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Die Grenzboten. Jg. 26, 1867, II. Semester. I. Band.

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nach der Stellung des Absenders und Empfängers des Briefes, je nach dem
Gewerbe und den Interessen, die sie haben. Der Bauer wünscht seinen Ge¬
nossen reiche Ernte, der Kaufmann guten Gewinn, den guten Sohn begrüßt
der Vater anders als den schlechten, der Sohn hofft, daß den Eltern zu Theil
werde, was Joseph dem Vater Jakob Gutes that, die harten Eltern erinnert
er, ihr Herz der Kindesliebe nicht zu verschließen u. s. w. die Briefe von Ehe¬
leuten, Freunden u. a.

Der zweite und dritte Theil sind juristischen Inhalts, jener lehrt die Ab¬
fassung von Urkunden, dieser handelt von der Morgcngabe, den Testamenten
und ähnlichen Materien, vorzüglich aber von den Privilegien einzelner Personen
und Körperschaften. Es ist natürlich, daß der Mönch länger bei ihnen verweilt,
da die Rechtsverhältnisse des Mittelalters nicht sowohl durch eine allgemeine
Gesetzgebung als durch solche Privilegien geändert und fortgebildet wurden.

Der vierte Abschnitt enthält dann zahlreiche Briefanfänge, der fünfte Sprich¬
wörter -- sie bilden die Schatzkammer, aus der die Schreiber jenen Schmuck
entnahmen, dessen der Brief nicht entbehren dürfte und der Mönch bemerkt auch
dazu, daß die Sprichwörter dem Briefe zur Zierde gereichen, wie die Perlen dem
Ringe. Wir freilich würden diese erborgten Zierrathen gern entbehren; sie er¬
schweren uns nur das Verständniß.

Der sechste Theil endlich bietet die Mustersammlung von Briefen, die unser
Interesse in so hohem Grade in Anspruch nimmt.

"Ich will nur gestehen," sagt Baerwald S. 9., "daß ich im Beginn
meiner Untersuchung an jede einzelne Formel mit der Voraussetzung hinan-
getrcten bin, sie sei fingirt. Bald aber stieß ich auf Formeln, welche, indem
sie mit authentischen Urkunden bei Raynaldus, Mathäus Parisiensis, Nymer
u. a. bis auf die weggelassenen Namen und Daten übereinstimmten, eben diesen
Urkunden entnommen sein mußten. Das veranlaßte mich, den gedruckten Ur¬
kundenschätzen des dreizehnten Jahrhunderts näher zu treten und die Ausbeute
war so erheblich, daß ich mich nunmehr zu der entgegengesetzten Voraussetzung
berechtigt glaube, als habe ich es hier durchweg mit historischen Ackerstücken zu
thun, deren specielle Beziehungen sich noch ermitteln lassen müßten. Ich habe
also auch diejenigen Formeln, die sich auf authentische Urkunden nicht zurück¬
führen ließen, einzeln einer genauen Prüfung unterworfen und durch Benutzung
einzelner in denselben erhaltenen Andeutungen, durch Vergleichung ihres In¬
halts mit anderweitig glaubwürdig überlieferten historischen Thatsachen, so gut
ich vermochte, die verdunkelten historischen Beziehungen aufzuhellen, zuweilen
auch die beseitigten Namen und Daten nachzuweisen und so aus den Formeln
die Briefe und Urkunden herzustellen versucht."

Diese Bemühungen Baerwalds erforderten freilich einen hartnäckigen Fleiß;
konnten aber mit Erfolg gekrönt werden, weil der Mönch aus den Briefen


nach der Stellung des Absenders und Empfängers des Briefes, je nach dem
Gewerbe und den Interessen, die sie haben. Der Bauer wünscht seinen Ge¬
nossen reiche Ernte, der Kaufmann guten Gewinn, den guten Sohn begrüßt
der Vater anders als den schlechten, der Sohn hofft, daß den Eltern zu Theil
werde, was Joseph dem Vater Jakob Gutes that, die harten Eltern erinnert
er, ihr Herz der Kindesliebe nicht zu verschließen u. s. w. die Briefe von Ehe¬
leuten, Freunden u. a.

Der zweite und dritte Theil sind juristischen Inhalts, jener lehrt die Ab¬
fassung von Urkunden, dieser handelt von der Morgcngabe, den Testamenten
und ähnlichen Materien, vorzüglich aber von den Privilegien einzelner Personen
und Körperschaften. Es ist natürlich, daß der Mönch länger bei ihnen verweilt,
da die Rechtsverhältnisse des Mittelalters nicht sowohl durch eine allgemeine
Gesetzgebung als durch solche Privilegien geändert und fortgebildet wurden.

Der vierte Abschnitt enthält dann zahlreiche Briefanfänge, der fünfte Sprich¬
wörter — sie bilden die Schatzkammer, aus der die Schreiber jenen Schmuck
entnahmen, dessen der Brief nicht entbehren dürfte und der Mönch bemerkt auch
dazu, daß die Sprichwörter dem Briefe zur Zierde gereichen, wie die Perlen dem
Ringe. Wir freilich würden diese erborgten Zierrathen gern entbehren; sie er¬
schweren uns nur das Verständniß.

