Die Grenzboten. Jg. 26, 1867, II. Semester. I. Band.fassung aufrief. Und so schrieb er diese Erinnerungen, "wie aus der andern Die Jugendeindrücke gehen in die Zeit der Revolutionskriege zurück. Der Noch existirte kein Bewußtsein italienischer Nationalität: eben in diesen fassung aufrief. Und so schrieb er diese Erinnerungen, „wie aus der andern Die Jugendeindrücke gehen in die Zeit der Revolutionskriege zurück. Der Noch existirte kein Bewußtsein italienischer Nationalität: eben in diesen <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0335" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/191565"/> <p xml:id="ID_962" prev="#ID_961"> fassung aufrief. Und so schrieb er diese Erinnerungen, „wie aus der andern<lb/> Welt", bei denen ihm nichts mehr am Herzen lag, als seinem Volk an Exem¬<lb/> peln zu zeigen, was Charakter sei. Immer wieder kommt er darauf zurück<lb/> auf dies Eine, was Italien Noth thue, nämlich Selbstbeherrschung, Festigkeit,<lb/> moralische Kraft zu erwerben. „Die gefährlichsten Feinde Italiens," sagt er<lb/> gleich im Eingange des Buches, „sind nicht die Oestreicher, sondern die Italie¬<lb/> ner. Und warum? weil sie ein neues Italien machen und zugleich die alten<lb/> Italiener von vorher bleiben wollten mit den Nichtsnutzigkeiten und moralischen<lb/> Erbärmlichkeiten, welche ihr Erbtheil von Alters her waren; weil sie darauf<lb/> denken Italien zu reformiren und niemand bemerkt, daß man zu diesem Zweck<lb/> vor allem sich selbst reformiren müsse; weil Italien, wie alle Völker, nicht eine<lb/> Nation werden kann, geordnet, wohlverwaltet, stark gegen außen, wie gegen die<lb/> innern Factionen, frei und auf eigenen Füßen stehend, so lange nicht Groß und<lb/> Klein, ein jeder in seiner Sphäre, seine Schuldigkeit thut und sie mindestens<lb/> so thut, wie es in seinen Kräften steht. Aber um die eigene Schuldigkeit zu<lb/> thun, die meistens beschwerlich, gemein und unansehnlich ist, braucht es Willens¬<lb/> stärke und t,die Ueberzeugung, daß man die Pflicht erfüllen muß, nicht weil<lb/> sie nützt oder vergnügt, sondern weil sie Pflicht ist. und diese Willensstärke, diese<lb/> Ueberzeugung ist jenes kostbare Gut, das mit einem Wort Charakter heißt, und<lb/> darum ist, um es kurz zu sagen, das Erste, was Italien noth thut, das, daß<lb/> hohe und starke Charaktere sich bilden. Aber nur allzusehr geht es mit jedem<lb/> Tage in dieser Beziehung abwärts: Italien ist gemacht, aber die Italiener<lb/> wollen sich nicht machen." Aehnliche Stellen, zuweilen die Wahrheit doch et¬<lb/> was grämlich aussprechend und mit Verbitterung gegen die Zustände der letzten<lb/> Jahre, mit denen sich Azeglio immer weniger befreunden konnte, ließen sich eine<lb/> Menge anführen. Es mag an der einen genügen. Dazwischen aber dann wieder<lb/> köstliche Einfälle eines gesunden Humors, drastische Bilder, wie jenes von der<lb/> Freiheit: „Das Geschenk der Freiheit gleicht dem Geschenk eines schönen, starken,<lb/> launigen Pferdes; vielen erweckt es rasendes Verlangen zu reiten, vielen andern<lb/> dagegen erhöht es die Lust zu Fuß zu gehen." Ein Bild, das sich den bekann¬<lb/> ten hippologischen Gleichnissen des norddeutschen Reichstags keck an die Seite<lb/> stellen darf.</p><lb/> <p xml:id="ID_963"> Die Jugendeindrücke gehen in die Zeit der Revolutionskriege zurück. Der<lb/> Vater, ein ehrenfester Soldat, dem der Sohn schon in dem Charakter des alten<lb/> Niccolü de'Lapi ein Denkmal gesetzt, geriet!) in Kriegsgefangenschaft und galt<lb/> längere Zeit für todt. Nach der Vereinigung Piemonts mit Frankreich siedelte<lb/> er, um den Eid nicht leisten zu müssen, mit seiner Familie nach Florenz über,<lb/> was damals für einen Piemontesen nicht viel weniger bedeutete als Ver¬<lb/> bannung.</p><lb/> <p xml:id="ID_964" next="#ID_965"> Noch existirte kein Bewußtsein italienischer Nationalität: eben in diesen</p><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0335]
