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Die Grenzboten. Jg. 26, 1867, II. Semester. I. Band.

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der Schwäche der gemäßigten Elemente, wie der Regierung, die es weder mit
der Bewegungspartei noch mit der Reaction verderben mochte, und die in der
ungewohnten Thätigkeit des Refornürcns eine unglaubliche Unbehilflichkeit zeigte.
Die vielgerühmte Klugheit des Priesterregiments versagte gänzlich, so wie es
galt, auch nur einen Schritt aus dem gewohnten Kreise hcrauszuthun. Es
offenbarte sich unwiderspr-endlich, daß die ganze Regierungskunst der Kurie nichts
als Routine war, und daß wo diese aufhörte, die bodenloseste Unfähigkeit und
Unwissenheit begann. Um so geschickter wußten die Volksführer zu operiren;
dem scharfblickender Rossi entgeht es nicht, daß in der Ordnung, die bei feier¬
lichen Gelegenheiten unter dem Volke herrscht, sich sehr bald eine förmliche
Organisation bemerkbar macht. Das Ziel dieser thätigen und gewandten Dema¬
gogie, die auch den führerlosen gemäßigten Liberalismus ihrer Leitung zu
unterwerfen wußte, ging über alle Resormideen des Papstes hinaus. Sie
sammelten um sich den Kern der schnell über alle Staaten Italiens sich ver¬
breitenden nationalen Einheitspartei, die sich wohl den Papst als Führer oder
Vielmehr Bannerträger hätte gefallen lassen, im Uebrigen aber zugleich revo¬
lutionär nach Innen, kriegerisch gesinnt nach Außen war. Wie hätte aber Pius,
dessen Schwäche von Tage zu Tage mehr hervortrat, auch nur die nominelle
Leitung einer Partei übernehmen können, die kein anderes Ziel als den Sturz
der Dynastie und die Vertreibung der Oestreicher verfolgte und die denn auch
bald zu der Ueberzeugung kam, daß das Schwert Italiens einem kräftigeren
Arme als dem des milden Kirchenfürsten anzuvertrauen sei. Man kann nicht
behaupten, daß Guizot durch diese seinen Wünschen so sehr widersprechende und
seine Politik zur Nichtigkeit verurtheilende Wendung der Dinge überrascht worden
wäre; die Möglichkeit dieses Umschwungs hatte er von Anfang an ins Auge
gefaßt und in Rossis interessanten Berichten ist der Hoffnung immer eine sehr
starke Dosis Besorgnis) beigemischt. Aber Guizot, wie in noch höherem Grade
Ludwig Philipp überschätzte die Wirkung einer mit Vorliebe und unleugbarer
Geschicklichkeit geleiteten Vermittelungspolitik in einer Zeit, in welcher fast in
ganz Europa der öffentliche Geist einen entschieden radicalen Charakter an¬
genommen hatte. Wenn Metternich sich in einem interessanten Schreiben an
den östreichischen Gesandten in Paris, den Grafen Appony, über Guizots ver¬
mittelnde Neformpolitik beschwert, so hatte er nicht Unrecht mit der Behauptung,
daß die Politik des Mes milieu nicht geeignet sei, eine im ersten Stadium
ihrer Entwickelung befindliche Revolution zu lenken. Er vergaß dabei nur. daß
sein frivoles Unterdrückungssystem am meisten dazu beigetragen hatte, den Geist
der Reform in einen Geist der Revolution umzuwandeln. Und dabei fehlte es
ihm doch, trotz seiner scharfen Kritik der französischen Vermittelungspolitik, an
dem Muthe, energisch gegen die Anfänge der Revolution aufzutreten; er that
genug, um zu reizen, aber viel zu wenig, um dem Gegner zu imponiren und


