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Die Grenzboten. Jg. 26, 1867, II. Semester. I. Band.

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schen, und immer ist er wie in seinem Element. Dem äußeren Schein ein
abgesagter Feind, giebt er sich niemals anders als er ist. Obwohl aus alt-
piemontesischem Adel und anfänglich in die Armee eingereiht, hat er dock) die
meiste Zeit seines Lebens wie ein Bürgerlicher zugebracht, nicht ohne den ro¬
mantischen Reiz, aber auch nicht ohne die Entbehrungen, die ein -unstetes Künst¬
lerleben mit sich bringt. Er ist unter seinen Kunstgenossen oder unter dem
Landvolk der römischen Campagna ganz ebenso zu Hause, wie im diplomatischen
Salon und im Rath des Königs. Die Gesinnung des Edelmanns nie ver-
läugnend, hat er doch den Baron völlig abgestreift, zum Entsetzen der näselnder
Damen der turiner Aristokratie, und seine Umgebung weiß es nicht anders, als
daß er der gute Masstmo ist. Diese Unbefangenheit und Wahrhaftigkeit ist
der eigentliche Grundzug seines Wesens. So schilderten und schätzten ihn seine
Freunde, die von ihm rühmten, er habe nie eine Unwahrheit gesagt, und so
erscheint er auch in diesen Denkwürdigkeiten, die der Greis aus seinen Lehr-
und Wanderjahren aufgezeichnet hat.

Obwohl erst spät begonnen, zeugen sie noch von einer merkwürdigen Frische
der Erinnerung. Die frühesten Jugendeindrücke, das elterliche Haus, die be¬
freundeten Personen, und dann die spätern Jahre mit den wechselnden Um¬
gebungen, mit Beschäftigungen und Streichen aller Art, dies alles lebt in frischen
Farben wieder auf, und an der lebendigen Zeichnung von Oertlichkeiten, wie
von Persönlichkeiten, erkennt man das geschärfte Auge und den geübten Griffel
des Künstlers. Mit dem gelassenen Humor, der dem Ende eines reichen Lebens so
wohl ansteht, läßt er die Gestalten der Jugendzeit langsam Revue Passiren. Da
kommt es Wohl vor, daß das eine oder andere Abenteuer behaglicher und um¬
ständlicher erzählt ist, als seine Bedeutung rechtfertigt; zuweilen spürt man etwas
von der Redseligkeit des Alters, es kommen Abschweifungen vor, allgemeine Be¬
trachtungen, die mehr in die Breite gehen als in die Tiefe. Aber durchgängig
erfreut doch die Liebenswürdigkeit des Humors, die Gesundheit der Lebensauf¬
fassung, die Verständigkeit des Urtheils, die den Nagel auf den Kopf trifft
und alles mit seinem wahren Namen nennt. In religiösen und politischen
Dingen hält das Urtheil stets eine goldene Mittelstraße ein, es wird vom ge¬
sunden Menschenverstande dictirt, aber nach rechts und links wird nichts ge¬
schont. Pfaffen und Republikaner können sich bedanken. Wie des Großvaters
Wahlspruch mit großen Lettern als Zimmerinschrift prangte: "Ich pfeife
darein", so ist es auch des Enkels Art nicht, ein Blatt vor den Mund zu
nehmen.

Freimuth und Geradheit der Sprache war immer das Auszeichnende von
Azeglios Feder. So schrieb er seine politischen Broschüren, die keine Rücksicht
aus Popularität kannten, so seine Staatsschristen, wie das berühmte Manifest
von Moncalieri, das nach Novara das Land zum Schutz der bedrohten Ver-


schen, und immer ist er wie in seinem Element. Dem äußeren Schein ein
abgesagter Feind, giebt er sich niemals anders als er ist. Obwohl aus alt-
piemontesischem Adel und anfänglich in die Armee eingereiht, hat er dock) die
meiste Zeit seines Lebens wie ein Bürgerlicher zugebracht, nicht ohne den ro¬
mantischen Reiz, aber auch nicht ohne die Entbehrungen, die ein -unstetes Künst¬
lerleben mit sich bringt. Er ist unter seinen Kunstgenossen oder unter dem
Landvolk der römischen Campagna ganz ebenso zu Hause, wie im diplomatischen
Salon und im Rath des Königs. Die Gesinnung des Edelmanns nie ver-
läugnend, hat er doch den Baron völlig abgestreift, zum Entsetzen der näselnder
Damen der turiner Aristokratie, und seine Umgebung weiß es nicht anders, als
daß er der gute Masstmo ist. Diese Unbefangenheit und Wahrhaftigkeit ist
der eigentliche Grundzug seines Wesens. So schilderten und schätzten ihn seine
Freunde, die von ihm rühmten, er habe nie eine Unwahrheit gesagt, und so
erscheint er auch in diesen Denkwürdigkeiten, die der Greis aus seinen Lehr-
und Wanderjahren aufgezeichnet hat.

Obwohl erst spät begonnen, zeugen sie noch von einer merkwürdigen Frische
der Erinnerung. Die frühesten Jugendeindrücke, das elterliche Haus, die be¬
freundeten Personen, und dann die spätern Jahre mit den wechselnden Um¬
gebungen, mit Beschäftigungen und Streichen aller Art, dies alles lebt in frischen
Farben wieder auf, und an der lebendigen Zeichnung von Oertlichkeiten, wie
von Persönlichkeiten, erkennt man das geschärfte Auge und den geübten Griffel
des Künstlers. Mit dem gelassenen Humor, der dem Ende eines reichen Lebens so
wohl ansteht, läßt er die Gestalten der Jugendzeit langsam Revue Passiren. Da
kommt es Wohl vor, daß das eine oder andere Abenteuer behaglicher und um¬
ständlicher erzählt ist, als seine Bedeutung rechtfertigt; zuweilen spürt man etwas
von der Redseligkeit des Alters, es kommen Abschweifungen vor, allgemeine Be¬
trachtungen, die mehr in die Breite gehen als in die Tiefe. Aber durchgängig
erfreut doch die Liebenswürdigkeit des Humors, die Gesundheit der Lebensauf¬
fassung, die Verständigkeit des Urtheils, die den Nagel auf den Kopf trifft
und alles mit seinem wahren Namen nennt. In religiösen und politischen
Dingen hält das Urtheil stets eine goldene Mittelstraße ein, es wird vom ge¬
sunden Menschenverstande dictirt, aber nach rechts und links wird nichts ge¬
schont. Pfaffen und Republikaner können sich bedanken. Wie des Großvaters
Wahlspruch mit großen Lettern als Zimmerinschrift prangte: „Ich pfeife
darein", so ist es auch des Enkels Art nicht, ein Blatt vor den Mund zu
nehmen.

Freimuth und Geradheit der Sprache war immer das Auszeichnende von
Azeglios Feder. So schrieb er seine politischen Broschüren, die keine Rücksicht
aus Popularität kannten, so seine Staatsschristen, wie das berühmte Manifest
von Moncalieri, das nach Novara das Land zum Schutz der bedrohten Ver-


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 26, 1867, II. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341805_191229/334>, abgerufen am 15.01.2025.