fassung aufrief. Und so schrieb er diese Erinnerungen, „wie aus der andern
Welt", bei denen ihm nichts mehr am Herzen lag, als seinem Volk an Exem¬
peln zu zeigen, was Charakter sei. Immer wieder kommt er darauf zurück
auf dies Eine, was Italien Noth thue, nämlich Selbstbeherrschung, Festigkeit,
moralische Kraft zu erwerben. „Die gefährlichsten Feinde Italiens," sagt er
gleich im Eingange des Buches, „sind nicht die Oestreicher, sondern die Italie¬
ner. Und warum? weil sie ein neues Italien machen und zugleich die alten
Italiener von vorher bleiben wollten mit den Nichtsnutzigkeiten und moralischen
Erbärmlichkeiten, welche ihr Erbtheil von Alters her waren; weil sie darauf
denken Italien zu reformiren und niemand bemerkt, daß man zu diesem Zweck
vor allem sich selbst reformiren müsse; weil Italien, wie alle Völker, nicht eine
Nation werden kann, geordnet, wohlverwaltet, stark gegen außen, wie gegen die
innern Factionen, frei und auf eigenen Füßen stehend, so lange nicht Groß und
Klein, ein jeder in seiner Sphäre, seine Schuldigkeit thut und sie mindestens
so thut, wie es in seinen Kräften steht. Aber um die eigene Schuldigkeit zu
thun, die meistens beschwerlich, gemein und unansehnlich ist, braucht es Willens¬
stärke und t,die Ueberzeugung, daß man die Pflicht erfüllen muß, nicht weil
sie nützt oder vergnügt, sondern weil sie Pflicht ist. und diese Willensstärke, diese
Ueberzeugung ist jenes kostbare Gut, das mit einem Wort Charakter heißt, und
darum ist, um es kurz zu sagen, das Erste, was Italien noth thut, das, daß
hohe und starke Charaktere sich bilden. Aber nur allzusehr geht es mit jedem
Tage in dieser Beziehung abwärts: Italien ist gemacht, aber die Italiener
wollen sich nicht machen." Aehnliche Stellen, zuweilen die Wahrheit doch et¬
was grämlich aussprechend und mit Verbitterung gegen die Zustände der letzten
Jahre, mit denen sich Azeglio immer weniger befreunden konnte, ließen sich eine
Menge anführen. Es mag an der einen genügen. Dazwischen aber dann wieder
köstliche Einfälle eines gesunden Humors, drastische Bilder, wie jenes von der
Freiheit: „Das Geschenk der Freiheit gleicht dem Geschenk eines schönen, starken,
launigen Pferdes; vielen erweckt es rasendes Verlangen zu reiten, vielen andern
dagegen erhöht es die Lust zu Fuß zu gehen." Ein Bild, das sich den bekann¬
ten hippologischen Gleichnissen des norddeutschen Reichstags keck an die Seite
stellen darf.
Die Jugendeindrücke gehen in die Zeit der Revolutionskriege zurück. Der
Vater, ein ehrenfester Soldat, dem der Sohn schon in dem Charakter des alten
Niccolü de'Lapi ein Denkmal gesetzt, geriet!) in Kriegsgefangenschaft und galt
längere Zeit für todt. Nach der Vereinigung Piemonts mit Frankreich siedelte
er, um den Eid nicht leisten zu müssen, mit seiner Familie nach Florenz über,
was damals für einen Piemontesen nicht viel weniger bedeutete als Ver¬
bannung.
Noch existirte kein Bewußtsein italienischer Nationalität: eben in diesen
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