der Schwäche der gemäßigten Elemente, wie der Regierung, die es weder mit
der Bewegungspartei noch mit der Reaction verderben mochte, und die in der
ungewohnten Thätigkeit des Refornürcns eine unglaubliche Unbehilflichkeit zeigte.
Die vielgerühmte Klugheit des Priesterregiments versagte gänzlich, so wie es
galt, auch nur einen Schritt aus dem gewohnten Kreise hcrauszuthun. Es
offenbarte sich unwiderspr-endlich, daß die ganze Regierungskunst der Kurie nichts
als Routine war, und daß wo diese aufhörte, die bodenloseste Unfähigkeit und
Unwissenheit begann. Um so geschickter wußten die Volksführer zu operiren;
dem scharfblickender Rossi entgeht es nicht, daß in der Ordnung, die bei feier¬
lichen Gelegenheiten unter dem Volke herrscht, sich sehr bald eine förmliche
Organisation bemerkbar macht. Das Ziel dieser thätigen und gewandten Dema¬
gogie, die auch den führerlosen gemäßigten Liberalismus ihrer Leitung zu
unterwerfen wußte, ging über alle Resormideen des Papstes hinaus. Sie
sammelten um sich den Kern der schnell über alle Staaten Italiens sich ver¬
breitenden nationalen Einheitspartei, die sich wohl den Papst als Führer oder
Vielmehr Bannerträger hätte gefallen lassen, im Uebrigen aber zugleich revo¬
lutionär nach Innen, kriegerisch gesinnt nach Außen war. Wie hätte aber Pius,
dessen Schwäche von Tage zu Tage mehr hervortrat, auch nur die nominelle
Leitung einer Partei übernehmen können, die kein anderes Ziel als den Sturz
der Dynastie und die Vertreibung der Oestreicher verfolgte und die denn auch
bald zu der Ueberzeugung kam, daß das Schwert Italiens einem kräftigeren
Arme als dem des milden Kirchenfürsten anzuvertrauen sei. Man kann nicht
behaupten, daß Guizot durch diese seinen Wünschen so sehr widersprechende und
seine Politik zur Nichtigkeit verurtheilende Wendung der Dinge überrascht worden
wäre; die Möglichkeit dieses Umschwungs hatte er von Anfang an ins Auge
gefaßt und in Rossis interessanten Berichten ist der Hoffnung immer eine sehr
starke Dosis Besorgnis) beigemischt. Aber Guizot, wie in noch höherem Grade
Ludwig Philipp überschätzte die Wirkung einer mit Vorliebe und unleugbarer
Geschicklichkeit geleiteten Vermittelungspolitik in einer Zeit, in welcher fast in
ganz Europa der öffentliche Geist einen entschieden radicalen Charakter an¬
genommen hatte. Wenn Metternich sich in einem interessanten Schreiben an
den östreichischen Gesandten in Paris, den Grafen Appony, über Guizots ver¬
mittelnde Neformpolitik beschwert, so hatte er nicht Unrecht mit der Behauptung,
daß die Politik des Mes milieu nicht geeignet sei, eine im ersten Stadium
ihrer Entwickelung befindliche Revolution zu lenken. Er vergaß dabei nur. daß
sein frivoles Unterdrückungssystem am meisten dazu beigetragen hatte, den Geist
der Reform in einen Geist der Revolution umzuwandeln. Und dabei fehlte es
ihm doch, trotz seiner scharfen Kritik der französischen Vermittelungspolitik, an
dem Muthe, energisch gegen die Anfänge der Revolution aufzutreten; er that
genug, um zu reizen, aber viel zu wenig, um dem Gegner zu imponiren und


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[0303] der Schwäche der gemäßigten Elemente, wie der Regierung, die es weder mit der Bewegungspartei noch mit der Reaction verderben mochte, und die in der ungewohnten Thätigkeit des Refornürcns eine unglaubliche Unbehilflichkeit zeigte. Die vielgerühmte Klugheit des Priesterregiments versagte gänzlich, so wie es galt, auch nur einen Schritt aus dem gewohnten Kreise hcrauszuthun. Es offenbarte sich unwiderspr-endlich, daß die ganze Regierungskunst der Kurie nichts als Routine war, und daß wo diese aufhörte, die bodenloseste Unfähigkeit und Unwissenheit begann. Um so geschickter wußten die Volksführer zu operiren; dem scharfblickender Rossi entgeht es nicht, daß in der Ordnung, die bei feier¬ lichen Gelegenheiten unter dem Volke herrscht, sich sehr bald eine förmliche Organisation bemerkbar macht. Das Ziel dieser thätigen und gewandten Dema¬ gogie, die auch den führerlosen gemäßigten Liberalismus ihrer Leitung zu unterwerfen wußte, ging über alle Resormideen des Papstes hinaus. Sie sammelten um sich den Kern der schnell über alle Staaten Italiens sich ver¬ breitenden nationalen Einheitspartei, die sich wohl den Papst als Führer oder Vielmehr Bannerträger hätte gefallen lassen, im Uebrigen aber zugleich revo¬ lutionär nach Innen, kriegerisch gesinnt nach Außen war. Wie hätte aber Pius, dessen Schwäche von Tage zu Tage mehr hervortrat, auch nur die nominelle Leitung einer Partei übernehmen können, die kein anderes Ziel als den Sturz der Dynastie und die Vertreibung der Oestreicher verfolgte und die denn auch bald zu der Ueberzeugung kam, daß das Schwert Italiens einem kräftigeren Arme als dem des milden Kirchenfürsten anzuvertrauen sei. Man kann nicht behaupten, daß Guizot durch diese seinen Wünschen so sehr widersprechende und seine Politik zur Nichtigkeit verurtheilende Wendung der Dinge überrascht worden wäre; die Möglichkeit dieses Umschwungs hatte er von Anfang an ins Auge gefaßt und in Rossis interessanten Berichten ist der Hoffnung immer eine sehr starke Dosis Besorgnis) beigemischt. Aber Guizot, wie in noch höherem Grade Ludwig Philipp überschätzte die Wirkung einer mit Vorliebe und unleugbarer Geschicklichkeit geleiteten Vermittelungspolitik in einer Zeit, in welcher fast in ganz Europa der öffentliche Geist einen entschieden radicalen Charakter an¬ genommen hatte. Wenn Metternich sich in einem interessanten Schreiben an den östreichischen Gesandten in Paris, den Grafen Appony, über Guizots ver¬ mittelnde Neformpolitik beschwert, so hatte er nicht Unrecht mit der Behauptung, daß die Politik des Mes milieu nicht geeignet sei, eine im ersten Stadium ihrer Entwickelung befindliche Revolution zu lenken. Er vergaß dabei nur. daß sein frivoles Unterdrückungssystem am meisten dazu beigetragen hatte, den Geist der Reform in einen Geist der Revolution umzuwandeln. Und dabei fehlte es ihm doch, trotz seiner scharfen Kritik der französischen Vermittelungspolitik, an dem Muthe, energisch gegen die Anfänge der Revolution aufzutreten; er that genug, um zu reizen, aber viel zu wenig, um dem Gegner zu imponiren und

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 26, 1867, II. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341805_191229/303>, abgerufen am 15.01.2025.