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Die Grenzboten. Jg. 26, 1867, II. Semester. I. Band.

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Karl Albert: Reden Sie nur, es wird mir angenehm sein.

Azeglio: Eure Majestät kennt alle Verschwörungen. Bewegungen und kleinen
Revolutionen seit 1814 bis heute, sie kennt die Ursachen, daraus sie hervor¬
gehen, die Unzufriedenheit, welche sie nährt, wie den Unverstand. der sie leitet,
und die traurigen Folgen, die daraus entspringe". Die Nutzlosigkeit und Ver¬
derblichkeit dieser Bewegungen, die nur dazu dienen, das Land um die feste¬
sten Charaktere zu bringen und den fremden Einfluß härter zu gestalten, hat
nunmehr den Verständigen eingeleuchtet, und man sehnt sich nach neuen Mitteln
und Wegen. In Rom habe ich in den letzten Tagen viel über die Möglichkeit,
diesem traurigen Zustand ein Ende zu machen, gedacht und gesprochen. Papst
Gregor ist alt und hinfällig, bei seinem Tode gewiß, wenn nicht früher, be¬
reitet sich etwas vor. Die Romagna wird in Flammen stehen, und das-Ende
wird wie immer eine neue östreichische Occupation, eine neue Reihe von Hin¬
richtungen und Verbannungen, eine neue Verschärfung aller unserer Leiden sein.
Unter diesen Umständen thut es dringend noth, Abhilfe zu finden. Und nun
erzählte Azeglio ausführlich von seiner Reise, von der Stimmung, wie er sie
getroffen, von den Gedanken, die er selbst ausgestreut, und fuhr dann fort:

Majestät, ich habe niemals zu irgendeiner geheimen Gesellschaft gehört,
nie an einer Verschwörung theilgenommen; aber wie ich Kindheit und Ju¬
gend immer da und dort in Italien zugebracht habe und alle mich kennen und
wissen, daß ich kein Verräther bin. und niemand mir mißtraut, habe ich immer
alles gewußt, wie wenn ich ein Verschworener gewesen wäre, und auch jetzt
sagen sie mir alles, und ich glaube der Wahrheit gemäß versichern zu können,
daß die Meisten die Sinnlosigkeit der bisherigen Unternehmungen einsehen und
einen neuen Weg einzuschlagen wünschen. Alle sind überzeugt, daß ohne Macht
sich nichts ausrichten läßt, daß Macht in Italien nur ist in Piemont, und daß
man gleichwohl auch auf dieses keine Pläne bauen kann> so lange Europa ruhig
in seiner gegenwärtigen Ordnung bleibt. Das sind Ideen, die einen wirklichen
Fortschritt im politischen Urtheil bedeuten. Die Frage ist freilich, ob sie lange
andauern werden. Ich glaube sagen zu können, daß ich im Augenblick auf
die Leute von Gewicht in diesen Ländern nicht geringen Einfluß besitze. Es
ist mir gelungen, die Mehrzahl zu überzeugen. Aber die Bewegung von Ri-
mini, die zwei Wochen, nachdem ich die Romagna verlassen, ausbrach, ist ein
Beweis, daß nicht alle überzeugt waren, oder daß, wenn die Häupter überzeugt
waren, es doch die Leute zweiten Rangs nicht waren. In einer solchen Hie¬
rarchie, wo keine Disciplin bindet und alles vom Vertrauen abhängt, ist Ge¬
horsam immer zufällig. Und dann ist die traurige Lage dieser Bevölkerungen
in Rechnung zu ziehen. Wo von oben Willkür, Gewaltthat. Korruption, Täu¬
schung. Mißtrauen kommen, ist es natürlich, daß man von unten dasselbe System
entgegensetzt. Wo das materielle und moralische Uebel allgemein ist, ohne ein


Karl Albert: Reden Sie nur, es wird mir angenehm sein.

Azeglio: Eure Majestät kennt alle Verschwörungen. Bewegungen und kleinen
Revolutionen seit 1814 bis heute, sie kennt die Ursachen, daraus sie hervor¬
gehen, die Unzufriedenheit, welche sie nährt, wie den Unverstand. der sie leitet,
und die traurigen Folgen, die daraus entspringe». Die Nutzlosigkeit und Ver¬
derblichkeit dieser Bewegungen, die nur dazu dienen, das Land um die feste¬
sten Charaktere zu bringen und den fremden Einfluß härter zu gestalten, hat
nunmehr den Verständigen eingeleuchtet, und man sehnt sich nach neuen Mitteln
und Wegen. In Rom habe ich in den letzten Tagen viel über die Möglichkeit,
diesem traurigen Zustand ein Ende zu machen, gedacht und gesprochen. Papst
Gregor ist alt und hinfällig, bei seinem Tode gewiß, wenn nicht früher, be¬
reitet sich etwas vor. Die Romagna wird in Flammen stehen, und das-Ende
wird wie immer eine neue östreichische Occupation, eine neue Reihe von Hin¬
richtungen und Verbannungen, eine neue Verschärfung aller unserer Leiden sein.
Unter diesen Umständen thut es dringend noth, Abhilfe zu finden. Und nun
erzählte Azeglio ausführlich von seiner Reise, von der Stimmung, wie er sie
getroffen, von den Gedanken, die er selbst ausgestreut, und fuhr dann fort:

