen und einzupacken. Denn er wußte, wenn einmal die<lb/> Schrift erschienen wäre, war in Mailand seines Bleibens nicht länger. Als er<lb/> nach Turin zurückgekehrt zu Promis eilte, gab ihm dieser das Manuscript lächelnd<lb/> mit einem runden Nein zurück. Azeglio war auf diese Antwort gefaßt. Gleich¬<lb/> falls lächelnd sagte er: dann werde ich mich anderswo bemühen. Er ging nach<lb/> Florenz, dem damaligen Zufluchtsort für politische Sünder, und hier erfolgte<lb/> der Druck der Schrift, durch welche sich Azeglio mit einem Male an die Spitze<lb/> der Reformpartei gestellt sah.</p><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0398]
Valeutino. Azeglio siedelte sich gleichfalls dort an, und in wehmüthiger Rück-
erinnerung schreibt er: „Es waren schöne Tage! Man fühlte etwas in der Luft,
das eine bessere Zeit verkündigte, das Hoffnungen einflößte, unendliche Vorge¬
fühle, bei welchen dem Herzen kein Zweifel aufstieg. Die italienische Sache, so
niedergedrückt, so erstorben unter dem Elend, schien verjüngt, erneuert; sie hatte
die Frische, die Anmuth, die Verheißungen der Jugend, die eine kräftige und
schöne Männlichkeit ankündigt."
Er wollte also ein Buch schreiben. Zweck und Richtung standen fest. Es
fehlte nur noch ein äußerer Anlaß, ein Anknüpfungspunkt. Da dachte er an die
letzte Bewegung von Rimini; dies schien ihm die beste Gelegenheit, sich zwischen
beide Lager zu stellen und beiden ohne Rückhalt die volle Wahrheit zu sagen.
Balbo billigte den Gedanken, und er fing an zu schreiben.
Zuvor aberhielt er es für schicklich, den Freunden, mit denen er seit einem
halben Jahr in Verbindung stand, Mittheilung davon zu machen. Ein Schrei
allgemeiner Mißbilligung antwortete ihm. Man war einverstanden mit dem,
was gegen Rom gehen sollte, aber über die Fehler der eigenen Partei mochte
man die Wahrheit noch nicht hören. Allein er ließ sich dadurch nicht irre
machen, verschaffte sich genaue Berichte über das Thatsächliche der Bewegung
und knüpfte daran seine Reflexionen über den Zustand des Kirchenstaats und
Italiens überhaupt und über die Mittel zu einer durchgreifenden Abhilfe. So
entstand die berühmte Schrift: Ueber die letzten Ereignisse der Rö¬
mer gra, die erste politische Flugschrift, die in Italien selbst, mit dem Namen
des Autors zu erscheinen wagte; jener vernichtende Anklageact gegen die päpst¬
liche Regierung, jener schonungslose Absagebrief an die Politik der heimlichen
Verschwörungen, das Manifest, das die Wendung in der Strategie der liberalen
Partei bezeichnet.
Die Frage war noch, wo es drucken lassen? Hätte die Regierung den
Druck in Turin erlaubt, so hätte dies das ungeheuerste Aufsehen machen müssen,
es hätte eine unverhüllte Parteinahme bedeutet. Ein solcher Entschluß war von
Karl Albert nicht zu erwarten. Doch wollte Azeglio das Manuscript dem Bi¬
bliothekar des Königs, Dom. Promis, damals Mitglied der Censur, vorlegen.
Bis er die Antwort erhielt, begab er sich nach Mailand, um da seine Sachen
in Ordnung zu bringen und einzupacken. Denn er wußte, wenn einmal die
Schrift erschienen wäre, war in Mailand seines Bleibens nicht länger. Als er
nach Turin zurückgekehrt zu Promis eilte, gab ihm dieser das Manuscript lächelnd
mit einem runden Nein zurück. Azeglio war auf diese Antwort gefaßt. Gleich¬
falls lächelnd sagte er: dann werde ich mich anderswo bemühen. Er ging nach
Florenz, dem damaligen Zufluchtsort für politische Sünder, und hier erfolgte
der Druck der Schrift, durch welche sich Azeglio mit einem Male an die Spitze
der Reformpartei gestellt sah.
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