Die Grenzboten. Jg. 26, 1867, II. Semester. I. Band.späteren Politiker gleichwohl nicht verloren. Er wurde nach allen Seiten mit Von politischem Leben war damals in Rom keine Spur, außer in gehei¬ Während der Mailänder Epoche konnten sich solche Ansichten nur befestigen. späteren Politiker gleichwohl nicht verloren. Er wurde nach allen Seiten mit Von politischem Leben war damals in Rom keine Spur, außer in gehei¬ Während der Mailänder Epoche konnten sich solche Ansichten nur befestigen. <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0391" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/191621"/> <p xml:id="ID_1130" prev="#ID_1129"> späteren Politiker gleichwohl nicht verloren. Er wurde nach allen Seiten mit<lb/> dem Terrain vertraut, das in der Folge vorzugsweise das Feld seiner politischen<lb/> Thätigkeit sein sollte. Er lernte das napoleonische Regierungssystem Consalvis<lb/> kennen, „den Anfang vom Ende für die weltliche Herrschaft", die Gräuel der<lb/> Verwaltung und der Justiz, die Zustände des Priesterthums und der ganzen<lb/> römischen Gesellschaft und frühzeitig überzeugte er sich, daß die weltliche Re¬<lb/> gierung „ein Anachronismus ist, ein Verhängnis; für Italien, ein beständiger<lb/> Anlaß zum Fall für die Kirche, eine ewige Gefahr für den Glauben, der Tod¬<lb/> feind des religiösen Gefühls, ein Schlag ins Gesicht der evangelischen Lehre";<lb/> aber auch der einzigartige aus Großem und Niedrigen zusammengesetzte Charakter<lb/> dieses Staatswesens ward ihm klar, jener mysteriöse Zauber der ewigen Stadt,<lb/> das geheimnißvolle Band, das zwischen Rom und der Welt besteht; ein Ganzes<lb/> von Schlechtigkeiten und großartigen Traditionen, das nur durch die fortschrei¬<lb/> tende Macht der Civilisation überwunden werden kann, während die bisher<lb/> versuchten Wege an ihrer Plumpheit scheiterten, und noch heute die moderne<lb/> Civilisation nicht gestatten kann, daß, wie er sich ausdrückt, durch die geöffneten<lb/> Pforten des Vatican auf der einen Seite das Papstes.um ab- und auf der<lb/> anderen die Höflinge der Revolution einziehen!</p><lb/> <p xml:id="ID_1131"> Von politischem Leben war damals in Rom keine Spur, außer in gehei¬<lb/> men Gesellschaften der niedersten Sorte. Azeglio kannte viele, die diesen Secten<lb/> angehörten. Aber seine Abneigung gegen alle Geheimnißkrämerei und Verstellung<lb/> war so bekannt oder so deutlich schon aus seinem Gesicht zu lesen, daß ihm auch<lb/> jetzt nicht einmal ein Antrag gemacht wurde, selbst in eine Secte zu treten.<lb/> Er war überzeugt, daß diese Knechtschaft im Namen der Freiheit, diese Unter¬<lb/> werfung unter eine geheime anonyme Gesellschaft, deren Mittel wie Zwecke sich<lb/> im Verborgenen halten, diese Gewöhnung an eine systematische Falschheit, wie sie<lb/> in den Secten großgezogen wurde, zu den Hauptursachen des Verfalls des<lb/> italienischen Nationalcharakters gehöre. Zum großen Theil recrutirten sich die<lb/> Secten gradezu aus Verbrechern, wenn es auch wieder nicht an ehrlichen Ge¬<lb/> müthern fehlte, die von Liebe zu einem phantastischen Ideal getrieben, unver¬<lb/> mögend, Schein und Wirklichkeit auseinanderzuhalten, in verhängnißvolle Illusio¬<lb/> nen fortgerissen wurden.</p><lb/> <p xml:id="ID_1132" next="#ID_1133"> Während der Mailänder Epoche konnten sich solche Ansichten nur befestigen.<lb/> Sein Antheil an ber nationalen Literatur «chatte ja eben den Zweck, auf andere<lb/> Weise, als es die Aiovino It-erim versuchte, den Nationalgeist zu heben und für<lb/> die künftigen Geschicke vorzubereiten. Er begegnete sich in dieser Ueberzeugung,<lb/> daß man im Gegensatz zu den Secten vielmehr auf die öffentliche Meinung<lb/> wirken müsse, mit Cesare Balbo, dessen „Hoffnungen Italiens" im Jahr 1844<lb/> erschienen. In diesem Buch war bereits das Programm einer gemäßigten<lb/> Politik, eines verständigen Patriotismus enthalte.,. Es handelte sich nur darum,</p><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0391]
