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Die Grenzboten. Jg. 26, 1867, II. Semester. I. Band.

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und damals blieben sie nothgedrungen in den Hütten, um Arbeit und Lohn zu
suchen und ernährten sich von einem ganz kleinen Stück Land, das sie in der
Nähe der Hürde bebauten und das des vielen Düngers wegen, den wir hatten,
reichlichen Ertrag gab. Da sie Zeit hatten, so gaben sie sich auch mit der
Jagd ab, allein und mit Hunden. Denn zwei von den Hunden, welche die
Rinder trieben, hatten, als sie weit weg waren und ihre Hirten nicht sahen,
die Heerde verlassen und waren an ihren gewohnten Ort zurückgekehrt. Die
gingen nun anfangs mit wie auch sonst, und wenn sie Wolfe sahen, so ver¬
folgten sie die eine Strecke weit, um Schweine oder Hirsche aber kümmerten sie
sich nicht. Nachdem sie aber erst von ihrem Blut und Fleisch gekostet hatten,
gewöhnten sie sich lieber Fleisch als Brod zu fressen und da sie, wenn es Jagd¬
beute gab, reichliche Kost hatten, sonst aber hungerten, so fingen sie auch an
selbst auf das Wild zu passen, verfolgten was sich zeigte, lernten Witterung
und Fährte und bildeten sich so im Alter noch aus Hirten- zu Jagdhunden aus.
Als aber der Winter kam und sich gar keine Aussicht auf Arbeit zeigte, weder
in der Stadt noch in einem Dorf, besserten sie die Hütten ordentlich aus,
machten den Hofzaun dichter, und hielten sich so hin. indem sie nun das ganze
Grundstück anbauten. Die Jagd ging auch im Winter viel besser von statten,
denn im feuchten Boden drücken sich die Spuren deutlicher ab und der Schnee
zeigt sie vollends so klar, daß man gar keine Mühe sie zu suchen hat. sondern
gradeswegs auf das Wild zugeführt wird, auch Hasen und Rehe in ihrem Lager
fangen kann. So blieb es denn seit der Zeit, sie verlangten gar nach keiner
andern Lebensweise und jeder gab seine Tochter dem Sohn des andern zur
Frau. Beide sind schon seit geraumer Zeit gestorben, in hohen Jahren, wie
sie selbst angaben, aber noch kräftig, frisch und stattlich, meine Mutter lebt
noch. Von uns beiden ist der eine, der jetzt im funfzigsten Jahre steht, noch
nie in die Stadt gekommen; ich nur zweimal, einmal als Kind mit
meinem Vater, da wir noch die Heerde hatten. Später kam mal einer und
verlangte Geld, in der Voraussetzung, daß wir etwas hätten und hieß mich
mit ihm in die Stadt gehen. Wir hatten nun kein Geld und ich schwor
ihm zu. daß wir keins hätten, sonst würden wir es ihm geben. Wir bewi"
thaten ihn aber so gut wir konnten und schenkten ihm zwei Hirschhäute,
dann ging ich mit ihm in die Stadt, denn er behauptete. M müsse noth¬
wendig einer von uns hinkommen und unsere Verhältnisse klar machen. Da
sah ich nun, wie schon das erste Mal, viele große Häuser und eine starke
Mauer mit hohen viereckigen Thürmen, und viele Schiffe, die im Hafen ruhig
wie in einem See vor Anker lagen"). Die finden sich an der Stelle, wo du



") Die Stadt, welche hier bezeichnet wird, ist das an einem geschützten Golf liegende
Karystos, im Alterthum berühmt wegen seines Asbests und der Marmorbrüche.

und damals blieben sie nothgedrungen in den Hütten, um Arbeit und Lohn zu
suchen und ernährten sich von einem ganz kleinen Stück Land, das sie in der
Nähe der Hürde bebauten und das des vielen Düngers wegen, den wir hatten,
reichlichen Ertrag gab. Da sie Zeit hatten, so gaben sie sich auch mit der
Jagd ab, allein und mit Hunden. Denn zwei von den Hunden, welche die
Rinder trieben, hatten, als sie weit weg waren und ihre Hirten nicht sahen,
die Heerde verlassen und waren an ihren gewohnten Ort zurückgekehrt. Die
gingen nun anfangs mit wie auch sonst, und wenn sie Wolfe sahen, so ver¬
folgten sie die eine Strecke weit, um Schweine oder Hirsche aber kümmerten sie
sich nicht. Nachdem sie aber erst von ihrem Blut und Fleisch gekostet hatten,
gewöhnten sie sich lieber Fleisch als Brod zu fressen und da sie, wenn es Jagd¬
beute gab, reichliche Kost hatten, sonst aber hungerten, so fingen sie auch an
selbst auf das Wild zu passen, verfolgten was sich zeigte, lernten Witterung
und Fährte und bildeten sich so im Alter noch aus Hirten- zu Jagdhunden aus.
Als aber der Winter kam und sich gar keine Aussicht auf Arbeit zeigte, weder
in der Stadt noch in einem Dorf, besserten sie die Hütten ordentlich aus,
machten den Hofzaun dichter, und hielten sich so hin. indem sie nun das ganze
Grundstück anbauten. Die Jagd ging auch im Winter viel besser von statten,
denn im feuchten Boden drücken sich die Spuren deutlicher ab und der Schnee
zeigt sie vollends so klar, daß man gar keine Mühe sie zu suchen hat. sondern
gradeswegs auf das Wild zugeführt wird, auch Hasen und Rehe in ihrem Lager
fangen kann. So blieb es denn seit der Zeit, sie verlangten gar nach keiner
andern Lebensweise und jeder gab seine Tochter dem Sohn des andern zur
Frau. Beide sind schon seit geraumer Zeit gestorben, in hohen Jahren, wie
sie selbst angaben, aber noch kräftig, frisch und stattlich, meine Mutter lebt
noch. Von uns beiden ist der eine, der jetzt im funfzigsten Jahre steht, noch
nie in die Stadt gekommen; ich nur zweimal, einmal als Kind mit
meinem Vater, da wir noch die Heerde hatten. Später kam mal einer und
verlangte Geld, in der Voraussetzung, daß wir etwas hätten und hieß mich
mit ihm in die Stadt gehen. Wir hatten nun kein Geld und ich schwor
ihm zu. daß wir keins hätten, sonst würden wir es ihm geben. Wir bewi»
thaten ihn aber so gut wir konnten und schenkten ihm zwei Hirschhäute,
dann ging ich mit ihm in die Stadt, denn er behauptete. M müsse noth¬
wendig einer von uns hinkommen und unsere Verhältnisse klar machen. Da
sah ich nun, wie schon das erste Mal, viele große Häuser und eine starke
Mauer mit hohen viereckigen Thürmen, und viele Schiffe, die im Hafen ruhig
wie in einem See vor Anker lagen"). Die finden sich an der Stelle, wo du



