Die Grenzboten. Jg. 26, 1867, II. Semester. I. Band.Tagen war es, daß ein piemontestscher Dichter es zuerst weckte. Die Gesellschaft Damals in Florenz hielt das Häuflein der piemontesischen Emigration mit Tagen war es, daß ein piemontestscher Dichter es zuerst weckte. Die Gesellschaft Damals in Florenz hielt das Häuflein der piemontesischen Emigration mit <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0336" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/191566"/> <p xml:id="ID_965" prev="#ID_964"> Tagen war es, daß ein piemontestscher Dichter es zuerst weckte. Die Gesellschaft<lb/> in Piemont hatte ihren eigenen, von dem der übrigen Halbinsel völlig verschie¬<lb/> denen Charakter. Sprache, Sitten, Denkungsart waren ebenso viele trennende<lb/> Schranken. Während ganz Italien damals vom französischen Skepticismus<lb/> angefressen war, stand Piemont mit wenigen Ausnahmen unerschüttert im alten<lb/> Volksglauben. Allgemein herrschte ein tief religiöser Sinn, und der Vater<lb/> blieb zeitlebens wie seiner Dynastie, so den Principien eines strengen Katholi¬<lb/> cismus treu, für den er im Alter von 24 Jahren durch die Predigt eines<lb/> Klosterbruders gewonnen war. Auch dies gehörte zu den altväterischen Traditionen,<lb/> daß nirgend eine so schroffe Scheidung der Stände war wie hier. Der Adel<lb/> fühlte sich in seiner privilegirten Stellung, bei aller äußern Höflichkeit hatte er<lb/> etwas Zurückstoßendes; jedem stand an der Stirn geschrieben: ich bin ich, du<lb/> zählst nichts! Dagegen zeichnete er sich durch seine Thätigkeit und Energie aus,<lb/> zu einer Zeit, da das übrige Italien die Originale zu Goldonis Florinden und<lb/> Rosauren lieferte. An beständige Kriegsarbeit gewöhnt hatte ihn die Treue<lb/> gegen eine ernste und gefahrvolle Pflicht überhaupt tüchtiger gemacht. Trotz<lb/> seiner Privilegien herrschte im Adel ein so kriegerischer Geist, daß auch als ge¬<lb/> meiner Soldat zu dienen nicht für verächtlich galt. Vielmehr trat auch der Adlige<lb/> durch die allgemeine Pforte in die militärische Hierarchie ein, und man erlebte<lb/> dort nie das Schauspiel, daß ein Kind, welches noch von der Wärterin geführt<lb/> wurde, die Auszeichnung eines Majors oder Obersten trug. Nur dies hatte<lb/> der Adlige voraus, daß er, einmal eingetreten, sehr rasch auf der privilegirten<lb/> Leiter emporstieg. Dabei war der piemontesische Adel im Ganzen wenig be¬<lb/> gütert, und im übrigen Italien rümpfte man die Nase über die armen Signori<lb/> am oberen Po. Auch dies war zum Theil die Folge der häufigen Kriege.<lb/> Denn so oft ein Krieg geführt wurde war das Erste, daß die Adligen — und<lb/> der König ging mit dem Beispiel voran — eine Ausmusterung von allem Werth¬<lb/> vollen im Hause vornahmen, um die Kosten für denselben aufzubringen. Diese<lb/> Selbstbesteuerung war allgemein hergebracht, und der Staat half ihr auf seine Weise<lb/> nach. Noch heute existiren Münzen von 8, 4 und 1 Sous, die damals den<lb/> Cours von 20, 10 und 3 Sous hatten und als solche durch das Gepräge be¬<lb/> zeichnet waren; nicht eigentlich falsches Geld, denn jedermann nahm es willig<lb/> und ohne Bedenken an. Solche Opferfähigkeit war das besonders Aus¬<lb/> zeichnende im Charakter der Piemontesen. Nicht eine höhere Intelligenz stellte<lb/> sie über die andern Italiener, aber sie waren willenskräftiger, festeren Charakters,<lb/> und diese Eigenschaft, bemerkt Azeglio, befähigte sie dazu, seiner Zeit die Einigung<lb/> Italiens in die Hand zu nehmen, wie diese selbe Eigenschaft es war, welche sie<lb/> Zum Dank dafür bei allen Italienern verhaßt gemacht hat.</p><lb/> <p xml:id="ID_966" next="#ID_967"> Damals in Florenz hielt das Häuflein der piemontesischen Emigration mit<lb/> einen strengen religiösen und legitimistischen Grundsätzen eng zusammen. Nicht</p><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0336]
