Die Grenzboten. Jg. 26, 1867, II. Semester. I. Band.überall nach Belieben aufhalten. In der Romagna mußte er sich freilich über¬ Ueber Florenz und Genua kehrte er nach Turin zurück. Und hier begann Der König war damals ein undurchdringliches Geheimniß. Die Haupt¬ Majestät, sagte Azeglio, ich habe einen großen Theil Italiens von Stadt Vrenzboten III. 18V7. 49
überall nach Belieben aufhalten. In der Romagna mußte er sich freilich über¬ Ueber Florenz und Genua kehrte er nach Turin zurück. Und hier begann Der König war damals ein undurchdringliches Geheimniß. Die Haupt¬ Majestät, sagte Azeglio, ich habe einen großen Theil Italiens von Stadt Vrenzboten III. 18V7. 49
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überall nach Belieben aufhalten. In der Romagna mußte er sich freilich über¬
zeuge», daß eine Erhebung im Werk sei. Alle konnte er nicht bekehren, andere
mochten spater wieder abfallen; er mußte zufrieden sein, wenn es ihm gelang,
die Zahl der Unglücklichen wenigstens zu beschränken, welche sich einen Monat
später der bekannten kurzen Bewegung von Rimini anschlössen.
Ueber Florenz und Genua kehrte er nach Turin zurück. Und hier begann
nun ein anderes Stück der Arbeit. Hatte er die Bevölkerung auf Karl Albert
vertröstet, so mußte er nun auch das Seinige thun, um Karl Albert zu gewinnen.
Er hatte die Reise ohne Auftrag, ohne Wissen des Königs unternommen, es
war durchaus ungewiß, wie dieser das Wagniß ausnehmen würde. Die erbetene
Audienz wurde ihm sofort zugesagt, und zwar, wie dies Karl Alberts Gewohn¬
heit war, um 6 Uhr Morgens, was in der damaligen Jahreszeit vor Tages¬
anbruch war. Die Stadt schlief noch, als er in den völlig wachen und erleuch¬
teten Palast trat. Sein Herz klopfte. Eine Minute im Vorzimmer, dann
öffnete sich die Thür, und er befand sich vor Karl Albert, der aufrecht am
Fenster stand, die Verbeugung freundlich erwiederte und AzcgUo zum Sitzen einlud.
Der König war damals ein undurchdringliches Geheimniß. Die Haupt¬
thatsachen seines Lebens sprachen sicher nicht zu seinen Gunsten. Niemand
konnte verstehen, welcher Zusammenhang in seinem Geiste zwischen der großen
Idee der italienischen Unabhängigkeit und den östreichischen Heirathen bestehen
ionnte, zwischen dem Trieb der Vergrößerung des Hauses Savoyen und der
Höflingsschaar von Jesuiten und Männern wie Escarena, Solaro della Mar-
gherita und Genossen, zwischen einem weiberhaften Apparat von Frömmigkeit
und Pönitenz und der Hochherzigrett und Charakterfestigkeit, die zu so kühnen
Entwürfen gehört. Darum traute auch niemand Karl Albert. Mit jenen klein¬
lichen Mitteln sich die Hilfe zweier Parteien zu sichern, hatte er schließlich die
Gunst der einen wie der anderen verloren. Schon sein Aeußeres hatte etwas
Unerklärliches an sich. Von ungewöhnlich großer Statur, mager, mit langem,
blassem, meist ernstem Gesicht, hatte er, wenn er sprach, einen überaus weichen
Blick, die Stimme klang sympathisch, wohlwollend, familiär. Eine» eigenen
Zauber übte er auf diejenigen aus, die er anredete und bei den ersten Worten,
die er sprach, nahm sich Azeglio mit Gewalt zusammen und sagte sich: Massimv.
trau nicht! so verführerisch wirkte auf ihn Wort und Benehmen des Königs.
Und nun. woher kommen Sie? frug jetzt der König. Nun war die Zeit
gekommen zu reden.
Majestät, sagte Azeglio, ich habe einen großen Theil Italiens von Stadt
zu Stadt durchreist, und wenn ich mir eine Audienz erbeten, so geschah es,
weil ich, wenn Eure Majestät es erlauben wollte, ihr den gegenwärtigen poli¬
tischen Zustand Italiens schildern möchte, wie ich ihn aus dem Gespräch mit
Männern jedes Landes und jedes Standes erfahren habe.
Vrenzboten III. 18V7. 49
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