späteren Politiker gleichwohl nicht verloren. Er wurde nach allen Seiten mit
dem Terrain vertraut, das in der Folge vorzugsweise das Feld seiner politischen
Thätigkeit sein sollte. Er lernte das napoleonische Regierungssystem Consalvis
kennen, „den Anfang vom Ende für die weltliche Herrschaft", die Gräuel der
Verwaltung und der Justiz, die Zustände des Priesterthums und der ganzen
römischen Gesellschaft und frühzeitig überzeugte er sich, daß die weltliche Re¬
gierung „ein Anachronismus ist, ein Verhängnis; für Italien, ein beständiger
Anlaß zum Fall für die Kirche, eine ewige Gefahr für den Glauben, der Tod¬
feind des religiösen Gefühls, ein Schlag ins Gesicht der evangelischen Lehre";
aber auch der einzigartige aus Großem und Niedrigen zusammengesetzte Charakter
dieses Staatswesens ward ihm klar, jener mysteriöse Zauber der ewigen Stadt,
das geheimnißvolle Band, das zwischen Rom und der Welt besteht; ein Ganzes
von Schlechtigkeiten und großartigen Traditionen, das nur durch die fortschrei¬
tende Macht der Civilisation überwunden werden kann, während die bisher
versuchten Wege an ihrer Plumpheit scheiterten, und noch heute die moderne
Civilisation nicht gestatten kann, daß, wie er sich ausdrückt, durch die geöffneten
Pforten des Vatican auf der einen Seite das Papstes.um ab- und auf der
anderen die Höflinge der Revolution einziehen!
Von politischem Leben war damals in Rom keine Spur, außer in gehei¬
men Gesellschaften der niedersten Sorte. Azeglio kannte viele, die diesen Secten
angehörten. Aber seine Abneigung gegen alle Geheimnißkrämerei und Verstellung
war so bekannt oder so deutlich schon aus seinem Gesicht zu lesen, daß ihm auch
jetzt nicht einmal ein Antrag gemacht wurde, selbst in eine Secte zu treten.
Er war überzeugt, daß diese Knechtschaft im Namen der Freiheit, diese Unter¬
werfung unter eine geheime anonyme Gesellschaft, deren Mittel wie Zwecke sich
im Verborgenen halten, diese Gewöhnung an eine systematische Falschheit, wie sie
in den Secten großgezogen wurde, zu den Hauptursachen des Verfalls des
italienischen Nationalcharakters gehöre. Zum großen Theil recrutirten sich die
Secten gradezu aus Verbrechern, wenn es auch wieder nicht an ehrlichen Ge¬
müthern fehlte, die von Liebe zu einem phantastischen Ideal getrieben, unver¬
mögend, Schein und Wirklichkeit auseinanderzuhalten, in verhängnißvolle Illusio¬
nen fortgerissen wurden.
Während der Mailänder Epoche konnten sich solche Ansichten nur befestigen.
Sein Antheil an ber nationalen Literatur «chatte ja eben den Zweck, auf andere
Weise, als es die Aiovino It-erim versuchte, den Nationalgeist zu heben und für
die künftigen Geschicke vorzubereiten. Er begegnete sich in dieser Ueberzeugung,
daß man im Gegensatz zu den Secten vielmehr auf die öffentliche Meinung
wirken müsse, mit Cesare Balbo, dessen „Hoffnungen Italiens" im Jahr 1844
erschienen. In diesem Buch war bereits das Programm einer gemäßigten
Politik, eines verständigen Patriotismus enthalte.,. Es handelte sich nur darum,
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