Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 26, 1867, II. Semester. I. Band.

Bild:
<< vorherige Seite

bigen der pariser Conferenz zu.unterbreiten und diese zu ersuche", die Seele
unter den Schutz des europäischen Areopags zu stellen. In Moskau aber,
wo mau sich nach Aufhören der Feindseligkeiten in der Krim von der Noth¬
wendigkeit stummer Unterwürfigkeit unter die herrschende Macht und vollständi¬
gen Verzichts auf auswärtige Hilfe überzeugt hatte, -- in Moskau wurde dieser
Plan von der Aeltestenversammlung seiner Gefährlichkeit wegen verworfen und
der dringende Wunsch ausgesprochen, man möchte auf die unter der Gewalt
des gefährlichsten Feindes stehenden Brüder Rücksicht nehmen und alles unter¬
lassen, wodurch diese compromittirt und neuen Verfolgungen ausgesetzt werden
könnten. Die Nekrassowkosaken ließen es sich indessen nicht nehmen, wenigstens
ihrerseits einen letzten verzweifelten Schritt zu thun; sie sandten einen mit pol¬
nischen Empfehlungen versehenen Bevollmächtigten nach Paris, um die Vermit¬
telung des Franzoscnkaisers zu Gunsten ihrer gefangen gehaltenen Seelenhirten
anzurufen. Dieser Bevollmächtigte. Ossip Gontscharow, ein Bruder des Het-
mans, wurde wirtlich in den Tuilerien empfangen, selbstverständlich ohne ein
wirkliches Resultat zu erzielen.

Unterdessen war ein unerwartetes, den Bestand des altgläubigen Mctro-
pvlitcmsitzes gefährdendes Ereigniß zu Bjelokrinitz selbst eingetreten: die östreichische
Regierung hatte davon Kunde erhalten, daß die obrigkeitlich untersagten Be¬
ziehungen des Metropoliten zu im Auslande lebenden Glaubensbrüdern nach
Wie vor im Schwange gewesen seien und zur Vermeidung diplomatischer Un¬
annehmlichkeiten eine Lokaluntcrsuchung angeordnet, die der in der gesammten
Bukowina gefürchtet" Actuar Stöcker mit rücksichtsloser Strenge und unter den
verletzendsten Formen führte. Die letzte Freistatt, welche der unglücklichen
überall verfolgten Genossenschaft offen gestanden, schien sich zu verschließen; in
die Türkei durfte der altgläubige Metropolitansitz aus Rücksicht gegen die rus¬
sischen Brüder nicht Verlegt werden, denn diese hatten erklärt, das sei nicht zu
wagen, werde die Vorurtheile der Massen verletzen und die Petersburger Regie¬
rung zum Aeußersten aufbringen. Mit französischen Empfehlungen ausgerüstet,
knüpfte jetzt eiuer der Bischöfe mit Cusa, dem neuerwählten Hospodaren der
Donaufürstenthümer an, in denen bereits ein von Kyrill geweihter altgläubiger
Prälat residirte; obgleich hier vollständige Religionsfreiheit herrschte, war aus
Rücksicht gegen die mächtigen Nachbarn eine förmliche Verlegung des Mittel¬
punktes der altgläubigen Welt in die Moldau-Walachei doch nicht zu wagen.
-- Die Strenge, mit welcher anfangs in Bjelokrinitz verfahren worden war,
ließ unterdessen nach und die Gemüther beruhigten sich wieder; dafür waren in
der moskauer Gemeinde gefährliche Spaltungen ausgebrochen, indem die tole¬
rantere Haltung, weiche die russische Regierung schon bald nach der Thron¬
besteigung Alexanders des Zweiten zu beobachten begonnen, eine große Parder
in ihrer Abneigung gegen die Unterordnung unter einen "ausländischen"