") Die Stadt, welche hier bezeichnet wird, ist das an einem geschützten Golf liegende
Karystos, im Alterthum berühmt wegen seines Asbests und der Marmorbrüche.
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[0377] und damals blieben sie nothgedrungen in den Hütten, um Arbeit und Lohn zu suchen und ernährten sich von einem ganz kleinen Stück Land, das sie in der Nähe der Hürde bebauten und das des vielen Düngers wegen, den wir hatten, reichlichen Ertrag gab. Da sie Zeit hatten, so gaben sie sich auch mit der Jagd ab, allein und mit Hunden. Denn zwei von den Hunden, welche die Rinder trieben, hatten, als sie weit weg waren und ihre Hirten nicht sahen, die Heerde verlassen und waren an ihren gewohnten Ort zurückgekehrt. Die gingen nun anfangs mit wie auch sonst, und wenn sie Wolfe sahen, so ver¬ folgten sie die eine Strecke weit, um Schweine oder Hirsche aber kümmerten sie sich nicht. Nachdem sie aber erst von ihrem Blut und Fleisch gekostet hatten, gewöhnten sie sich lieber Fleisch als Brod zu fressen und da sie, wenn es Jagd¬ beute gab, reichliche Kost hatten, sonst aber hungerten, so fingen sie auch an selbst auf das Wild zu passen, verfolgten was sich zeigte, lernten Witterung und Fährte und bildeten sich so im Alter noch aus Hirten- zu Jagdhunden aus. Als aber der Winter kam und sich gar keine Aussicht auf Arbeit zeigte, weder in der Stadt noch in einem Dorf, besserten sie die Hütten ordentlich aus, machten den Hofzaun dichter, und hielten sich so hin. indem sie nun das ganze Grundstück anbauten. Die Jagd ging auch im Winter viel besser von statten, denn im feuchten Boden drücken sich die Spuren deutlicher ab und der Schnee zeigt sie vollends so klar, daß man gar keine Mühe sie zu suchen hat. sondern gradeswegs auf das Wild zugeführt wird, auch Hasen und Rehe in ihrem Lager fangen kann. So blieb es denn seit der Zeit, sie verlangten gar nach keiner andern Lebensweise und jeder gab seine Tochter dem Sohn des andern zur Frau. Beide sind schon seit geraumer Zeit gestorben, in hohen Jahren, wie sie selbst angaben, aber noch kräftig, frisch und stattlich, meine Mutter lebt noch. Von uns beiden ist der eine, der jetzt im funfzigsten Jahre steht, noch nie in die Stadt gekommen; ich nur zweimal, einmal als Kind mit meinem Vater, da wir noch die Heerde hatten. Später kam mal einer und verlangte Geld, in der Voraussetzung, daß wir etwas hätten und hieß mich mit ihm in die Stadt gehen. Wir hatten nun kein Geld und ich schwor ihm zu. daß wir keins hätten, sonst würden wir es ihm geben. Wir bewi» thaten ihn aber so gut wir konnten und schenkten ihm zwei Hirschhäute, dann ging ich mit ihm in die Stadt, denn er behauptete. M müsse noth¬ wendig einer von uns hinkommen und unsere Verhältnisse klar machen. Da sah ich nun, wie schon das erste Mal, viele große Häuser und eine starke Mauer mit hohen viereckigen Thürmen, und viele Schiffe, die im Hafen ruhig wie in einem See vor Anker lagen"). Die finden sich an der Stelle, wo du ") Die Stadt, welche hier bezeichnet wird, ist das an einem geschützten Golf liegende Karystos, im Alterthum berühmt wegen seines Asbests und der Marmorbrüche.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 26, 1867, II. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341805_191229/377>, abgerufen am 15.01.2025.