Der sechste Theil endlich bietet die Mustersammlung von Briefen, die unser
Interesse in so hohem Grade in Anspruch nimmt.

„Ich will nur gestehen," sagt Baerwald S. 9., „daß ich im Beginn
meiner Untersuchung an jede einzelne Formel mit der Voraussetzung hinan-
getrcten bin, sie sei fingirt. Bald aber stieß ich auf Formeln, welche, indem
sie mit authentischen Urkunden bei Raynaldus, Mathäus Parisiensis, Nymer
u. a. bis auf die weggelassenen Namen und Daten übereinstimmten, eben diesen
Urkunden entnommen sein mußten. Das veranlaßte mich, den gedruckten Ur¬
kundenschätzen des dreizehnten Jahrhunderts näher zu treten und die Ausbeute
war so erheblich, daß ich mich nunmehr zu der entgegengesetzten Voraussetzung
berechtigt glaube, als habe ich es hier durchweg mit historischen Ackerstücken zu
thun, deren specielle Beziehungen sich noch ermitteln lassen müßten. Ich habe
also auch diejenigen Formeln, die sich auf authentische Urkunden nicht zurück¬
führen ließen, einzeln einer genauen Prüfung unterworfen und durch Benutzung
einzelner in denselben erhaltenen Andeutungen, durch Vergleichung ihres In¬
halts mit anderweitig glaubwürdig überlieferten historischen Thatsachen, so gut
ich vermochte, die verdunkelten historischen Beziehungen aufzuhellen, zuweilen
auch die beseitigten Namen und Daten nachzuweisen und so aus den Formeln
die Briefe und Urkunden herzustellen versucht."

Diese Bemühungen Baerwalds erforderten freilich einen hartnäckigen Fleiß;
konnten aber mit Erfolg gekrönt werden, weil der Mönch aus den Briefen


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[0348] nach der Stellung des Absenders und Empfängers des Briefes, je nach dem Gewerbe und den Interessen, die sie haben. Der Bauer wünscht seinen Ge¬ nossen reiche Ernte, der Kaufmann guten Gewinn, den guten Sohn begrüßt der Vater anders als den schlechten, der Sohn hofft, daß den Eltern zu Theil werde, was Joseph dem Vater Jakob Gutes that, die harten Eltern erinnert er, ihr Herz der Kindesliebe nicht zu verschließen u. s. w. die Briefe von Ehe¬ leuten, Freunden u. a. Der zweite und dritte Theil sind juristischen Inhalts, jener lehrt die Ab¬ fassung von Urkunden, dieser handelt von der Morgcngabe, den Testamenten und ähnlichen Materien, vorzüglich aber von den Privilegien einzelner Personen und Körperschaften. Es ist natürlich, daß der Mönch länger bei ihnen verweilt, da die Rechtsverhältnisse des Mittelalters nicht sowohl durch eine allgemeine Gesetzgebung als durch solche Privilegien geändert und fortgebildet wurden. Der vierte Abschnitt enthält dann zahlreiche Briefanfänge, der fünfte Sprich¬ wörter — sie bilden die Schatzkammer, aus der die Schreiber jenen Schmuck entnahmen, dessen der Brief nicht entbehren dürfte und der Mönch bemerkt auch dazu, daß die Sprichwörter dem Briefe zur Zierde gereichen, wie die Perlen dem Ringe. Wir freilich würden diese erborgten Zierrathen gern entbehren; sie er¬ schweren uns nur das Verständniß. Der sechste Theil endlich bietet die Mustersammlung von Briefen, die unser Interesse in so hohem Grade in Anspruch nimmt. „Ich will nur gestehen," sagt Baerwald S. 9., „daß ich im Beginn meiner Untersuchung an jede einzelne Formel mit der Voraussetzung hinan- getrcten bin, sie sei fingirt. Bald aber stieß ich auf Formeln, welche, indem sie mit authentischen Urkunden bei Raynaldus, Mathäus Parisiensis, Nymer u. a. bis auf die weggelassenen Namen und Daten übereinstimmten, eben diesen Urkunden entnommen sein mußten. Das veranlaßte mich, den gedruckten Ur¬ kundenschätzen des dreizehnten Jahrhunderts näher zu treten und die Ausbeute war so erheblich, daß ich mich nunmehr zu der entgegengesetzten Voraussetzung berechtigt glaube, als habe ich es hier durchweg mit historischen Ackerstücken zu thun, deren specielle Beziehungen sich noch ermitteln lassen müßten. Ich habe also auch diejenigen Formeln, die sich auf authentische Urkunden nicht zurück¬ führen ließen, einzeln einer genauen Prüfung unterworfen und durch Benutzung einzelner in denselben erhaltenen Andeutungen, durch Vergleichung ihres In¬ halts mit anderweitig glaubwürdig überlieferten historischen Thatsachen, so gut ich vermochte, die verdunkelten historischen Beziehungen aufzuhellen, zuweilen auch die beseitigten Namen und Daten nachzuweisen und so aus den Formeln die Briefe und Urkunden herzustellen versucht." Diese Bemühungen Baerwalds erforderten freilich einen hartnäckigen Fleiß; konnten aber mit Erfolg gekrönt werden, weil der Mönch aus den Briefen

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 26, 1867, II. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341805_191229/348>, abgerufen am 15.01.2025.