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Die Grenzboten. Jg. 26, 1867, II. Semester. I. Band.

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Wattenbach*) hat dies unwiderleglich nachgewiesen, indem er zeigte, daß
diese Briefe, die angeblich vou so verschiedenen Personen herrühren, in dem¬
selben Stil geschrieben und also aus einer Feder geflossen sind. Denselben
Dienst hat Iaffö der Wissenschaft geleistet in Betreff dreier Briefe, aus denen
der ultramontane, aber als Forscher auf dem Gebiete mittelalterlicher Geschichte
rühmlichst bekannte Ficker den bedeutsamen Schluß gezogen hatte: in dem Streite
Friedrich Barbarossas mit dem Papste habe ein Parteigänger des Kaisers den
abscheulichen Plan gehabt, die deutsche Kirche von Rom loszureißen und ein
deutsches Papstthum Trier zu gründen. Ficker hat sich ohne Noth erzürnt,
diese Briefe sind nur eine unschuldige Stilübung.

Wir sehen, dergleichen Briefe sind oft mit einer solchen Kenntniß der Ver¬
hältnisse abgefaßt, d.iß auch dem Kundigen kaum ein Zweifel aufsteigt, so lange
er den einzelnen Brief für sich allein betrachtet; vertieft man sich aber in die ganze
Sammlung, vergleicht man die Anschauungsweise, den Stil, den Wortvorrath
der angeblich von hundert verschiedenen Personen verfaßten Schreiben -- so
gewinnt man die Mittel zur Kritik, wenn auch die Vergleichung mit anerkannt
echten Urkunden jener Zeit und den Zeugnissen der Geschichtschreiber keinen An¬
halt dazu gewährte. Solch' kritische Behandlung hat nun kürzlich Hermann
Bacrwald dem baumgartenbergcr Formelbuch angedeihen lassen, das eine große
Zahl der interessantesten Briefe aus der Zeit Friedrichs des Zweiten, des In¬
terregnum und namentlich Rudolfs von Habsburg enthält. Im Beginn des
vierzehnten Jahrhunderts schrieb ein Mönch in dem Cisterzienserklöster B.mm-
gartcnberg bei Linz dies Buch, das in sechs Abschnitte zerfällt.

In dem ersten behandelt er die fünf Theile des Briefes**) (go-Iutatio, exor-
äiuin, rmrratlo, xetitio, conclusio) und zwar mit besonderer Sorgfalt die salu-
tatio, die Art, wie man den Empfänger des Briefes begrüßt.

Schreibt jemand an einen Standesgenossen, so muß der Name des Ab¬
senders dem des Angeredeten nachstehn, schreibt ein Vornehmer an einen Ge¬
ringern, so geht jedoch der des Vornehmen voran. Dem Papste bezeigen alle,
selbst der Kaiser nur ihre Ehrfurcht, niemand darf ihn begrüßen, während er
jeden begrüßt, an den er schreibt.

Ehemals setzten die römischen Senatoren ihre Namem denen aller Fürsten
Voraus, mit Ausnahme des Papstes, des Kaisers und der Kaiserin -- jetzt aber
ist Rom aus der Herrin eine Dienerin worden und die römischen Großen gelten
nicht mehr als andere.

In dieser Weise folgen die Formen des Grußes, deren man sich bedient, je




-) Itor ^Vustris-ouin, 1853, Archiv für Kunde östreichischer GeschichtsqueNcn.
") Die Briefsteller des 17, Jahrhunderts zerlegten den Brief sogar in 12 Theile, s. Nicht,
Culturstudien. S, 26,
Grenzboten III. 1^,7. 43

Wattenbach*) hat dies unwiderleglich nachgewiesen, indem er zeigte, daß
diese Briefe, die angeblich vou so verschiedenen Personen herrühren, in dem¬
selben Stil geschrieben und also aus einer Feder geflossen sind. Denselben
Dienst hat Iaffö der Wissenschaft geleistet in Betreff dreier Briefe, aus denen
der ultramontane, aber als Forscher auf dem Gebiete mittelalterlicher Geschichte
rühmlichst bekannte Ficker den bedeutsamen Schluß gezogen hatte: in dem Streite
Friedrich Barbarossas mit dem Papste habe ein Parteigänger des Kaisers den
abscheulichen Plan gehabt, die deutsche Kirche von Rom loszureißen und ein
deutsches Papstthum Trier zu gründen. Ficker hat sich ohne Noth erzürnt,
diese Briefe sind nur eine unschuldige Stilübung.

Wir sehen, dergleichen Briefe sind oft mit einer solchen Kenntniß der Ver¬
hältnisse abgefaßt, d.iß auch dem Kundigen kaum ein Zweifel aufsteigt, so lange
er den einzelnen Brief für sich allein betrachtet; vertieft man sich aber in die ganze
Sammlung, vergleicht man die Anschauungsweise, den Stil, den Wortvorrath
der angeblich von hundert verschiedenen Personen verfaßten Schreiben — so
gewinnt man die Mittel zur Kritik, wenn auch die Vergleichung mit anerkannt
echten Urkunden jener Zeit und den Zeugnissen der Geschichtschreiber keinen An¬
halt dazu gewährte. Solch' kritische Behandlung hat nun kürzlich Hermann
Bacrwald dem baumgartenbergcr Formelbuch angedeihen lassen, das eine große
Zahl der interessantesten Briefe aus der Zeit Friedrichs des Zweiten, des In¬
terregnum und namentlich Rudolfs von Habsburg enthält. Im Beginn des
vierzehnten Jahrhunderts schrieb ein Mönch in dem Cisterzienserklöster B.mm-
gartcnberg bei Linz dies Buch, das in sechs Abschnitte zerfällt.

