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Die Grenzboten. Jg. 26, 1867, II. Semester. I. Band.

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Geistlichen im eigenen Lande zahllose Feinde gemacht und der von Bjelokrinitz
aus gepredigten Lehre, für die Altgläubigen sei nur von außerrussischen Staa¬
ten Linderung ihres harten Looses zu erwarten, entschiedenen Vorschub geleistet.
Emissäre, welche die Unzufriedenheit der Altgläubigen Rußlands schürten, über¬
triebene Gerüchte von der Unwiderstehlichkeit des Feindes verbreiteten und da¬
für sorgten, daß das geheime Bureau zu Ismail regelmäßig mit Nachrichten
über die innere Lage und die Bewegungen der Armee versehen wurde, wußten
trotz der strengen Überwachung der Grenzen unter den verschiedensten Verklei¬
dungen bis nach Moskau und Petersburg zu gelangen. Bei dem engen, für
fremde Augen unsichtbaren Bande, welches alle Sectirer verbindet, konnten
diese Sendlinge sicher sein, in jeder Stadt Genossen zu finden, die sie freund¬
lich aufnahmen und mit allem Nöthigen versahen. Die Organisation der Secten
ist eine uralte, sie beruht auf der blinden Unterordnung der Massen unter ihre
Führer und die gleiche Gefahr, welche über allen schwebt, verbindet alle zu einem
Bunde, dessen Zweige vom weißen Meer bis an das schwarze reichen. Es gelang
den Emissären in der That, mit den beiden gefangenen Bischöfen in Verbindung
zu treten und dieselben wiederholt zu sprechen. Da eine gewaltsame Befreiung
unmöglich schien, wollte man wenigstens Rache nehmen an dem Urheber alt'
der Leiden, unter denen die Gerechten schmachteten. Mit falschen Pässen ver¬
sehen erschienen zu Ismail im Hause Beläjews zwei verkleidete Nekrassowkosaken,
die erklärten, sie seien von Sadik-Pascha (Czaykowski) beauftragt, nach Peters¬
burg zu wandern, um den russischen Czaren zu ermorden. Die Erbitterung
hatte einen so hohen Grad erreicht, daß sich niemand unter den russischen oder
außerrusflschen Mitwissern dem Plane widersetzte; die beiden verwegenen Män¬
ner setzten ihre Reise fort, und da sie nur bei Glaubensgenossen ihren Aufent¬
halt nahmen, ihre letzten Zwecke allen irgend Unzuverlässiger verschwiegen und
mit guten Empfehlungen versehen waren, kamen sie wirklich nach Petersburg.
Was sie hier getrieben, ob sie ihre Absichten aufgegeben oder nur verschoben,
ist aus den uns vorliegenden Quellen nicht zu ersehen.

Im Februar 18S5 starb Nikolaus und noch bevor das Jahr zu Ende ging,
hatten die Verhandlungen über Abschluß eines Friedens begonnen. Da zunächst
nichts weiter für sie zu thun war, wandten die Führer der Altgläubigen alle
ihnen zu Gebote stehenden Mittel an, um die Rücklieferung der beiden gefangen
genommenen Bischöfe und des Geldes zu erlangen, welches im Jahre 1847
ihrem Sendboten, dem Archimandriten Geronty zu Tula abgenommen worden
war. Nachdem alle Bemühungen der Pfordte an der Weigerung Rußlands,
die Gefangenen herauszugeben, gescheitert waren, wurde zu Bjelokrinitz beschlossen,
eine förmliche Klage über die russische Regierung bei den Großmächten Europas,
namentlich bei Napoleon dem Dritten und dem -- Papst zu erheben. Man dachte
sogar daran, ein Collectivgesuch aller, auch der in Rußland lebenden Altgläu-


Geistlichen im eigenen Lande zahllose Feinde gemacht und der von Bjelokrinitz
aus gepredigten Lehre, für die Altgläubigen sei nur von außerrussischen Staa¬
ten Linderung ihres harten Looses zu erwarten, entschiedenen Vorschub geleistet.
Emissäre, welche die Unzufriedenheit der Altgläubigen Rußlands schürten, über¬
triebene Gerüchte von der Unwiderstehlichkeit des Feindes verbreiteten und da¬
für sorgten, daß das geheime Bureau zu Ismail regelmäßig mit Nachrichten
über die innere Lage und die Bewegungen der Armee versehen wurde, wußten
trotz der strengen Überwachung der Grenzen unter den verschiedensten Verklei¬
dungen bis nach Moskau und Petersburg zu gelangen. Bei dem engen, für
fremde Augen unsichtbaren Bande, welches alle Sectirer verbindet, konnten
diese Sendlinge sicher sein, in jeder Stadt Genossen zu finden, die sie freund¬
lich aufnahmen und mit allem Nöthigen versahen. Die Organisation der Secten
ist eine uralte, sie beruht auf der blinden Unterordnung der Massen unter ihre
Führer und die gleiche Gefahr, welche über allen schwebt, verbindet alle zu einem
Bunde, dessen Zweige vom weißen Meer bis an das schwarze reichen. Es gelang
den Emissären in der That, mit den beiden gefangenen Bischöfen in Verbindung
zu treten und dieselben wiederholt zu sprechen. Da eine gewaltsame Befreiung
unmöglich schien, wollte man wenigstens Rache nehmen an dem Urheber alt'
der Leiden, unter denen die Gerechten schmachteten. Mit falschen Pässen ver¬
sehen erschienen zu Ismail im Hause Beläjews zwei verkleidete Nekrassowkosaken,
die erklärten, sie seien von Sadik-Pascha (Czaykowski) beauftragt, nach Peters¬
burg zu wandern, um den russischen Czaren zu ermorden. Die Erbitterung
hatte einen so hohen Grad erreicht, daß sich niemand unter den russischen oder
außerrusflschen Mitwissern dem Plane widersetzte; die beiden verwegenen Män¬
ner setzten ihre Reise fort, und da sie nur bei Glaubensgenossen ihren Aufent¬
halt nahmen, ihre letzten Zwecke allen irgend Unzuverlässiger verschwiegen und
mit guten Empfehlungen versehen waren, kamen sie wirklich nach Petersburg.
Was sie hier getrieben, ob sie ihre Absichten aufgegeben oder nur verschoben,
ist aus den uns vorliegenden Quellen nicht zu ersehen.

