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Die Grenzboten. Jg. 26, 1867, II. Semester. I. Band.

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ans, Land kamst, nirgends, und deshalb gehen dort so viele Schiffe zu Grunde.
Das alles sah ich und einen großen Menschenhaufen, der sich mit unsäglichem
Lärmen und Schreien drängte, ich dachte, sie schlügen sich alle mit einander.
Mein Begleiter brachte mich zu einigen Magistratspersonen und sagte lachend:
Da ist der, zu dem ihr mich geschickt habt; er hat aber nichts als seinen Locken¬
kopf und ein festes Blockhaus. Die Magistratspersvnen gingen dann ins Theater")
und ich ging mit ihnen dahin. Das Theater aber ist wie eine hohle Schlucht, aber
nicht lang ausgestreckt, vielmehr halbrund, nicht von Natur, sondern aus Steinen
aufgebaut. Aber du lachst mich wohl aus, daß ich dir das so genau beschreibe,
da du das gewiß sehr gut kennst. Anfangs trieb das Volk da allerhand Sachen
und bald riefen sie alle freundlich und ganz vergnügt, wenn sie mit einem zu¬
frieden waren, dann wieder ganz zornig. Es war aber etwas Entsetzliches mit
ihrem Zorn, und die Menschen, die sie so anbrüllten, kamen ganz außer sich,
einige liefen herum und baten, andere warfen ihre Gewänder aus Angst weg.
Und einmal wäre ich von ihrem Geschrei beinahe umgefallen, so brach es Plötz¬
lich aus wie ein Windstoß oder wie ein Donnerwetter. Andere Leute aber,
dre auftraten oder aus der Masse aufstanden, sprachen zu dem Volk, einige mit
wenigen Worten, andere in langen Reden. Und einigen hörten sie lange zu,
über andere ergrimmten sie, sowie sie nur anfingen und ließen sie gar nicht zu
Worte kommen. Als sie sich endlich beruhigt hatten, wurde ich vorgeführt; da
sagte einer:

Dies ist einer von denen, Mitbürger, welche seit vielen Jahren von Staats-
ländercien den Nutzen ziehen, und nicht allein er, sondern auch schon sein Vater.
Sie weiden unsere Berge ab, treiben dort Ackerbau und Jagd, haben viele
Gebäude aufgeführt und Weinberge angepflanzt und genießen alles mögliche
Gute davon, haben aber das Land weder bezahlt noch vom Volk geschenkt
erhalten -- wofür sollte man es ihnen auch geschenkt haben? So haben sie
euer Eigenthum im Besitz und bereichern sich davon, ohne je dem Staat irgend-
etwas geleistet, irgendeine Abgabe gezahlt zu haben, sondern von jeder Ver¬
pflichtung frei leben sie, wie Wohlthäter der Stadt**) ja, ich glaube, sie sind
niemals hierher gekommen. -- Da nickte ich ihm zu und das Volk lachte, als
es das sah. Der Redner aber ärgerte sich über das Gelächter und schalt auf
mich und fuhr fort: Wenn ihr das so in der Ordnung findet, so wird bald
alles das Staatsvermögen plündern, einige die Stadtkasse, wie das denn schon
manche thun, andere werden das Land austheilen ohne euch zu fragen,




-) Das Theater war der gewöhnliche Raum für die Volksversammlungen,
") Es war eine gewöhnliche Auszeichnung für solche, die sich um den Staat verdient
machten und officiell als "Wohlthäter" genannt wurden, daß man ihnen Abgabenfreiheit
(Adelie) b-willigte.

ans, Land kamst, nirgends, und deshalb gehen dort so viele Schiffe zu Grunde.
Das alles sah ich und einen großen Menschenhaufen, der sich mit unsäglichem
Lärmen und Schreien drängte, ich dachte, sie schlügen sich alle mit einander.
Mein Begleiter brachte mich zu einigen Magistratspersonen und sagte lachend:
Da ist der, zu dem ihr mich geschickt habt; er hat aber nichts als seinen Locken¬
kopf und ein festes Blockhaus. Die Magistratspersvnen gingen dann ins Theater")
und ich ging mit ihnen dahin. Das Theater aber ist wie eine hohle Schlucht, aber
nicht lang ausgestreckt, vielmehr halbrund, nicht von Natur, sondern aus Steinen
aufgebaut. Aber du lachst mich wohl aus, daß ich dir das so genau beschreibe,
da du das gewiß sehr gut kennst. Anfangs trieb das Volk da allerhand Sachen
und bald riefen sie alle freundlich und ganz vergnügt, wenn sie mit einem zu¬
frieden waren, dann wieder ganz zornig. Es war aber etwas Entsetzliches mit
ihrem Zorn, und die Menschen, die sie so anbrüllten, kamen ganz außer sich,
einige liefen herum und baten, andere warfen ihre Gewänder aus Angst weg.
Und einmal wäre ich von ihrem Geschrei beinahe umgefallen, so brach es Plötz¬
lich aus wie ein Windstoß oder wie ein Donnerwetter. Andere Leute aber,
dre auftraten oder aus der Masse aufstanden, sprachen zu dem Volk, einige mit
wenigen Worten, andere in langen Reden. Und einigen hörten sie lange zu,
über andere ergrimmten sie, sowie sie nur anfingen und ließen sie gar nicht zu
Worte kommen. Als sie sich endlich beruhigt hatten, wurde ich vorgeführt; da
sagte einer:

