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Die Grenzboten. Jg. 26, 1867, II. Semester. I. Band.

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lich angenommen, die Mainlinie vielmehr schon jetzt ein überwundener Stand¬
punkt sein. Aber das sind eben fromme Wünsche geblieben, und daß sie das
geblieben sind, daran trägt ein gutes Theil Schuld die frühere hannoversche Regie-
rung, die in unseliger Verblendung den preußischen Waffen entgegentrat. Damit
hat sie ihren Sturz selbst verschuldet, und seit Langensalza gab es keine andre
Lösung mehr, als die jetzt eingetretene. Wäre die hannoversche Regierung wieder
eingesetzt auf den verlorenen Thron, wir glauben sicher, die Unzufriedenheit und
Mißstimmung im Lande wäre heute unendlich größer, als sie jetzt unter preußi¬
scher Herrschaft ist. Jede Restauration ist rachsüchtig, und die hannoversche
Regierung würde sicherlich andern restaurirten Regierungen darin nichts nach¬
gegeben haben; würden auch gegen etwaige directe Verfolgungen Compromittirter
die Friedensbestimmungen geschützt haben, so würden doch kleinliche Maßrege¬
lungen und gehässige Zurücksetzungen und Anfeindungen, in der Art der bekann¬
ten paulischen Affaire in Tübingen, sicher in Masse vorgekommen sein. Sprachen
doch im Sommer vorigen Jahres, als die Einverleibung in PreuHen noch nicht
entschieden war, die fanatischen Anhänger der Regierung es offen aus, daß eine
Zeit der Vergeltung kommen solle, in welcher jeder, der nur im mindesten
Sympathie für Preußen zeigte, seinen "Landesverrat!)" büßen solle! War es
doch bekannt, daß förmliche schwarze Listen angelegt waren mit den Namen und
den angeblichen Vergehen der Verräther! War man doch darüber nicht im
mindesten in Zweifel, daß die Männer, die den Dank des ganzen Landes da¬
durch verdient, daß sie bei Eintritt der preußischen Occupation an die Spitze
der einzelnen Ministerialdepartements getreten waren, den vollen Zorn König
Georgs zu tragen haben würden, sobald er nur zurückkehre! Und zu diesen
traurigen Aussichten von oben, trat im Falle der Restauration noch die Per-
spective auf die unvermeidlichen Kämpfe zwischen Regierung und Ständen.
Wer Zeuge der maßlosen Erbitterung in allen Schichten des Volks war über
das unverantwortliche Vorgehen der Regierung trotz aller Warnungen, die von
den Ständen, wie von der Stadt Hannover noch in letzter Stunde vor das
Ohr des Königs gebracht wurden; wer sich des Grimms erinnert, der jeden
überkam bei dem Anblick der trostlosen Ausrüstung der Armee, wer sich ver¬
gegenwärtigt, wie entsetzlich klar die jammervolle Kriegsverwaltung, die für
Millionen und aber Millionen auch nicht das Nothdürftigste zur rechten Zeit
zur Welt hatte schaffen können, vor aller Augen lag, wer an das Irreführen
der braven Truppen zwischen Göttingen und Langensalza denkt, wem dies
blutige, einzig dem Phantom der militärischen Ehre dargebrachte Opfer
noch vor der Seele steht, wie es damals mit , schaurigen Entsetzen
die Gemüther des Volks ergriff, der kann darüber nicht im Zweifel sein,
daß das öffentliche Bewußtsein einer Sühne bedürfte, und daß keine Kammer es
hätte unterlassen dürfen, die Restauration der alten Regierung mit einer Minister-


