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Die Grenzboten. Jg. 26, 1867, II. Semester. I. Band.

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Sturm, vor dem wir mit genauer Noth unter die Höhlungen von Euböa")
kamen, dort ließen sie das Schiff auf die Klippen unter den Abhängen auf¬
laufen und stranden und gingen zu Purpursischern, die auf einer Landzunge
,ihr Quartier hatten, wo sie für einige Zeit Arbeit zu finden hofften. So blieb
ich denn allein, und da ich keinen Ort mich zu bergen wußte, ging ich aufs
Gerathewohl am Strande fort, ob ich etwa vorübeifcchrende oder vor Anker
liegende Schiffe treffen könnte. Lange Zeit ging ich vorwärts ohne einen Men¬
schen zu sehen, da stieß ich aus einen Hirsch, der eben vom Abhang herab auf
den Strand gestürzt war und von den Wogen umspült noch lebte. Bald dar"
auf glaubte ich auch von obenher Hundegebell undeutlich durch das Meeres¬
geräusch zu hören. Nachdem ich mich mühselig auf eine Höhe hinaufgearbeitet
hatte, sah ich denn auch Hunde, die in Verwirrung durch einander liefen und
dachte mir, daß das Thier von ihnen verfolgt den Abhang hinunter gesprungen
sei, gleich hernach auch einen Mann, nach Ansehen und Tracht eiuen Jäger,
mit vollem Bart und langen Locken am Hinterhaupt, die ihn gut kleideten,
sowie Homer die Euböer vor Troja ziehen läßt -- um sie zu verbotenen, denke
ich, daß sie nur halbgelockt, die übrigen Achäer aber hauptumlockt waren."") Der
Mann nun fragte mich, ob ich etwa einen Hirsch auf der Flucht gesehen habe,
worauf ich ihm erwiderte, daß er schon im Meer liege, und ihn zu der Stelle
brachte. Er zog ihn aus dem Wasser, enthäutete ihn mit seinem Waidmesser,
wobei ich half so gut ich konnte, und schnitt die Hinterkeulen ab, die er nebst
dem Fell mitnahm. Mich lud er ein mitzugehen und das Fleisch zu verzehren,
seine Wohnung sei nicht weit entfernt. Morgen, sagte er, wenn du bei uns
ausgeschlafen hast, kannst du ans Meer gehen, das seht doch nicht schiffbar ist.
Du kannst dabei ganz unbesorgt sein, ich will nur wünschen, daß der Sturm in
fünf Tagen nachläßt; das ist schwerlich der Fall, wenn die Höhen Euböas so
von Wolken eingehüllt sind wie gegenwärtig. Darauf fragte er mich, woher ich
komme und wie es weiter hergegangen sei, ob das Schiff nicht gescheitert sei. Es
war ein ganz kleiner Fischerkahn, sagt? ich. mit dem ich fuhr, weil ich Eile hatte,
auch der ist beim Landen zerschellt. Das geht nicht anders, erwiderte er, sieh
nur, wie rauh und wild die Meeresküste ist. Das sind die verrufenen Höhlungen
von Euböa; ein Schiff, welches dahineingeräth. ist nicht zu erhalten, nur ganz
selten retten sich einige von der Mannschaft, wenn sie nicht etwa so leicht fahren




") Die Höhlungen von Euböa nannte man die geräumige Bucht a" der Ostküsts
der Insel am Vorgebirge Kaphercus. an deren schroffer Küste sich das Meer selbst bei
Nrhigem Wetter in' starker Strömung bricht und bei Sturm den Schiffen sicheren Untergang
bringt.
Homer Ilias II, 58S ff.: dann die Euböa bewohnt
-- mit rückwärts fliegendem Haupthaar.
.Hauptumlockt" ist das stehende Beiwort der Achäer.

Sturm, vor dem wir mit genauer Noth unter die Höhlungen von Euböa")
kamen, dort ließen sie das Schiff auf die Klippen unter den Abhängen auf¬
laufen und stranden und gingen zu Purpursischern, die auf einer Landzunge
,ihr Quartier hatten, wo sie für einige Zeit Arbeit zu finden hofften. So blieb
ich denn allein, und da ich keinen Ort mich zu bergen wußte, ging ich aufs
Gerathewohl am Strande fort, ob ich etwa vorübeifcchrende oder vor Anker
liegende Schiffe treffen könnte. Lange Zeit ging ich vorwärts ohne einen Men¬
schen zu sehen, da stieß ich aus einen Hirsch, der eben vom Abhang herab auf
den Strand gestürzt war und von den Wogen umspült noch lebte. Bald dar»
auf glaubte ich auch von obenher Hundegebell undeutlich durch das Meeres¬
geräusch zu hören. Nachdem ich mich mühselig auf eine Höhe hinaufgearbeitet
hatte, sah ich denn auch Hunde, die in Verwirrung durch einander liefen und
dachte mir, daß das Thier von ihnen verfolgt den Abhang hinunter gesprungen
sei, gleich hernach auch einen Mann, nach Ansehen und Tracht eiuen Jäger,
mit vollem Bart und langen Locken am Hinterhaupt, die ihn gut kleideten,
sowie Homer die Euböer vor Troja ziehen läßt — um sie zu verbotenen, denke
ich, daß sie nur halbgelockt, die übrigen Achäer aber hauptumlockt waren."") Der
Mann nun fragte mich, ob ich etwa einen Hirsch auf der Flucht gesehen habe,
worauf ich ihm erwiderte, daß er schon im Meer liege, und ihn zu der Stelle
brachte. Er zog ihn aus dem Wasser, enthäutete ihn mit seinem Waidmesser,
wobei ich half so gut ich konnte, und schnitt die Hinterkeulen ab, die er nebst
dem Fell mitnahm. Mich lud er ein mitzugehen und das Fleisch zu verzehren,
seine Wohnung sei nicht weit entfernt. Morgen, sagte er, wenn du bei uns
ausgeschlafen hast, kannst du ans Meer gehen, das seht doch nicht schiffbar ist.
Du kannst dabei ganz unbesorgt sein, ich will nur wünschen, daß der Sturm in
fünf Tagen nachläßt; das ist schwerlich der Fall, wenn die Höhen Euböas so
von Wolken eingehüllt sind wie gegenwärtig. Darauf fragte er mich, woher ich
komme und wie es weiter hergegangen sei, ob das Schiff nicht gescheitert sei. Es
war ein ganz kleiner Fischerkahn, sagt? ich. mit dem ich fuhr, weil ich Eile hatte,
auch der ist beim Landen zerschellt. Das geht nicht anders, erwiderte er, sieh
nur, wie rauh und wild die Meeresküste ist. Das sind die verrufenen Höhlungen
von Euböa; ein Schiff, welches dahineingeräth. ist nicht zu erhalten, nur ganz
selten retten sich einige von der Mannschaft, wenn sie nicht etwa so leicht fahren