bigen der pariser Conferenz zu.unterbreiten und diese zu ersuche», die Seele
unter den Schutz des europäischen Areopags zu stellen. In Moskau aber,
wo mau sich nach Aufhören der Feindseligkeiten in der Krim von der Noth¬
wendigkeit stummer Unterwürfigkeit unter die herrschende Macht und vollständi¬
gen Verzichts auf auswärtige Hilfe überzeugt hatte, — in Moskau wurde dieser
Plan von der Aeltestenversammlung seiner Gefährlichkeit wegen verworfen und
der dringende Wunsch ausgesprochen, man möchte auf die unter der Gewalt
des gefährlichsten Feindes stehenden Brüder Rücksicht nehmen und alles unter¬
lassen, wodurch diese compromittirt und neuen Verfolgungen ausgesetzt werden
könnten. Die Nekrassowkosaken ließen es sich indessen nicht nehmen, wenigstens
ihrerseits einen letzten verzweifelten Schritt zu thun; sie sandten einen mit pol¬
nischen Empfehlungen versehenen Bevollmächtigten nach Paris, um die Vermit¬
telung des Franzoscnkaisers zu Gunsten ihrer gefangen gehaltenen Seelenhirten
anzurufen. Dieser Bevollmächtigte. Ossip Gontscharow, ein Bruder des Het-
mans, wurde wirtlich in den Tuilerien empfangen, selbstverständlich ohne ein
wirkliches Resultat zu erzielen.

Unterdessen war ein unerwartetes, den Bestand des altgläubigen Mctro-
pvlitcmsitzes gefährdendes Ereigniß zu Bjelokrinitz selbst eingetreten: die östreichische
Regierung hatte davon Kunde erhalten, daß die obrigkeitlich untersagten Be¬
ziehungen des Metropoliten zu im Auslande lebenden Glaubensbrüdern nach
Wie vor im Schwange gewesen seien und zur Vermeidung diplomatischer Un¬
annehmlichkeiten eine Lokaluntcrsuchung angeordnet, die der in der gesammten
Bukowina gefürchtet« Actuar Stöcker mit rücksichtsloser Strenge und unter den
verletzendsten Formen führte. Die letzte Freistatt, welche der unglücklichen
überall verfolgten Genossenschaft offen gestanden, schien sich zu verschließen; in
die Türkei durfte der altgläubige Metropolitansitz aus Rücksicht gegen die rus¬
sischen Brüder nicht Verlegt werden, denn diese hatten erklärt, das sei nicht zu
wagen, werde die Vorurtheile der Massen verletzen und die Petersburger Regie¬
rung zum Aeußersten aufbringen. Mit französischen Empfehlungen ausgerüstet,
knüpfte jetzt eiuer der Bischöfe mit Cusa, dem neuerwählten Hospodaren der
Donaufürstenthümer an, in denen bereits ein von Kyrill geweihter altgläubiger
Prälat residirte; obgleich hier vollständige Religionsfreiheit herrschte, war aus
Rücksicht gegen die mächtigen Nachbarn eine förmliche Verlegung des Mittel¬
punktes der altgläubigen Welt in die Moldau-Walachei doch nicht zu wagen.
— Die Strenge, mit welcher anfangs in Bjelokrinitz verfahren worden war,
ließ unterdessen nach und die Gemüther beruhigten sich wieder; dafür waren in
der moskauer Gemeinde gefährliche Spaltungen ausgebrochen, indem die tole¬
rantere Haltung, weiche die russische Regierung schon bald nach der Thron¬
besteigung Alexanders des Zweiten zu beobachten begonnen, eine große Parder
in ihrer Abneigung gegen die Unterordnung unter einen „ausländischen"