In dem ersten behandelt er die fünf Theile des Briefes**) (go-Iutatio, exor-
äiuin, rmrratlo, xetitio, conclusio) und zwar mit besonderer Sorgfalt die salu-
tatio, die Art, wie man den Empfänger des Briefes begrüßt.

Schreibt jemand an einen Standesgenossen, so muß der Name des Ab¬
senders dem des Angeredeten nachstehn, schreibt ein Vornehmer an einen Ge¬
ringern, so geht jedoch der des Vornehmen voran. Dem Papste bezeigen alle,
selbst der Kaiser nur ihre Ehrfurcht, niemand darf ihn begrüßen, während er
jeden begrüßt, an den er schreibt.

Ehemals setzten die römischen Senatoren ihre Namem denen aller Fürsten
Voraus, mit Ausnahme des Papstes, des Kaisers und der Kaiserin — jetzt aber
ist Rom aus der Herrin eine Dienerin worden und die römischen Großen gelten
nicht mehr als andere.

In dieser Weise folgen die Formen des Grußes, deren man sich bedient, je




-) Itor ^Vustris-ouin, 1853, Archiv für Kunde östreichischer GeschichtsqueNcn.
") Die Briefsteller des 17, Jahrhunderts zerlegten den Brief sogar in 12 Theile, s. Nicht,
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[0347] Wattenbach*) hat dies unwiderleglich nachgewiesen, indem er zeigte, daß diese Briefe, die angeblich vou so verschiedenen Personen herrühren, in dem¬ selben Stil geschrieben und also aus einer Feder geflossen sind. Denselben Dienst hat Iaffö der Wissenschaft geleistet in Betreff dreier Briefe, aus denen der ultramontane, aber als Forscher auf dem Gebiete mittelalterlicher Geschichte rühmlichst bekannte Ficker den bedeutsamen Schluß gezogen hatte: in dem Streite Friedrich Barbarossas mit dem Papste habe ein Parteigänger des Kaisers den abscheulichen Plan gehabt, die deutsche Kirche von Rom loszureißen und ein deutsches Papstthum Trier zu gründen. Ficker hat sich ohne Noth erzürnt, diese Briefe sind nur eine unschuldige Stilübung. Wir sehen, dergleichen Briefe sind oft mit einer solchen Kenntniß der Ver¬ hältnisse abgefaßt, d.iß auch dem Kundigen kaum ein Zweifel aufsteigt, so lange er den einzelnen Brief für sich allein betrachtet; vertieft man sich aber in die ganze Sammlung, vergleicht man die Anschauungsweise, den Stil, den Wortvorrath der angeblich von hundert verschiedenen Personen verfaßten Schreiben — so gewinnt man die Mittel zur Kritik, wenn auch die Vergleichung mit anerkannt echten Urkunden jener Zeit und den Zeugnissen der Geschichtschreiber keinen An¬ halt dazu gewährte. Solch' kritische Behandlung hat nun kürzlich Hermann Bacrwald dem baumgartenbergcr Formelbuch angedeihen lassen, das eine große Zahl der interessantesten Briefe aus der Zeit Friedrichs des Zweiten, des In¬ terregnum und namentlich Rudolfs von Habsburg enthält. Im Beginn des vierzehnten Jahrhunderts schrieb ein Mönch in dem Cisterzienserklöster B.mm- gartcnberg bei Linz dies Buch, das in sechs Abschnitte zerfällt. In dem ersten behandelt er die fünf Theile des Briefes**) (go-Iutatio, exor- äiuin, rmrratlo, xetitio, conclusio) und zwar mit besonderer Sorgfalt die salu- tatio, die Art, wie man den Empfänger des Briefes begrüßt. Schreibt jemand an einen Standesgenossen, so muß der Name des Ab¬ senders dem des Angeredeten nachstehn, schreibt ein Vornehmer an einen Ge¬ ringern, so geht jedoch der des Vornehmen voran. Dem Papste bezeigen alle, selbst der Kaiser nur ihre Ehrfurcht, niemand darf ihn begrüßen, während er jeden begrüßt, an den er schreibt. Ehemals setzten die römischen Senatoren ihre Namem denen aller Fürsten Voraus, mit Ausnahme des Papstes, des Kaisers und der Kaiserin — jetzt aber ist Rom aus der Herrin eine Dienerin worden und die römischen Großen gelten nicht mehr als andere. In dieser Weise folgen die Formen des Grußes, deren man sich bedient, je -) Itor ^Vustris-ouin, 1853, Archiv für Kunde östreichischer GeschichtsqueNcn. ") Die Briefsteller des 17, Jahrhunderts zerlegten den Brief sogar in 12 Theile, s. Nicht, Culturstudien. S, 26, Grenzboten III. 1^,7. 43

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 26, 1867, II. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341805_191229/347>, abgerufen am 15.01.2025.