") Die Höhlungen von Euböa nannte man die geräumige Bucht a» der Ostküsts
der Insel am Vorgebirge Kaphercus. an deren schroffer Küste sich das Meer selbst bei
Nrhigem Wetter in' starker Strömung bricht und bei Sturm den Schiffen sicheren Untergang
bringt.
Homer Ilias II, 58S ff.: dann die Euböa bewohnt
— mit rückwärts fliegendem Haupthaar.
.Hauptumlockt" ist das stehende Beiwort der Achäer.
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[0375] Sturm, vor dem wir mit genauer Noth unter die Höhlungen von Euböa") kamen, dort ließen sie das Schiff auf die Klippen unter den Abhängen auf¬ laufen und stranden und gingen zu Purpursischern, die auf einer Landzunge ,ihr Quartier hatten, wo sie für einige Zeit Arbeit zu finden hofften. So blieb ich denn allein, und da ich keinen Ort mich zu bergen wußte, ging ich aufs Gerathewohl am Strande fort, ob ich etwa vorübeifcchrende oder vor Anker liegende Schiffe treffen könnte. Lange Zeit ging ich vorwärts ohne einen Men¬ schen zu sehen, da stieß ich aus einen Hirsch, der eben vom Abhang herab auf den Strand gestürzt war und von den Wogen umspült noch lebte. Bald dar» auf glaubte ich auch von obenher Hundegebell undeutlich durch das Meeres¬ geräusch zu hören. Nachdem ich mich mühselig auf eine Höhe hinaufgearbeitet hatte, sah ich denn auch Hunde, die in Verwirrung durch einander liefen und dachte mir, daß das Thier von ihnen verfolgt den Abhang hinunter gesprungen sei, gleich hernach auch einen Mann, nach Ansehen und Tracht eiuen Jäger, mit vollem Bart und langen Locken am Hinterhaupt, die ihn gut kleideten, sowie Homer die Euböer vor Troja ziehen läßt — um sie zu verbotenen, denke ich, daß sie nur halbgelockt, die übrigen Achäer aber hauptumlockt waren."") Der Mann nun fragte mich, ob ich etwa einen Hirsch auf der Flucht gesehen habe, worauf ich ihm erwiderte, daß er schon im Meer liege, und ihn zu der Stelle brachte. Er zog ihn aus dem Wasser, enthäutete ihn mit seinem Waidmesser, wobei ich half so gut ich konnte, und schnitt die Hinterkeulen ab, die er nebst dem Fell mitnahm. Mich lud er ein mitzugehen und das Fleisch zu verzehren, seine Wohnung sei nicht weit entfernt. Morgen, sagte er, wenn du bei uns ausgeschlafen hast, kannst du ans Meer gehen, das seht doch nicht schiffbar ist. Du kannst dabei ganz unbesorgt sein, ich will nur wünschen, daß der Sturm in fünf Tagen nachläßt; das ist schwerlich der Fall, wenn die Höhen Euböas so von Wolken eingehüllt sind wie gegenwärtig. Darauf fragte er mich, woher ich komme und wie es weiter hergegangen sei, ob das Schiff nicht gescheitert sei. Es war ein ganz kleiner Fischerkahn, sagt? ich. mit dem ich fuhr, weil ich Eile hatte, auch der ist beim Landen zerschellt. Das geht nicht anders, erwiderte er, sieh nur, wie rauh und wild die Meeresküste ist. Das sind die verrufenen Höhlungen von Euböa; ein Schiff, welches dahineingeräth. ist nicht zu erhalten, nur ganz selten retten sich einige von der Mannschaft, wenn sie nicht etwa so leicht fahren ") Die Höhlungen von Euböa nannte man die geräumige Bucht a» der Ostküsts der Insel am Vorgebirge Kaphercus. an deren schroffer Küste sich das Meer selbst bei Nrhigem Wetter in' starker Strömung bricht und bei Sturm den Schiffen sicheren Untergang bringt. Homer Ilias II, 58S ff.: dann die Euböa bewohnt — mit rückwärts fliegendem Haupthaar. .Hauptumlockt" ist das stehende Beiwort der Achäer.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 26, 1867, II. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341805_191229/375>, abgerufen am 15.01.2025.