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Die Grenzboten. Jg. 26, 1867, II. Semester. I. Band.

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eine bedenkliche Stimmung in der großen Menge, die thatsächlich nie vorhanden
gewesen ist. Abgesehen vielleicht von der Stadt Hannover und der unmittel¬
baren Umgebung ist grade auf dem Lande und bei dem s. g. gemeinen Manne
von einer feindlichen Stimmung gegen Preußen nichts zu finden; vielleicht ist
eine gewisse Apathie ebenso verbreitet, wie positive Anhänglichkeit an Preußen
und begeisterte deutsche Gesinnung; aber von dem Gegentheil ist auch nicht die
Spur. Desto mehr ist es daher Unrecht, durch Reden, wie die obigen,
ein Gespenst zu citiren, das schließlich, obwohl Gespenst, dennoch und weil
es Gläubige findet, trotz seiner Nichtexistenz in mancher Richtung seinen schäd¬
lichen und lähmenden Einfluß übt. Es ist das aber eben die innere Wider¬
willigkeit, die bei äußerer Ergebenheit zu solch tadelnswerthem Verhalten und
unbedachten Reden führt, und halten wir es daher für Pflicht, diesen Wölfen
im Schafskleide entschieden entgegenzutreten, die, selber fast die einzigen Geg¬
ner der neuen Gestaltung der Dinge, die Rolle der freundlich besorgten Warner
übernehmen und der Gesammtbevölkerung Ansichten und Pläne unterschieben
wollen, die nur in ihrem eignen Hirn vorhanden sind.

Die Auffassung, daß Hannovers Streichung aus der Reihe der Staaten
ein bedauerlicher Mißgriff der preußischen Regierung sei, daß es richtiger gewesen
wäre, das Land als selbständiges Glied des norddeutschen Bundes, ähnlich
Wie Sachsen, fortbestehen zu lassen, theilen übrigens manche auch sonst ruhig
denkende Patrioten; aber auch diesen müssen wir entgegentreten. Daß die
völlige Verschmelzung mit Preußen im großen deutschen Interesse vorzuziehen
sei. wird nirgends bezweifelt; aber im Interesse des Landes selbst wird vielfach
der Verlust der Selbständigkeit bedauert und zur Begründung dafür hauptsäch¬
lich aus die zur Zeit noch in manchen Kreisen vorhandene Unzufriedenheit und auf
die angebliche finanzielle Ueberbü'rdung des Landes infolge der Vereinigung
mit Preußen hingewiesen.

Wir können diese Gründe als stichhaltig nicht anerkennen und wollen sie
kurz widerlegen; nur eine Bemerkung noch. Auch wir bedauern lebhaft den
Untergang des Königreichs Hannover; auch wir halten ihn für ein Unglück,
sogar für ein Unglück in deutsch-nationalem Interesse; aber nur insofern, als
nicht Hannover von vornherein den großen Kampf des vorigen Jahres an
Preußens Seite mit gekämpft hat. Hätte die hannoversche Regierung in rich¬
tiger Auffassung der Verhältnisse sich mit Entschiedenheit gleich Oldenburg eng an
Preußen angeschlossen, im Verein mit Preußen seine Armee zeitig gerüstet und
sie unter preußisches Commando gestellt, und wäre dadurch der unerquickliche und
zeitraubende Feldzug in Thüringen unnöthig gemacht worden, so hätte muthmaßlich
Falkenstein am 27. Juni statt bei Langensalza in Frankfurt gestanden, und dann
wäre, als die böhmischen Armeen vor Wien anlangten, die Mainarmee in München
und Stuttgart eingerückt. Dann würde Louis Napoleons Vermittlung schwer-


eine bedenkliche Stimmung in der großen Menge, die thatsächlich nie vorhanden
gewesen ist. Abgesehen vielleicht von der Stadt Hannover und der unmittel¬
baren Umgebung ist grade auf dem Lande und bei dem s. g. gemeinen Manne
von einer feindlichen Stimmung gegen Preußen nichts zu finden; vielleicht ist
eine gewisse Apathie ebenso verbreitet, wie positive Anhänglichkeit an Preußen
und begeisterte deutsche Gesinnung; aber von dem Gegentheil ist auch nicht die
Spur. Desto mehr ist es daher Unrecht, durch Reden, wie die obigen,
ein Gespenst zu citiren, das schließlich, obwohl Gespenst, dennoch und weil
es Gläubige findet, trotz seiner Nichtexistenz in mancher Richtung seinen schäd¬
lichen und lähmenden Einfluß übt. Es ist das aber eben die innere Wider¬
willigkeit, die bei äußerer Ergebenheit zu solch tadelnswerthem Verhalten und
unbedachten Reden führt, und halten wir es daher für Pflicht, diesen Wölfen
im Schafskleide entschieden entgegenzutreten, die, selber fast die einzigen Geg¬
ner der neuen Gestaltung der Dinge, die Rolle der freundlich besorgten Warner
übernehmen und der Gesammtbevölkerung Ansichten und Pläne unterschieben
wollen, die nur in ihrem eignen Hirn vorhanden sind.

Die Auffassung, daß Hannovers Streichung aus der Reihe der Staaten
ein bedauerlicher Mißgriff der preußischen Regierung sei, daß es richtiger gewesen
wäre, das Land als selbständiges Glied des norddeutschen Bundes, ähnlich
Wie Sachsen, fortbestehen zu lassen, theilen übrigens manche auch sonst ruhig
denkende Patrioten; aber auch diesen müssen wir entgegentreten. Daß die
völlige Verschmelzung mit Preußen im großen deutschen Interesse vorzuziehen
sei. wird nirgends bezweifelt; aber im Interesse des Landes selbst wird vielfach
der Verlust der Selbständigkeit bedauert und zur Begründung dafür hauptsäch¬
lich aus die zur Zeit noch in manchen Kreisen vorhandene Unzufriedenheit und auf
die angebliche finanzielle Ueberbü'rdung des Landes infolge der Vereinigung
mit Preußen hingewiesen.

Wir können diese Gründe als stichhaltig nicht anerkennen und wollen sie
kurz widerlegen; nur eine Bemerkung noch. Auch wir bedauern lebhaft den
Untergang des Königreichs Hannover; auch wir halten ihn für ein Unglück,
sogar für ein Unglück in deutsch-nationalem Interesse; aber nur insofern, als
nicht Hannover von vornherein den großen Kampf des vorigen Jahres an
Preußens Seite mit gekämpft hat. Hätte die hannoversche Regierung in rich¬
tiger Auffassung der Verhältnisse sich mit Entschiedenheit gleich Oldenburg eng an
Preußen angeschlossen, im Verein mit Preußen seine Armee zeitig gerüstet und
sie unter preußisches Commando gestellt, und wäre dadurch der unerquickliche und
zeitraubende Feldzug in Thüringen unnöthig gemacht worden, so hätte muthmaßlich
Falkenstein am 27. Juni statt bei Langensalza in Frankfurt gestanden, und dann
wäre, als die böhmischen Armeen vor Wien anlangten, die Mainarmee in München
und Stuttgart eingerückt. Dann würde Louis Napoleons Vermittlung schwer-


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 26, 1867, II. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341805_191229/362>, abgerufen am 15.01.2025.