Dies ist einer von denen, Mitbürger, welche seit vielen Jahren von Staats-
ländercien den Nutzen ziehen, und nicht allein er, sondern auch schon sein Vater.
Sie weiden unsere Berge ab, treiben dort Ackerbau und Jagd, haben viele
Gebäude aufgeführt und Weinberge angepflanzt und genießen alles mögliche
Gute davon, haben aber das Land weder bezahlt noch vom Volk geschenkt
erhalten — wofür sollte man es ihnen auch geschenkt haben? So haben sie
euer Eigenthum im Besitz und bereichern sich davon, ohne je dem Staat irgend-
etwas geleistet, irgendeine Abgabe gezahlt zu haben, sondern von jeder Ver¬
pflichtung frei leben sie, wie Wohlthäter der Stadt**) ja, ich glaube, sie sind
niemals hierher gekommen. — Da nickte ich ihm zu und das Volk lachte, als
es das sah. Der Redner aber ärgerte sich über das Gelächter und schalt auf
mich und fuhr fort: Wenn ihr das so in der Ordnung findet, so wird bald
alles das Staatsvermögen plündern, einige die Stadtkasse, wie das denn schon
manche thun, andere werden das Land austheilen ohne euch zu fragen,




-) Das Theater war der gewöhnliche Raum für die Volksversammlungen,
") Es war eine gewöhnliche Auszeichnung für solche, die sich um den Staat verdient
machten und officiell als „Wohlthäter" genannt wurden, daß man ihnen Abgabenfreiheit
(Adelie) b-willigte.
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[0378] ans, Land kamst, nirgends, und deshalb gehen dort so viele Schiffe zu Grunde. Das alles sah ich und einen großen Menschenhaufen, der sich mit unsäglichem Lärmen und Schreien drängte, ich dachte, sie schlügen sich alle mit einander. Mein Begleiter brachte mich zu einigen Magistratspersonen und sagte lachend: Da ist der, zu dem ihr mich geschickt habt; er hat aber nichts als seinen Locken¬ kopf und ein festes Blockhaus. Die Magistratspersvnen gingen dann ins Theater") und ich ging mit ihnen dahin. Das Theater aber ist wie eine hohle Schlucht, aber nicht lang ausgestreckt, vielmehr halbrund, nicht von Natur, sondern aus Steinen aufgebaut. Aber du lachst mich wohl aus, daß ich dir das so genau beschreibe, da du das gewiß sehr gut kennst. Anfangs trieb das Volk da allerhand Sachen und bald riefen sie alle freundlich und ganz vergnügt, wenn sie mit einem zu¬ frieden waren, dann wieder ganz zornig. Es war aber etwas Entsetzliches mit ihrem Zorn, und die Menschen, die sie so anbrüllten, kamen ganz außer sich, einige liefen herum und baten, andere warfen ihre Gewänder aus Angst weg. Und einmal wäre ich von ihrem Geschrei beinahe umgefallen, so brach es Plötz¬ lich aus wie ein Windstoß oder wie ein Donnerwetter. Andere Leute aber, dre auftraten oder aus der Masse aufstanden, sprachen zu dem Volk, einige mit wenigen Worten, andere in langen Reden. Und einigen hörten sie lange zu, über andere ergrimmten sie, sowie sie nur anfingen und ließen sie gar nicht zu Worte kommen. Als sie sich endlich beruhigt hatten, wurde ich vorgeführt; da sagte einer: Dies ist einer von denen, Mitbürger, welche seit vielen Jahren von Staats- ländercien den Nutzen ziehen, und nicht allein er, sondern auch schon sein Vater. Sie weiden unsere Berge ab, treiben dort Ackerbau und Jagd, haben viele Gebäude aufgeführt und Weinberge angepflanzt und genießen alles mögliche Gute davon, haben aber das Land weder bezahlt noch vom Volk geschenkt erhalten — wofür sollte man es ihnen auch geschenkt haben? So haben sie euer Eigenthum im Besitz und bereichern sich davon, ohne je dem Staat irgend- etwas geleistet, irgendeine Abgabe gezahlt zu haben, sondern von jeder Ver¬ pflichtung frei leben sie, wie Wohlthäter der Stadt**) ja, ich glaube, sie sind niemals hierher gekommen. — Da nickte ich ihm zu und das Volk lachte, als es das sah. Der Redner aber ärgerte sich über das Gelächter und schalt auf mich und fuhr fort: Wenn ihr das so in der Ordnung findet, so wird bald alles das Staatsvermögen plündern, einige die Stadtkasse, wie das denn schon manche thun, andere werden das Land austheilen ohne euch zu fragen, -) Das Theater war der gewöhnliche Raum für die Volksversammlungen, ") Es war eine gewöhnliche Auszeichnung für solche, die sich um den Staat verdient machten und officiell als „Wohlthäter" genannt wurden, daß man ihnen Abgabenfreiheit (Adelie) b-willigte.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 26, 1867, II. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341805_191229/378>, abgerufen am 15.01.2025.