Tagen war es, daß ein piemontestscher Dichter es zuerst weckte. Die Gesellschaft
in Piemont hatte ihren eigenen, von dem der übrigen Halbinsel völlig verschie¬
denen Charakter. Sprache, Sitten, Denkungsart waren ebenso viele trennende
Schranken. Während ganz Italien damals vom französischen Skepticismus
angefressen war, stand Piemont mit wenigen Ausnahmen unerschüttert im alten
Volksglauben. Allgemein herrschte ein tief religiöser Sinn, und der Vater
blieb zeitlebens wie seiner Dynastie, so den Principien eines strengen Katholi¬
cismus treu, für den er im Alter von 24 Jahren durch die Predigt eines
Klosterbruders gewonnen war. Auch dies gehörte zu den altväterischen Traditionen,
daß nirgend eine so schroffe Scheidung der Stände war wie hier. Der Adel
fühlte sich in seiner privilegirten Stellung, bei aller äußern Höflichkeit hatte er
etwas Zurückstoßendes; jedem stand an der Stirn geschrieben: ich bin ich, du
zählst nichts! Dagegen zeichnete er sich durch seine Thätigkeit und Energie aus,
zu einer Zeit, da das übrige Italien die Originale zu Goldonis Florinden und
Rosauren lieferte. An beständige Kriegsarbeit gewöhnt hatte ihn die Treue
gegen eine ernste und gefahrvolle Pflicht überhaupt tüchtiger gemacht. Trotz
seiner Privilegien herrschte im Adel ein so kriegerischer Geist, daß auch als ge¬
meiner Soldat zu dienen nicht für verächtlich galt. Vielmehr trat auch der Adlige
durch die allgemeine Pforte in die militärische Hierarchie ein, und man erlebte
dort nie das Schauspiel, daß ein Kind, welches noch von der Wärterin geführt
wurde, die Auszeichnung eines Majors oder Obersten trug. Nur dies hatte
der Adlige voraus, daß er, einmal eingetreten, sehr rasch auf der privilegirten
Leiter emporstieg. Dabei war der piemontesische Adel im Ganzen wenig be¬
gütert, und im übrigen Italien rümpfte man die Nase über die armen Signori
am oberen Po. Auch dies war zum Theil die Folge der häufigen Kriege.
Denn so oft ein Krieg geführt wurde war das Erste, daß die Adligen — und
der König ging mit dem Beispiel voran — eine Ausmusterung von allem Werth¬
vollen im Hause vornahmen, um die Kosten für denselben aufzubringen. Diese
Selbstbesteuerung war allgemein hergebracht, und der Staat half ihr auf seine Weise
nach. Noch heute existiren Münzen von 8, 4 und 1 Sous, die damals den
Cours von 20, 10 und 3 Sous hatten und als solche durch das Gepräge be¬
zeichnet waren; nicht eigentlich falsches Geld, denn jedermann nahm es willig
und ohne Bedenken an. Solche Opferfähigkeit war das besonders Aus¬
zeichnende im Charakter der Piemontesen. Nicht eine höhere Intelligenz stellte
sie über die andern Italiener, aber sie waren willenskräftiger, festeren Charakters,
und diese Eigenschaft, bemerkt Azeglio, befähigte sie dazu, seiner Zeit die Einigung
Italiens in die Hand zu nehmen, wie diese selbe Eigenschaft es war, welche sie
Zum Dank dafür bei allen Italienern verhaßt gemacht hat.
Damals in Florenz hielt das Häuflein der piemontesischen Emigration mit
einen strengen religiösen und legitimistischen Grundsätzen eng zusammen. Nicht
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