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Die Grenzboten. Jg. 26, 1867, II. Semester. I. Band.

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für größer als Hannover zu erklären, die mit unendlichem Selbstgefühl von
dem glorreichen Siege bei Langensalza reden und die Preußen ein gleich schmäh¬
liches Ende, wie das des großen Napoleon war, prophezeien. Es sind das die Leute,
die mit Ostentation weiß-gelbe Taschentücher tragen, die preußischen Soldaten
mit dem Rufe "Kukuk" verhöhnen und stolz darauf sind, "nur Hannove¬
raner" zu sein. Erwiederte uns doch kürzlich einer dieser Leute, ein sonst ganz
vernünftiger und durchaus gebildeter Mann, als wir seine Ansichten mit Hin¬
weis auf die großartigen Resultate für ganz Deutschland zu berichtigen ver¬
suchten, mit unbeschreiblicher Miene glücklichen Selbstbewußtseins: "Ich bin gott-
lob als Hannoveraner so erzogen, daß ich kein Deutschland kenne." Diese besondre
Species von Patrioten dürfte wohl kaum im übrigen Deutschland aufzufinden
sein; in Hannover gedieh sie in einer nicht uuvedeutenden Anzahl von Exemplaren,
sie wird aber nun wohl bald auf den Aussterbeetat kommen, da sie in der
neuen frischen Luft des Großstaats schwerlich weiter wuchern kann. Es war
schon früher oft komisch, das Entsetzen dieser Menschen zu beobachten, wenn
irgendwie das Wort "deutsch" genannt wurde, wenn namentlich eines unserer
deutschen Vaterlandslieder in ihrer Gegenwart gesungen wurde. "Was ist des
Deutschen Vaterland" war das sicherste Mittel, sie aus jeder Gesellschaft zu
vertreiben. Dieser förmliche Haß gegen das Deutschthum ist eine so wunderlich
krankhafte Erscheinung, daß sie eines besondern psychologischen Studiums werth
wäre. Dieser jetzt natürlich auf Preußen mit übertragene Haß führt oft
zu den komischesten Scenen. Ein abgesehen von dieser seltsamen Krank-
yeit höchst achtungswerther und liebenswürdiger Herr unserer Bekanntschaft
war kürzlich mit einer Gesellschaft anderer Preußen d. h. früheren Hannove¬
ranern in einem holländischen Grenzorte von der dort ziemlich preußenfeindlichen
Gassenjugend mit dem höhnenden Ruf "Kukuk" begrüßt und brach, als er
nachher dies Erlebniß erzählte, in den aus tiefster Seele kommenden Sto߬
seufzer aus: "Oh, hätte ich doch nur Prügel bekommen, wie würde mich jeder
Schlag beglückt haben, den ich "als Preuße" gekriegt hätte!" Nun, auch dieser
sonderlichen Politiker sind nicht viele, und ihre Anschauungen sind zu ungesund,
als daß von ihnen Gefahr für das Vaterland zu befürchten wäre.

Die dritte Classe der Mißvergnügten ist es, die am zahlreichsten vertreten
ist, und mit der man am wenigsten Nachsicht haben kann. Es sind die Leute
der halben Mahregeln, die Lauer, die Leute des "Wenn und Aber", die uner¬
träglichen deutschen Philister, die, jeder Thatkraft unfähig, desto eifriger hinter
dem Bicrschoppen Politik treiben, die bei Sänger- und Schützenfesten für deutsche
Einheit schwärmen konnten, nun aber, wo sie aus ihrer lieben Gemüthlichkeit heraus¬
gerissen werden, wo sie die mit jedem großen Ereigniß unvermeidlich verbun¬
denen Unbequemlichkeiten des Uebergangs tragen sollen, jedes Opfer zu schwer
finden und immer seufzen "so haben wir e.s uns nicht gedacht".


für größer als Hannover zu erklären, die mit unendlichem Selbstgefühl von
dem glorreichen Siege bei Langensalza reden und die Preußen ein gleich schmäh¬
liches Ende, wie das des großen Napoleon war, prophezeien. Es sind das die Leute,
die mit Ostentation weiß-gelbe Taschentücher tragen, die preußischen Soldaten
mit dem Rufe „Kukuk" verhöhnen und stolz darauf sind, „nur Hannove¬
raner" zu sein. Erwiederte uns doch kürzlich einer dieser Leute, ein sonst ganz
vernünftiger und durchaus gebildeter Mann, als wir seine Ansichten mit Hin¬
weis auf die großartigen Resultate für ganz Deutschland zu berichtigen ver¬
suchten, mit unbeschreiblicher Miene glücklichen Selbstbewußtseins: „Ich bin gott-
lob als Hannoveraner so erzogen, daß ich kein Deutschland kenne." Diese besondre
Species von Patrioten dürfte wohl kaum im übrigen Deutschland aufzufinden
sein; in Hannover gedieh sie in einer nicht uuvedeutenden Anzahl von Exemplaren,
sie wird aber nun wohl bald auf den Aussterbeetat kommen, da sie in der
neuen frischen Luft des Großstaats schwerlich weiter wuchern kann. Es war
schon früher oft komisch, das Entsetzen dieser Menschen zu beobachten, wenn
irgendwie das Wort „deutsch" genannt wurde, wenn namentlich eines unserer
deutschen Vaterlandslieder in ihrer Gegenwart gesungen wurde. „Was ist des
Deutschen Vaterland" war das sicherste Mittel, sie aus jeder Gesellschaft zu
vertreiben. Dieser förmliche Haß gegen das Deutschthum ist eine so wunderlich
krankhafte Erscheinung, daß sie eines besondern psychologischen Studiums werth
wäre. Dieser jetzt natürlich auf Preußen mit übertragene Haß führt oft
zu den komischesten Scenen. Ein abgesehen von dieser seltsamen Krank-
yeit höchst achtungswerther und liebenswürdiger Herr unserer Bekanntschaft
war kürzlich mit einer Gesellschaft anderer Preußen d. h. früheren Hannove¬
ranern in einem holländischen Grenzorte von der dort ziemlich preußenfeindlichen
Gassenjugend mit dem höhnenden Ruf „Kukuk" begrüßt und brach, als er
nachher dies Erlebniß erzählte, in den aus tiefster Seele kommenden Sto߬
seufzer aus: „Oh, hätte ich doch nur Prügel bekommen, wie würde mich jeder
Schlag beglückt haben, den ich „als Preuße" gekriegt hätte!" Nun, auch dieser
sonderlichen Politiker sind nicht viele, und ihre Anschauungen sind zu ungesund,
als daß von ihnen Gefahr für das Vaterland zu befürchten wäre.

