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Die Grenzboten. Jg. 26, 1867, II. Semester. I. Band.

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ES sind das die Leute, welche Herr v. Münchhausen in selner bekannten An"
spräche an König Wilhelm ganz richtig als "widerwillig unterjochte Unterthanen
voll hoffnungsloser Ergebenheit" charakteristrte; nur daß er den kleinen Rech¬
nungsfehler beging, sie auf zwei Millionen Köpfe anzuschlagen, statt sich mit der
Wahrheit, d. h. mit wenigen Procenten dieser zwei Millionen zu begnügen.
Aber diese Verbindung von innerer Widerwilligfeit und äußerer Ergebenheit,
die man leider noch so häufig findet, ist einem gesunden Sinne grade am meisten
zuwider, und diesen Leuten gebührt die derbste Strafpredigt.

Mit scheinheiliger Miene sitzen sie da und rühmen und preisen den Gewinn
für Deutschtand; hinter jeden Satz aber kommt das Bedauern über das Schick¬
sal Hannovers. "Ja. für Deutschland im Ganzen." so hört man sie raisonniren
"ist das alles ja ganz gut und schön und unsere Nachkommen werden ja wohl ganz
gut dabei fahren, aber wir. die lebende Generation, haben doch zu viel dabei verloren.
Es war ja bei uns in Hannover alles so gut!; wir verlangten es ja nicht besser; wir
wollten ja auch gern für Deutschland Opfer bringen, aber uns unsere Selbständigkeit
zu nehmen, war doch nicht nöthig; die allgemeine Wehrpflicht hätten wir ja auch
so einführen können; aber nun außerdem noch die hohen preußischen Steuern
tragen zu sollen, das ist zu viel; und die vielen neuen Gesetze machen so viel
böses Blut, und gute Preußen werden die Hannoveraner in fünfzig Jahren
nicht; wir fügen uns ja und sehen ein, daß es jetzt nicht anders geht; aber
auf dem Lande und sonst ist die Stimmung so schlecht; es wäre doch klüger
gewesen, uns unsre Selbständigkeit zu lassen; jetzt ist Hannover für lange Zeit
nur eine wunde Stelle für Preußen; es kann sich auf die Bevölkerung nicht
verlassen; wenn wir auch einsehen, daß es unrecht und unnatürlich wäre,
mit den Franzosen zu gehen, die große Menge thut das gleich aus Haß gegen
Preußen, und wenn wir auch zugeben, daß eine Besiegung Preußens und
Wiederherstellung des Königreichs Hannover das größte Unglück für Deutschland
wäre, so denkt doch der gemeine Mann anders, und dann, ein Unglück ist und
bleibt der Verlust unsrer Selbständigkeit doch immer, wenn auch jetzt, nachdem
es einmal so gekommen ist, eine Niederlage Preußens ein noch größeres
Unglück wäre."

Solche Reden kann man täglich hören, und die Leute bedeuken nicht, welch'
Unrecht sie damit begehen. Jeder will zwar selbst für einen guten Patrioten
gelten und versichert stets, daß er einsichtig genug sei, um fest zur nationalen
Sache zu stehen; aber "die Stimmung im Allgemeinen" wird stets als anders¬
denkend geschildert; sieht man sich aber ernstlich danach um, so ist das weiter
nichts, als bewußte oder unbewußte Lust, der Regierung Verlegenheiten zu be¬
reiten und die entschiedenen Anhänger der neuen Zustände besorgt zu machen
oder aber eine gewisse Sucht, dunkle unheimliche Dinge vorauszusagen, und so
spricht Einer dem Andern nach, und schließlich glauben wirklich die Meisten an


ES sind das die Leute, welche Herr v. Münchhausen in selner bekannten An«
spräche an König Wilhelm ganz richtig als „widerwillig unterjochte Unterthanen
voll hoffnungsloser Ergebenheit" charakteristrte; nur daß er den kleinen Rech¬
nungsfehler beging, sie auf zwei Millionen Köpfe anzuschlagen, statt sich mit der
Wahrheit, d. h. mit wenigen Procenten dieser zwei Millionen zu begnügen.
Aber diese Verbindung von innerer Widerwilligfeit und äußerer Ergebenheit,
die man leider noch so häufig findet, ist einem gesunden Sinne grade am meisten
zuwider, und diesen Leuten gebührt die derbste Strafpredigt.

Mit scheinheiliger Miene sitzen sie da und rühmen und preisen den Gewinn
für Deutschtand; hinter jeden Satz aber kommt das Bedauern über das Schick¬
sal Hannovers. „Ja. für Deutschland im Ganzen." so hört man sie raisonniren
»ist das alles ja ganz gut und schön und unsere Nachkommen werden ja wohl ganz
gut dabei fahren, aber wir. die lebende Generation, haben doch zu viel dabei verloren.
Es war ja bei uns in Hannover alles so gut!; wir verlangten es ja nicht besser; wir
wollten ja auch gern für Deutschland Opfer bringen, aber uns unsere Selbständigkeit
zu nehmen, war doch nicht nöthig; die allgemeine Wehrpflicht hätten wir ja auch
so einführen können; aber nun außerdem noch die hohen preußischen Steuern
tragen zu sollen, das ist zu viel; und die vielen neuen Gesetze machen so viel
böses Blut, und gute Preußen werden die Hannoveraner in fünfzig Jahren
nicht; wir fügen uns ja und sehen ein, daß es jetzt nicht anders geht; aber
auf dem Lande und sonst ist die Stimmung so schlecht; es wäre doch klüger
gewesen, uns unsre Selbständigkeit zu lassen; jetzt ist Hannover für lange Zeit
nur eine wunde Stelle für Preußen; es kann sich auf die Bevölkerung nicht
verlassen; wenn wir auch einsehen, daß es unrecht und unnatürlich wäre,
mit den Franzosen zu gehen, die große Menge thut das gleich aus Haß gegen
Preußen, und wenn wir auch zugeben, daß eine Besiegung Preußens und
Wiederherstellung des Königreichs Hannover das größte Unglück für Deutschland
wäre, so denkt doch der gemeine Mann anders, und dann, ein Unglück ist und
bleibt der Verlust unsrer Selbständigkeit doch immer, wenn auch jetzt, nachdem
es einmal so gekommen ist, eine Niederlage Preußens ein noch größeres
Unglück wäre."

Solche Reden kann man täglich hören, und die Leute bedeuken nicht, welch'
Unrecht sie damit begehen. Jeder will zwar selbst für einen guten Patrioten
gelten und versichert stets, daß er einsichtig genug sei, um fest zur nationalen
Sache zu stehen; aber „die Stimmung im Allgemeinen" wird stets als anders¬
denkend geschildert; sieht man sich aber ernstlich danach um, so ist das weiter
nichts, als bewußte oder unbewußte Lust, der Regierung Verlegenheiten zu be¬
reiten und die entschiedenen Anhänger der neuen Zustände besorgt zu machen
oder aber eine gewisse Sucht, dunkle unheimliche Dinge vorauszusagen, und so
spricht Einer dem Andern nach, und schließlich glauben wirklich die Meisten an


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 26, 1867, II. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341805_191229/361>, abgerufen am 15.01.2025.