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0354" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/191584"/>
          <p xml:id="ID_1034" prev="#ID_1033"> bigen der pariser Conferenz zu.unterbreiten und diese zu ersuche», die Seele<lb/>
unter den Schutz des europäischen Areopags zu stellen. In Moskau aber,<lb/>
wo mau sich nach Aufhören der Feindseligkeiten in der Krim von der Noth¬<lb/>
wendigkeit stummer Unterwürfigkeit unter die herrschende Macht und vollständi¬<lb/>
gen Verzichts auf auswärtige Hilfe überzeugt hatte, &#x2014; in Moskau wurde dieser<lb/>
Plan von der Aeltestenversammlung seiner Gefährlichkeit wegen verworfen und<lb/>
der dringende Wunsch ausgesprochen, man möchte auf die unter der Gewalt<lb/>
des gefährlichsten Feindes stehenden Brüder Rücksicht nehmen und alles unter¬<lb/>
lassen, wodurch diese compromittirt und neuen Verfolgungen ausgesetzt werden<lb/>
könnten. Die Nekrassowkosaken ließen es sich indessen nicht nehmen, wenigstens<lb/>
ihrerseits einen letzten verzweifelten Schritt zu thun; sie sandten einen mit pol¬<lb/>
nischen Empfehlungen versehenen Bevollmächtigten nach Paris, um die Vermit¬<lb/>
telung des Franzoscnkaisers zu Gunsten ihrer gefangen gehaltenen Seelenhirten<lb/>
anzurufen. Dieser Bevollmächtigte. Ossip Gontscharow, ein Bruder des Het-<lb/>
mans, wurde wirtlich in den Tuilerien empfangen, selbstverständlich ohne ein<lb/>
wirkliches Resultat zu erzielen.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1035" next="#ID_1036"> Unterdessen war ein unerwartetes, den Bestand des altgläubigen Mctro-<lb/>
pvlitcmsitzes gefährdendes Ereigniß zu Bjelokrinitz selbst eingetreten: die östreichische<lb/>
Regierung hatte davon Kunde erhalten, daß die obrigkeitlich untersagten Be¬<lb/>
ziehungen des Metropoliten zu im Auslande lebenden Glaubensbrüdern nach<lb/>
Wie vor im Schwange gewesen seien und zur Vermeidung diplomatischer Un¬<lb/>
annehmlichkeiten eine Lokaluntcrsuchung angeordnet, die der in der gesammten<lb/>
Bukowina gefürchtet« Actuar Stöcker mit rücksichtsloser Strenge und unter den<lb/>
verletzendsten Formen führte. Die letzte Freistatt, welche der unglücklichen<lb/>
überall verfolgten Genossenschaft offen gestanden, schien sich zu verschließen; in<lb/>
die Türkei durfte der altgläubige Metropolitansitz aus Rücksicht gegen die rus¬<lb/>
sischen Brüder nicht Verlegt werden, denn diese hatten erklärt, das sei nicht zu<lb/>
wagen, werde die Vorurtheile der Massen verletzen und die Petersburger Regie¬<lb/>
rung zum Aeußersten aufbringen. Mit französischen Empfehlungen ausgerüstet,<lb/>
knüpfte jetzt eiuer der Bischöfe mit Cusa, dem neuerwählten Hospodaren der<lb/>
Donaufürstenthümer an, in denen bereits ein von Kyrill geweihter altgläubiger<lb/>
Prälat residirte; obgleich hier vollständige Religionsfreiheit herrschte, war aus<lb/>
Rücksicht gegen die mächtigen Nachbarn eine förmliche Verlegung des Mittel¬<lb/>
punktes der altgläubigen Welt in die Moldau-Walachei doch nicht zu wagen.<lb/>
&#x2014; Die Strenge, mit welcher anfangs in Bjelokrinitz verfahren worden war,<lb/>
ließ unterdessen nach und die Gemüther beruhigten sich wieder; dafür waren in<lb/>
der moskauer Gemeinde gefährliche Spaltungen ausgebrochen, indem die tole¬<lb/>
rantere Haltung, weiche die russische Regierung schon bald nach der Thron¬<lb/>
besteigung Alexanders des Zweiten zu beobachten begonnen, eine große Parder<lb/>