Die dritte Classe der Mißvergnügten ist es, die am zahlreichsten vertreten
ist, und mit der man am wenigsten Nachsicht haben kann. Es sind die Leute
der halben Mahregeln, die Lauer, die Leute des „Wenn und Aber", die uner¬
träglichen deutschen Philister, die, jeder Thatkraft unfähig, desto eifriger hinter
dem Bicrschoppen Politik treiben, die bei Sänger- und Schützenfesten für deutsche
Einheit schwärmen konnten, nun aber, wo sie aus ihrer lieben Gemüthlichkeit heraus¬
gerissen werden, wo sie die mit jedem großen Ereigniß unvermeidlich verbun¬
denen Unbequemlichkeiten des Uebergangs tragen sollen, jedes Opfer zu schwer
finden und immer seufzen „so haben wir e.s uns nicht gedacht".


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[0360] für größer als Hannover zu erklären, die mit unendlichem Selbstgefühl von dem glorreichen Siege bei Langensalza reden und die Preußen ein gleich schmäh¬ liches Ende, wie das des großen Napoleon war, prophezeien. Es sind das die Leute, die mit Ostentation weiß-gelbe Taschentücher tragen, die preußischen Soldaten mit dem Rufe „Kukuk" verhöhnen und stolz darauf sind, „nur Hannove¬ raner" zu sein. Erwiederte uns doch kürzlich einer dieser Leute, ein sonst ganz vernünftiger und durchaus gebildeter Mann, als wir seine Ansichten mit Hin¬ weis auf die großartigen Resultate für ganz Deutschland zu berichtigen ver¬ suchten, mit unbeschreiblicher Miene glücklichen Selbstbewußtseins: „Ich bin gott- lob als Hannoveraner so erzogen, daß ich kein Deutschland kenne." Diese besondre Species von Patrioten dürfte wohl kaum im übrigen Deutschland aufzufinden sein; in Hannover gedieh sie in einer nicht uuvedeutenden Anzahl von Exemplaren, sie wird aber nun wohl bald auf den Aussterbeetat kommen, da sie in der neuen frischen Luft des Großstaats schwerlich weiter wuchern kann. Es war schon früher oft komisch, das Entsetzen dieser Menschen zu beobachten, wenn irgendwie das Wort „deutsch" genannt wurde, wenn namentlich eines unserer deutschen Vaterlandslieder in ihrer Gegenwart gesungen wurde. „Was ist des Deutschen Vaterland" war das sicherste Mittel, sie aus jeder Gesellschaft zu vertreiben. Dieser förmliche Haß gegen das Deutschthum ist eine so wunderlich krankhafte Erscheinung, daß sie eines besondern psychologischen Studiums werth wäre. Dieser jetzt natürlich auf Preußen mit übertragene Haß führt oft zu den komischesten Scenen. Ein abgesehen von dieser seltsamen Krank- yeit höchst achtungswerther und liebenswürdiger Herr unserer Bekanntschaft war kürzlich mit einer Gesellschaft anderer Preußen d. h. früheren Hannove¬ ranern in einem holländischen Grenzorte von der dort ziemlich preußenfeindlichen Gassenjugend mit dem höhnenden Ruf „Kukuk" begrüßt und brach, als er nachher dies Erlebniß erzählte, in den aus tiefster Seele kommenden Sto߬ seufzer aus: „Oh, hätte ich doch nur Prügel bekommen, wie würde mich jeder Schlag beglückt haben, den ich „als Preuße" gekriegt hätte!" Nun, auch dieser sonderlichen Politiker sind nicht viele, und ihre Anschauungen sind zu ungesund, als daß von ihnen Gefahr für das Vaterland zu befürchten wäre. Die dritte Classe der Mißvergnügten ist es, die am zahlreichsten vertreten ist, und mit der man am wenigsten Nachsicht haben kann. Es sind die Leute der halben Mahregeln, die Lauer, die Leute des „Wenn und Aber", die uner¬ träglichen deutschen Philister, die, jeder Thatkraft unfähig, desto eifriger hinter dem Bicrschoppen Politik treiben, die bei Sänger- und Schützenfesten für deutsche Einheit schwärmen konnten, nun aber, wo sie aus ihrer lieben Gemüthlichkeit heraus¬ gerissen werden, wo sie die mit jedem großen Ereigniß unvermeidlich verbun¬ denen Unbequemlichkeiten des Uebergangs tragen sollen, jedes Opfer zu schwer finden und immer seufzen „so haben wir e.s uns nicht gedacht".

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 26, 1867, II. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341805_191229/360>, abgerufen am 15.01.2025.