Im Februar 18S5 starb Nikolaus und noch bevor das Jahr zu Ende ging,
hatten die Verhandlungen über Abschluß eines Friedens begonnen. Da zunächst
nichts weiter für sie zu thun war, wandten die Führer der Altgläubigen alle
ihnen zu Gebote stehenden Mittel an, um die Rücklieferung der beiden gefangen
genommenen Bischöfe und des Geldes zu erlangen, welches im Jahre 1847
ihrem Sendboten, dem Archimandriten Geronty zu Tula abgenommen worden
war. Nachdem alle Bemühungen der Pfordte an der Weigerung Rußlands,
die Gefangenen herauszugeben, gescheitert waren, wurde zu Bjelokrinitz beschlossen,
eine förmliche Klage über die russische Regierung bei den Großmächten Europas,
namentlich bei Napoleon dem Dritten und dem — Papst zu erheben. Man dachte
sogar daran, ein Collectivgesuch aller, auch der in Rußland lebenden Altgläu-


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[0353] Geistlichen im eigenen Lande zahllose Feinde gemacht und der von Bjelokrinitz aus gepredigten Lehre, für die Altgläubigen sei nur von außerrussischen Staa¬ ten Linderung ihres harten Looses zu erwarten, entschiedenen Vorschub geleistet. Emissäre, welche die Unzufriedenheit der Altgläubigen Rußlands schürten, über¬ triebene Gerüchte von der Unwiderstehlichkeit des Feindes verbreiteten und da¬ für sorgten, daß das geheime Bureau zu Ismail regelmäßig mit Nachrichten über die innere Lage und die Bewegungen der Armee versehen wurde, wußten trotz der strengen Überwachung der Grenzen unter den verschiedensten Verklei¬ dungen bis nach Moskau und Petersburg zu gelangen. Bei dem engen, für fremde Augen unsichtbaren Bande, welches alle Sectirer verbindet, konnten diese Sendlinge sicher sein, in jeder Stadt Genossen zu finden, die sie freund¬ lich aufnahmen und mit allem Nöthigen versahen. Die Organisation der Secten ist eine uralte, sie beruht auf der blinden Unterordnung der Massen unter ihre Führer und die gleiche Gefahr, welche über allen schwebt, verbindet alle zu einem Bunde, dessen Zweige vom weißen Meer bis an das schwarze reichen. Es gelang den Emissären in der That, mit den beiden gefangenen Bischöfen in Verbindung zu treten und dieselben wiederholt zu sprechen. Da eine gewaltsame Befreiung unmöglich schien, wollte man wenigstens Rache nehmen an dem Urheber alt' der Leiden, unter denen die Gerechten schmachteten. Mit falschen Pässen ver¬ sehen erschienen zu Ismail im Hause Beläjews zwei verkleidete Nekrassowkosaken, die erklärten, sie seien von Sadik-Pascha (Czaykowski) beauftragt, nach Peters¬ burg zu wandern, um den russischen Czaren zu ermorden. Die Erbitterung hatte einen so hohen Grad erreicht, daß sich niemand unter den russischen oder außerrusflschen Mitwissern dem Plane widersetzte; die beiden verwegenen Män¬ ner setzten ihre Reise fort, und da sie nur bei Glaubensgenossen ihren Aufent¬ halt nahmen, ihre letzten Zwecke allen irgend Unzuverlässiger verschwiegen und mit guten Empfehlungen versehen waren, kamen sie wirklich nach Petersburg. Was sie hier getrieben, ob sie ihre Absichten aufgegeben oder nur verschoben, ist aus den uns vorliegenden Quellen nicht zu ersehen. Im Februar 18S5 starb Nikolaus und noch bevor das Jahr zu Ende ging, hatten die Verhandlungen über Abschluß eines Friedens begonnen. Da zunächst nichts weiter für sie zu thun war, wandten die Führer der Altgläubigen alle ihnen zu Gebote stehenden Mittel an, um die Rücklieferung der beiden gefangen genommenen Bischöfe und des Geldes zu erlangen, welches im Jahre 1847 ihrem Sendboten, dem Archimandriten Geronty zu Tula abgenommen worden war. Nachdem alle Bemühungen der Pfordte an der Weigerung Rußlands, die Gefangenen herauszugeben, gescheitert waren, wurde zu Bjelokrinitz beschlossen, eine förmliche Klage über die russische Regierung bei den Großmächten Europas, namentlich bei Napoleon dem Dritten und dem — Papst zu erheben. Man dachte sogar daran, ein Collectivgesuch aller, auch der in Rußland lebenden Altgläu-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 26, 1867, II. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341805_191229/353>, abgerufen am 15.01.2025.