in ihrer Abneigung gegen die Unterordnung unter einen &#x201E;ausländischen"</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0354] bigen der pariser Conferenz zu.unterbreiten und diese zu ersuche», die Seele unter den Schutz des europäischen Areopags zu stellen. In Moskau aber, wo mau sich nach Aufhören der Feindseligkeiten in der Krim von der Noth¬ wendigkeit stummer Unterwürfigkeit unter die herrschende Macht und vollständi¬ gen Verzichts auf auswärtige Hilfe überzeugt hatte, — in Moskau wurde dieser Plan von der Aeltestenversammlung seiner Gefährlichkeit wegen verworfen und der dringende Wunsch ausgesprochen, man möchte auf die unter der Gewalt des gefährlichsten Feindes stehenden Brüder Rücksicht nehmen und alles unter¬ lassen, wodurch diese compromittirt und neuen Verfolgungen ausgesetzt werden könnten. Die Nekrassowkosaken ließen es sich indessen nicht nehmen, wenigstens ihrerseits einen letzten verzweifelten Schritt zu thun; sie sandten einen mit pol¬ nischen Empfehlungen versehenen Bevollmächtigten nach Paris, um die Vermit¬ telung des Franzoscnkaisers zu Gunsten ihrer gefangen gehaltenen Seelenhirten anzurufen. Dieser Bevollmächtigte. Ossip Gontscharow, ein Bruder des Het- mans, wurde wirtlich in den Tuilerien empfangen, selbstverständlich ohne ein wirkliches Resultat zu erzielen. Unterdessen war ein unerwartetes, den Bestand des altgläubigen Mctro- pvlitcmsitzes gefährdendes Ereigniß zu Bjelokrinitz selbst eingetreten: die östreichische Regierung hatte davon Kunde erhalten, daß die obrigkeitlich untersagten Be¬ ziehungen des Metropoliten zu im Auslande lebenden Glaubensbrüdern nach Wie vor im Schwange gewesen seien und zur Vermeidung diplomatischer Un¬ annehmlichkeiten eine Lokaluntcrsuchung angeordnet, die der in der gesammten Bukowina gefürchtet« Actuar Stöcker mit rücksichtsloser Strenge und unter den verletzendsten Formen führte. Die letzte Freistatt, welche der unglücklichen überall verfolgten Genossenschaft offen gestanden, schien sich zu verschließen; in die Türkei durfte der altgläubige Metropolitansitz aus Rücksicht gegen die rus¬ sischen Brüder nicht Verlegt werden, denn diese hatten erklärt, das sei nicht zu wagen, werde die Vorurtheile der Massen verletzen und die Petersburger Regie¬ rung zum Aeußersten aufbringen. Mit französischen Empfehlungen ausgerüstet, knüpfte jetzt eiuer der Bischöfe mit Cusa, dem neuerwählten Hospodaren der Donaufürstenthümer an, in denen bereits ein von Kyrill geweihter altgläubiger Prälat residirte; obgleich hier vollständige Religionsfreiheit herrschte, war aus Rücksicht gegen die mächtigen Nachbarn eine förmliche Verlegung des Mittel¬ punktes der altgläubigen Welt in die Moldau-Walachei doch nicht zu wagen. — Die Strenge, mit welcher anfangs in Bjelokrinitz verfahren worden war, ließ unterdessen nach und die Gemüther beruhigten sich wieder; dafür waren in der moskauer Gemeinde gefährliche Spaltungen ausgebrochen, indem die tole¬ rantere Haltung, weiche die russische Regierung schon bald nach der Thron¬ besteigung Alexanders des Zweiten zu beobachten begonnen, eine große Parder in ihrer Abneigung gegen die Unterordnung unter einen „ausländischen"

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341805_191229
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341805_191229/354
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 26, 1867, II. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341805_191229/354>, abgerufen am 15.01.2025.