Majestät, ich habe niemals zu irgendeiner geheimen Gesellschaft gehört,
nie an einer Verschwörung theilgenommen; aber wie ich Kindheit und Ju¬
gend immer da und dort in Italien zugebracht habe und alle mich kennen und
wissen, daß ich kein Verräther bin. und niemand mir mißtraut, habe ich immer
alles gewußt, wie wenn ich ein Verschworener gewesen wäre, und auch jetzt
sagen sie mir alles, und ich glaube der Wahrheit gemäß versichern zu können,
daß die Meisten die Sinnlosigkeit der bisherigen Unternehmungen einsehen und
einen neuen Weg einzuschlagen wünschen. Alle sind überzeugt, daß ohne Macht
sich nichts ausrichten läßt, daß Macht in Italien nur ist in Piemont, und daß
man gleichwohl auch auf dieses keine Pläne bauen kann> so lange Europa ruhig
in seiner gegenwärtigen Ordnung bleibt. Das sind Ideen, die einen wirklichen
Fortschritt im politischen Urtheil bedeuten. Die Frage ist freilich, ob sie lange
andauern werden. Ich glaube sagen zu können, daß ich im Augenblick auf
die Leute von Gewicht in diesen Ländern nicht geringen Einfluß besitze. Es
ist mir gelungen, die Mehrzahl zu überzeugen. Aber die Bewegung von Ri-
mini, die zwei Wochen, nachdem ich die Romagna verlassen, ausbrach, ist ein
Beweis, daß nicht alle überzeugt waren, oder daß, wenn die Häupter überzeugt
waren, es doch die Leute zweiten Rangs nicht waren. In einer solchen Hie¬
rarchie, wo keine Disciplin bindet und alles vom Vertrauen abhängt, ist Ge¬
horsam immer zufällig. Und dann ist die traurige Lage dieser Bevölkerungen
in Rechnung zu ziehen. Wo von oben Willkür, Gewaltthat. Korruption, Täu¬
schung. Mißtrauen kommen, ist es natürlich, daß man von unten dasselbe System
entgegensetzt. Wo das materielle und moralische Uebel allgemein ist, ohne ein


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[0396] Karl Albert: Reden Sie nur, es wird mir angenehm sein. Azeglio: Eure Majestät kennt alle Verschwörungen. Bewegungen und kleinen Revolutionen seit 1814 bis heute, sie kennt die Ursachen, daraus sie hervor¬ gehen, die Unzufriedenheit, welche sie nährt, wie den Unverstand. der sie leitet, und die traurigen Folgen, die daraus entspringe». Die Nutzlosigkeit und Ver¬ derblichkeit dieser Bewegungen, die nur dazu dienen, das Land um die feste¬ sten Charaktere zu bringen und den fremden Einfluß härter zu gestalten, hat nunmehr den Verständigen eingeleuchtet, und man sehnt sich nach neuen Mitteln und Wegen. In Rom habe ich in den letzten Tagen viel über die Möglichkeit, diesem traurigen Zustand ein Ende zu machen, gedacht und gesprochen. Papst Gregor ist alt und hinfällig, bei seinem Tode gewiß, wenn nicht früher, be¬ reitet sich etwas vor. Die Romagna wird in Flammen stehen, und das-Ende wird wie immer eine neue östreichische Occupation, eine neue Reihe von Hin¬ richtungen und Verbannungen, eine neue Verschärfung aller unserer Leiden sein. Unter diesen Umständen thut es dringend noth, Abhilfe zu finden. Und nun erzählte Azeglio ausführlich von seiner Reise, von der Stimmung, wie er sie getroffen, von den Gedanken, die er selbst ausgestreut, und fuhr dann fort: Majestät, ich habe niemals zu irgendeiner geheimen Gesellschaft gehört, nie an einer Verschwörung theilgenommen; aber wie ich Kindheit und Ju¬ gend immer da und dort in Italien zugebracht habe und alle mich kennen und wissen, daß ich kein Verräther bin. und niemand mir mißtraut, habe ich immer alles gewußt, wie wenn ich ein Verschworener gewesen wäre, und auch jetzt sagen sie mir alles, und ich glaube der Wahrheit gemäß versichern zu können, daß die Meisten die Sinnlosigkeit der bisherigen Unternehmungen einsehen und einen neuen Weg einzuschlagen wünschen. Alle sind überzeugt, daß ohne Macht sich nichts ausrichten läßt, daß Macht in Italien nur ist in Piemont, und daß man gleichwohl auch auf dieses keine Pläne bauen kann> so lange Europa ruhig in seiner gegenwärtigen Ordnung bleibt. Das sind Ideen, die einen wirklichen Fortschritt im politischen Urtheil bedeuten. Die Frage ist freilich, ob sie lange andauern werden. Ich glaube sagen zu können, daß ich im Augenblick auf die Leute von Gewicht in diesen Ländern nicht geringen Einfluß besitze. Es ist mir gelungen, die Mehrzahl zu überzeugen. Aber die Bewegung von Ri- mini, die zwei Wochen, nachdem ich die Romagna verlassen, ausbrach, ist ein Beweis, daß nicht alle überzeugt waren, oder daß, wenn die Häupter überzeugt waren, es doch die Leute zweiten Rangs nicht waren. In einer solchen Hie¬ rarchie, wo keine Disciplin bindet und alles vom Vertrauen abhängt, ist Ge¬ horsam immer zufällig. Und dann ist die traurige Lage dieser Bevölkerungen in Rechnung zu ziehen. Wo von oben Willkür, Gewaltthat. Korruption, Täu¬ schung. Mißtrauen kommen, ist es natürlich, daß man von unten dasselbe System entgegensetzt. Wo das materielle und moralische Uebel allgemein ist, ohne ein

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 26, 1867, II. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341805_191229/396>, abgerufen am 15.01.2025.