Grenzboten III. 1867. 43

lich angenommen, die Mainlinie vielmehr schon jetzt ein überwundener Stand¬
punkt sein. Aber das sind eben fromme Wünsche geblieben, und daß sie das
geblieben sind, daran trägt ein gutes Theil Schuld die frühere hannoversche Regie-
rung, die in unseliger Verblendung den preußischen Waffen entgegentrat. Damit
hat sie ihren Sturz selbst verschuldet, und seit Langensalza gab es keine andre
Lösung mehr, als die jetzt eingetretene. Wäre die hannoversche Regierung wieder
eingesetzt auf den verlorenen Thron, wir glauben sicher, die Unzufriedenheit und
Mißstimmung im Lande wäre heute unendlich größer, als sie jetzt unter preußi¬
scher Herrschaft ist. Jede Restauration ist rachsüchtig, und die hannoversche
Regierung würde sicherlich andern restaurirten Regierungen darin nichts nach¬
gegeben haben; würden auch gegen etwaige directe Verfolgungen Compromittirter
die Friedensbestimmungen geschützt haben, so würden doch kleinliche Maßrege¬
lungen und gehässige Zurücksetzungen und Anfeindungen, in der Art der bekann¬
ten paulischen Affaire in Tübingen, sicher in Masse vorgekommen sein. Sprachen
doch im Sommer vorigen Jahres, als die Einverleibung in PreuHen noch nicht
entschieden war, die fanatischen Anhänger der Regierung es offen aus, daß eine
Zeit der Vergeltung kommen solle, in welcher jeder, der nur im mindesten
Sympathie für Preußen zeigte, seinen „Landesverrat!)" büßen solle! War es
doch bekannt, daß förmliche schwarze Listen angelegt waren mit den Namen und
den angeblichen Vergehen der Verräther! War man doch darüber nicht im
mindesten in Zweifel, daß die Männer, die den Dank des ganzen Landes da¬
durch verdient, daß sie bei Eintritt der preußischen Occupation an die Spitze
der einzelnen Ministerialdepartements getreten waren, den vollen Zorn König
Georgs zu tragen haben würden, sobald er nur zurückkehre! Und zu diesen
traurigen Aussichten von oben, trat im Falle der Restauration noch die Per-
spective auf die unvermeidlichen Kämpfe zwischen Regierung und Ständen.
Wer Zeuge der maßlosen Erbitterung in allen Schichten des Volks war über
das unverantwortliche Vorgehen der Regierung trotz aller Warnungen, die von
den Ständen, wie von der Stadt Hannover noch in letzter Stunde vor das
Ohr des Königs gebracht wurden; wer sich des Grimms erinnert, der jeden
überkam bei dem Anblick der trostlosen Ausrüstung der Armee, wer sich ver¬
gegenwärtigt, wie entsetzlich klar die jammervolle Kriegsverwaltung, die für
Millionen und aber Millionen auch nicht das Nothdürftigste zur rechten Zeit
zur Welt hatte schaffen können, vor aller Augen lag, wer an das Irreführen
der braven Truppen zwischen Göttingen und Langensalza denkt, wem dies
blutige, einzig dem Phantom der militärischen Ehre dargebrachte Opfer
noch vor der Seele steht, wie es damals mit , schaurigen Entsetzen
die Gemüther des Volks ergriff, der kann darüber nicht im Zweifel sein,
daß das öffentliche Bewußtsein einer Sühne bedürfte, und daß keine Kammer es
hätte unterlassen dürfen, die Restauration der alten Regierung mit einer Minister-


Grenzboten III. 1867. 43
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[0363] lich angenommen, die Mainlinie vielmehr schon jetzt ein überwundener Stand¬ punkt sein. Aber das sind eben fromme Wünsche geblieben, und daß sie das geblieben sind, daran trägt ein gutes Theil Schuld die frühere hannoversche Regie- rung, die in unseliger Verblendung den preußischen Waffen entgegentrat. Damit hat sie ihren Sturz selbst verschuldet, und seit Langensalza gab es keine andre Lösung mehr, als die jetzt eingetretene. Wäre die hannoversche Regierung wieder eingesetzt auf den verlorenen Thron, wir glauben sicher, die Unzufriedenheit und Mißstimmung im Lande wäre heute unendlich größer, als sie jetzt unter preußi¬ scher Herrschaft ist. Jede Restauration ist rachsüchtig, und die hannoversche Regierung würde sicherlich andern restaurirten Regierungen darin nichts nach¬ gegeben haben; würden auch gegen etwaige directe Verfolgungen Compromittirter die Friedensbestimmungen geschützt haben, so würden doch kleinliche Maßrege¬ lungen und gehässige Zurücksetzungen und Anfeindungen, in der Art der bekann¬ ten paulischen Affaire in Tübingen, sicher in Masse vorgekommen sein. Sprachen doch im Sommer vorigen Jahres, als die Einverleibung in PreuHen noch nicht entschieden war, die fanatischen Anhänger der Regierung es offen aus, daß eine Zeit der Vergeltung kommen solle, in welcher jeder, der nur im mindesten Sympathie für Preußen zeigte, seinen „Landesverrat!)" büßen solle! War es doch bekannt, daß förmliche schwarze Listen angelegt waren mit den Namen und den angeblichen Vergehen der Verräther! War man doch darüber nicht im mindesten in Zweifel, daß die Männer, die den Dank des ganzen Landes da¬ durch verdient, daß sie bei Eintritt der preußischen Occupation an die Spitze der einzelnen Ministerialdepartements getreten waren, den vollen Zorn König Georgs zu tragen haben würden, sobald er nur zurückkehre! Und zu diesen traurigen Aussichten von oben, trat im Falle der Restauration noch die Per- spective auf die unvermeidlichen Kämpfe zwischen Regierung und Ständen. Wer Zeuge der maßlosen Erbitterung in allen Schichten des Volks war über das unverantwortliche Vorgehen der Regierung trotz aller Warnungen, die von den Ständen, wie von der Stadt Hannover noch in letzter Stunde vor das Ohr des Königs gebracht wurden; wer sich des Grimms erinnert, der jeden überkam bei dem Anblick der trostlosen Ausrüstung der Armee, wer sich ver¬ gegenwärtigt, wie entsetzlich klar die jammervolle Kriegsverwaltung, die für Millionen und aber Millionen auch nicht das Nothdürftigste zur rechten Zeit zur Welt hatte schaffen können, vor aller Augen lag, wer an das Irreführen der braven Truppen zwischen Göttingen und Langensalza denkt, wem dies blutige, einzig dem Phantom der militärischen Ehre dargebrachte Opfer noch vor der Seele steht, wie es damals mit , schaurigen Entsetzen die Gemüther des Volks ergriff, der kann darüber nicht im Zweifel sein, daß das öffentliche Bewußtsein einer Sühne bedürfte, und daß keine Kammer es hätte unterlassen dürfen, die Restauration der alten Regierung mit einer Minister- Grenzboten III. 1867. 43

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 26, 1867, II. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341805_191229/363>, abgerufen am 15.01.2025.