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Die Grenzboten. Jg. 26, 1867, II. Semester. I. Band.

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einziges Mittel der Besserung, kann man nicht voraussehen, bis zu welchem
Punkt oder zu welchem Tag Klugheit und Vernunft die Verzweiflung und die
Wuth zu zähmen vermögen. So sind die Menschen, und eine weise, voraus-
blickende Politik muß vom wirklichen Stand der Dinge ausgehen, wenn sie
nicht den Weg verlieren will. Eben aus diesem Grunde und um mit einer neuen
Idee dem Ausbruch solcher Verzweiflung einen neuen Damm entgegenzusetzen,
habe ich im erwähnten Sinne gesprochen und verkehrt, und einige Frucht glaube
ich trotz der Ereignisse von Rimini doch erzielt zu haben. Nun möge mir Eure
Majestät sagen, ob sie, was ich gethan und geredet, billige oder mißbillige.

Azeglio schwieg und erwartete die Antwort. Er war gefaßt auf eine solche,
bei der er so klug war wie zuvor. Statt dessen sagte Karl Albert ohne Zaudern,
Auge in Auge gerichtet, ruhig aber entschlossen:

Lassen Sie diese Herren wissen, daß sie ruhig bleiben und sich nicht erheben
mögen, denn es ist im Augenblick nichts zu machen, aber sie mögen sicher sein,
daß, sobald eine Gelegenheit sich bietet, mein Leben, das Leben meiner Söhne,
meine Waffen, meine Schätze, mein Heer, alles für die italienische Sache bereit
sein wird.

Azeglio war so völlig überrascht, daß er glaubte, nicht recht gehört zu
haben. Nachdem er sich gefaßt, ließ er, um ja kein Mißverständniß walten zu
lassen, in seine Antwort absichtlich dieselben Worte, die der König gebrauchte,
einfließen: ich werde also jenen Herren zu wissen thun u. s. w., worauf der
König bejahend nickte und das Zeichen zum Abschied gab. AIs sie sich erhoben
hatten, legte ihm der König die Hände auf die Schultern und entließ ihn mit
einer Umarmung.

"Mit einem Sturm im Herzen, über dem mit ausgebreiteten Flügeln eine
große und glänzende Hoffnung aufstieg", verließ er das Schloß. Das Erste
war, daß er seinen Korrespondenten schrieb, die dann den Uebrigen Mittheilung
machten. Eine zuverlässige Zifferschrift zum Zweck dieser Correspondenz hatte
man, als er noch in der Romagna war, verabredet. Doch hütete sich Azeglio,
wie er selbst nicht alle Zweifel unterdrücken konnte, allzu sanguinische Hoff¬
nungen zu erwecken. Er fügte seinem ausführlichen Bericht über die Audienz
die Worte hinzu: Dies sind des Königs Worte, das Herz sieht Gott.

Der König hatte in dieser Unterredung u. a. auch die Worte fallen lassen:
es wäre gut , wenn Sie jetzt etwas schrieben. Azeglio konnte darauf erwiedern:
ich habe bereits daran gedacht. Wirklich war während des intimen Umgangs,
den er i^l dieser Zeit mit Balbo hatte, der Gedanke in ihm entstanden, durch
eine Schrift der öffentlichen Meinung einen entschiedenen Impuls im Sinne
der neuen Ideen und so jener Konspiration in eliiaro sole Fleisch und Blut
zu geben. Dies war der Gegenstand der täglichen Gespräche beider Männer.
Balbo wohnte damals auf seiner kleinen Villa Nubatto am Po, gegenüber von


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einziges Mittel der Besserung, kann man nicht voraussehen, bis zu welchem
Punkt oder zu welchem Tag Klugheit und Vernunft die Verzweiflung und die
Wuth zu zähmen vermögen. So sind die Menschen, und eine weise, voraus-
blickende Politik muß vom wirklichen Stand der Dinge ausgehen, wenn sie
nicht den Weg verlieren will. Eben aus diesem Grunde und um mit einer neuen
Idee dem Ausbruch solcher Verzweiflung einen neuen Damm entgegenzusetzen,
habe ich im erwähnten Sinne gesprochen und verkehrt, und einige Frucht glaube
ich trotz der Ereignisse von Rimini doch erzielt zu haben. Nun möge mir Eure
Majestät sagen, ob sie, was ich gethan und geredet, billige oder mißbillige.

Azeglio schwieg und erwartete die Antwort. Er war gefaßt auf eine solche,
bei der er so klug war wie zuvor. Statt dessen sagte Karl Albert ohne Zaudern,
Auge in Auge gerichtet, ruhig aber entschlossen:

Lassen Sie diese Herren wissen, daß sie ruhig bleiben und sich nicht erheben
mögen, denn es ist im Augenblick nichts zu machen, aber sie mögen sicher sein,
daß, sobald eine Gelegenheit sich bietet, mein Leben, das Leben meiner Söhne,
meine Waffen, meine Schätze, mein Heer, alles für die italienische Sache bereit
sein wird.

Azeglio war so völlig überrascht, daß er glaubte, nicht recht gehört zu
haben. Nachdem er sich gefaßt, ließ er, um ja kein Mißverständniß walten zu
lassen, in seine Antwort absichtlich dieselben Worte, die der König gebrauchte,
einfließen: ich werde also jenen Herren zu wissen thun u. s. w., worauf der
König bejahend nickte und das Zeichen zum Abschied gab. AIs sie sich erhoben
hatten, legte ihm der König die Hände auf die Schultern und entließ ihn mit
einer Umarmung.

„Mit einem Sturm im Herzen, über dem mit ausgebreiteten Flügeln eine
große und glänzende Hoffnung aufstieg", verließ er das Schloß. Das Erste
war, daß er seinen Korrespondenten schrieb, die dann den Uebrigen Mittheilung
machten. Eine zuverlässige Zifferschrift zum Zweck dieser Correspondenz hatte
man, als er noch in der Romagna war, verabredet. Doch hütete sich Azeglio,
wie er selbst nicht alle Zweifel unterdrücken konnte, allzu sanguinische Hoff¬
nungen zu erwecken. Er fügte seinem ausführlichen Bericht über die Audienz
die Worte hinzu: Dies sind des Königs Worte, das Herz sieht Gott.

Der König hatte in dieser Unterredung u. a. auch die Worte fallen lassen:
es wäre gut , wenn Sie jetzt etwas schrieben. Azeglio konnte darauf erwiedern:
ich habe bereits daran gedacht. Wirklich war während des intimen Umgangs,
den er i^l dieser Zeit mit Balbo hatte, der Gedanke in ihm entstanden, durch
eine Schrift der öffentlichen Meinung einen entschiedenen Impuls im Sinne
der neuen Ideen und so jener Konspiration in eliiaro sole Fleisch und Blut
zu geben. Dies war der Gegenstand der täglichen Gespräche beider Männer.
Balbo wohnte damals auf seiner kleinen Villa Nubatto am Po, gegenüber von


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 26, 1867, II. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341805_191229/397>, abgerufen am 15.01.2025.