Die Grenzboten. Jg. 26, 1867, II. Semester. I. Band.Eine Seite der Darstellung, welche dem modernen Roman und der No¬ Indessen begegnet uns eine originelle Erscheinung in der griechischen Lite¬ Eine Seite der Darstellung, welche dem modernen Roman und der No¬ Indessen begegnet uns eine originelle Erscheinung in der griechischen Lite¬ <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0372" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/191602"/> <p xml:id="ID_1088"> Eine Seite der Darstellung, welche dem modernen Roman und der No¬<lb/> velle einen wesentlichen Reiz verleiht, scheint bei den verwandten Erscheinungen<lb/> der antiken Literatur ganz zurückgetreten zu sein. Es ist das Behagen an<lb/> der realistischen Wiedergabe des täglichen Lebens in dctaillirter Ausführung, so¬<lb/> wohl was die allgemeinen Verhältnisse anlangt, welche die Grundlage der Be¬<lb/> gebenheiten bilden, als die durchgebildete Charakteristik der Personen in Sitten.<lb/> Gewohnheiten und Sprache. An ausführlichen Beschreibungen fehlt es zwar<lb/> den alten Romanen keineswegs, allein theils betreffen diese meistens außer¬<lb/> wesentliches Beiwerk, theils sind sie viel mehr darauf angelegt. zierliche Phrasen<lb/> zusammenzustellen, als ein im Detail anschauliches Bild der wirklichen Dinge<lb/> zu geben. Man thut zwar Unrecht, wenn man der antiken Poesie und Kunst<lb/> ein realistisches Element, das sich dem genreartigen nähert, ganz abspricht, das<lb/> sich vielmehr von früher Zeit an. selbst mit der höchsten Idealität gepaart,<lb/> stetig nachweisen läßt, aber es tritt nur beiläufig, als einzelne Würze des Ver¬<lb/> trags auf. Auch die neue Komödie, wiewohl sie ganz auf dem Boden des täg¬<lb/> lichen Lebens und Verkehrs steht, erstrebt doch die Wahrheit ihrer Darstellung<lb/> nicht vorzugsweise durch das Detail individuellster Kleinmalerei, sondern folgt<lb/> dem allgemeinen Zuge der griechischen Kunst, charakteristische Typen auszuprägen.</p><lb/> <p xml:id="ID_1089" next="#ID_1090"> Indessen begegnet uns eine originelle Erscheinung in der griechischen Lite¬<lb/> ratur, bei welcher genremäßige Auffassung und Darstellung als der maßgebende<lb/> Charakter hervortreten: dies sind die Mimen des Syrcikusaners Sophron,<lb/> der mit der Blüthe der alten Komödie ungefähr gleichzeitig war. Seine Mimen<lb/> waren Charaktergemälde und brachten in knapper Form Situationen aus dem<lb/> Familienleben und dem Geschäftsverkehr der arbeitenden Classen, mehr in dia¬<lb/> logischer Form als in Erzählung zur Anschauung. Alle Mittel einer bis ins<lb/> Einzelnste hineingehenden Charakterisirung waren hier meisterlich angewendet:<lb/> die Anschauungen und Sitten der Stände und Geschlechter wie die Besonder¬<lb/> heiten einzelner auffallender Individuen mit der schärfsten Naturbeobachtung<lb/> gezeichnet; die Ausdrucksweise des gemeinen Mannes mit ihren Idiotismen und<lb/> Jncorrectheiten, sprichwörtlichen und bildlichen Redensarten, schlagenden und<lb/> derben Witzen mit unmittelbarer Wahrheit wiedergegeben. Eigenthümlich war<lb/> es, daß diese Scenen aus dem Voltsl.ben in Prosa geschrieben und weder für<lb/> dramatische Darstellung auf der Bühne noch für die Privatleclüre bestimmt wcircn,<lb/> sondern für den Vortrag geschulter Erzähler mit kunstgcmaß ausgebildeter De¬<lb/> klamation und Mimik — einer Kunst, welche zwar nicht eigentlich zünftig geübt<lb/> wurde, aber in sehr verschiedenen Abstufungen und in sehr verschiedenen Kreisen<lb/> stets Beifall fand. Die drastische Wirkung und die eigentlich poetische Kraft der¬<lb/> selben, welche das Alterthum übereinstimmend preist, können wir aus den dürf¬<lb/> tigen Ueberresten nicht mehr erkennen, ebensowenig ermessen, wie viel von<lb/> ihrem eigenthümlichen Wesen in die späteren dramatischen Mimen, die Possen</p><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0372]
Eine Seite der Darstellung, welche dem modernen Roman und der No¬
velle einen wesentlichen Reiz verleiht, scheint bei den verwandten Erscheinungen
der antiken Literatur ganz zurückgetreten zu sein. Es ist das Behagen an
der realistischen Wiedergabe des täglichen Lebens in dctaillirter Ausführung, so¬
wohl was die allgemeinen Verhältnisse anlangt, welche die Grundlage der Be¬
gebenheiten bilden, als die durchgebildete Charakteristik der Personen in Sitten.
Gewohnheiten und Sprache. An ausführlichen Beschreibungen fehlt es zwar
den alten Romanen keineswegs, allein theils betreffen diese meistens außer¬
wesentliches Beiwerk, theils sind sie viel mehr darauf angelegt. zierliche Phrasen
zusammenzustellen, als ein im Detail anschauliches Bild der wirklichen Dinge
zu geben. Man thut zwar Unrecht, wenn man der antiken Poesie und Kunst
ein realistisches Element, das sich dem genreartigen nähert, ganz abspricht, das
sich vielmehr von früher Zeit an. selbst mit der höchsten Idealität gepaart,
stetig nachweisen läßt, aber es tritt nur beiläufig, als einzelne Würze des Ver¬
trags auf. Auch die neue Komödie, wiewohl sie ganz auf dem Boden des täg¬
lichen Lebens und Verkehrs steht, erstrebt doch die Wahrheit ihrer Darstellung
nicht vorzugsweise durch das Detail individuellster Kleinmalerei, sondern folgt
dem allgemeinen Zuge der griechischen Kunst, charakteristische Typen auszuprägen.
Indessen begegnet uns eine originelle Erscheinung in der griechischen Lite¬
ratur, bei welcher genremäßige Auffassung und Darstellung als der maßgebende
Charakter hervortreten: dies sind die Mimen des Syrcikusaners Sophron,
der mit der Blüthe der alten Komödie ungefähr gleichzeitig war. Seine Mimen
waren Charaktergemälde und brachten in knapper Form Situationen aus dem
Familienleben und dem Geschäftsverkehr der arbeitenden Classen, mehr in dia¬
logischer Form als in Erzählung zur Anschauung. Alle Mittel einer bis ins
Einzelnste hineingehenden Charakterisirung waren hier meisterlich angewendet:
die Anschauungen und Sitten der Stände und Geschlechter wie die Besonder¬
heiten einzelner auffallender Individuen mit der schärfsten Naturbeobachtung
gezeichnet; die Ausdrucksweise des gemeinen Mannes mit ihren Idiotismen und
Jncorrectheiten, sprichwörtlichen und bildlichen Redensarten, schlagenden und
derben Witzen mit unmittelbarer Wahrheit wiedergegeben. Eigenthümlich war
es, daß diese Scenen aus dem Voltsl.ben in Prosa geschrieben und weder für
dramatische Darstellung auf der Bühne noch für die Privatleclüre bestimmt wcircn,
sondern für den Vortrag geschulter Erzähler mit kunstgcmaß ausgebildeter De¬
klamation und Mimik — einer Kunst, welche zwar nicht eigentlich zünftig geübt
wurde, aber in sehr verschiedenen Abstufungen und in sehr verschiedenen Kreisen
stets Beifall fand. Die drastische Wirkung und die eigentlich poetische Kraft der¬
selben, welche das Alterthum übereinstimmend preist, können wir aus den dürf¬
tigen Ueberresten nicht mehr erkennen, ebensowenig ermessen, wie viel von
ihrem eigenthümlichen Wesen in die späteren dramatischen Mimen, die Possen
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