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Die Grenzboten. Jg. 26, 1867, II. Semester. I. Band.

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ihn zu entmuthigen. Er war der stille Verbündete Mazzinis, mit dem er in der
Opposition ge.,en Guizots Reformpolitik völlig übereinstimmte.

Die Reformpolitil hatte indessen in allen Staaten Italiens große Fortschritte
gemacht, ohne jedoch dem nationalen Einheitstricbe volle Befriedigung zu ver¬
schaffen. Oestreich rüstete, und bereitete sich, ohne seine zuwartende Haltung
zunächst aufzugeben, auf die Ereignisse vor, die die nächste Zukunft bringen
mußte. Frankreich bot dem Papste seine bewaffnete Hilfe an gegen jeden An¬
griff, möge er von außen oder von innen kommen. Wer war der auswärtige
Feind, den man fürchtete? Hatte Guizot blos die italienischen Unitarier im Auge,
oder war er entschlossen, vorkommenden Falls mit Hilfe dieser Partei auch einer
östreichischen Intervention die Spitze zu bieten? Der Ausbruch der Februar¬
revolution hat es Ludwig Philipp erspart, selbst die Konsequenzen seiner italie¬
nischen Politik zu ziehen.

Auch in den durch die Jesuitenfrage hervorgerufenen schweizer Wirren suchte
Guizot eine vermittelnde Politik durchzuführen, die indessen von einer starken
Sympathie für den Sonderbund nicht frei war. Nicht als ob er die Berufung
der Jesuiten in die Urcantone gebilligt hätte; dieser Schritt schien ihm vielmehr
schon wegen seines provocirenden Charakters als beklagenswerth. Diese Ursache
des Haders hätte er am liebsten durch eine Abberufung der Jesuiten von Seiten
des Papstes beseitigt gesehen. Das Princip, für welches er eintrat, war viel¬
mehr das der Cantonalsouverainetät, die sich durch die Centralisationsbestrebungen
der Radicalen bedroht sah und als deren Repräsentant der Sonderbund der
katholischen Cantone anzusehen war. Offenbar handelte Guizot hier durchaus
im Sinne der alt-französischen Traditionen, keineswegs aber der öffentlichen
Meinung, die in Frankreich, wie überall, aufs lebhafteste für die Bundesregierung
und gegen die reactionären Tendenzen der Urcantone Partei nahm. Die fest¬
ländischen Cabinete schlössen sich im Allgemeinen der französischen Auffassung
an, gingen indessen insofern einen Schritt weiter, als sie auch einer materiellen
Einmischung nicht abgeneigt waren. Dies gilt besonders von Metternich, der
offenbar den sehnlicher Wunsch hatte, auf wohlfeile Weise wieder einmal die
Führung einer antirevolutionären Liga zu übernehmen. Aber so dringend, wie
er durch einen Eclat seine abgestandene Nestaurationspolitik zu stärken und zu
erquicken wünschte, ebenso eifrig war Guizot darauf bedacht, die Schwierigkeiten
auf diplomatischem Wege zu ebnen, nicht blos aus Rücksicht auf die Stimmung
in Frankreich, sondern auch, um sich nicht von England zu trennen, dessen Re¬
gierung, besonders seit Palmerston wieder ans Ruder gekommen war, offenbar
größere Sympathien für die schweizer Liberalen als für den Sonderbund em¬
pfand, und sich doch auch vor einer diplomatischen Jsolirung scheute. Palmerston
wußte sich durch eine zwar sehr geschickte, aber zweideutige Verschleppungspolitik,
über die sehr interessante Aufschlüsse gegeben werden, aus diesem Dilemma zu


ihn zu entmuthigen. Er war der stille Verbündete Mazzinis, mit dem er in der
Opposition ge.,en Guizots Reformpolitik völlig übereinstimmte.

Die Reformpolitil hatte indessen in allen Staaten Italiens große Fortschritte
gemacht, ohne jedoch dem nationalen Einheitstricbe volle Befriedigung zu ver¬
schaffen. Oestreich rüstete, und bereitete sich, ohne seine zuwartende Haltung
zunächst aufzugeben, auf die Ereignisse vor, die die nächste Zukunft bringen
mußte. Frankreich bot dem Papste seine bewaffnete Hilfe an gegen jeden An¬
griff, möge er von außen oder von innen kommen. Wer war der auswärtige
Feind, den man fürchtete? Hatte Guizot blos die italienischen Unitarier im Auge,
oder war er entschlossen, vorkommenden Falls mit Hilfe dieser Partei auch einer
östreichischen Intervention die Spitze zu bieten? Der Ausbruch der Februar¬
revolution hat es Ludwig Philipp erspart, selbst die Konsequenzen seiner italie¬
nischen Politik zu ziehen.

Auch in den durch die Jesuitenfrage hervorgerufenen schweizer Wirren suchte
Guizot eine vermittelnde Politik durchzuführen, die indessen von einer starken
Sympathie für den Sonderbund nicht frei war. Nicht als ob er die Berufung
der Jesuiten in die Urcantone gebilligt hätte; dieser Schritt schien ihm vielmehr
schon wegen seines provocirenden Charakters als beklagenswerth. Diese Ursache
des Haders hätte er am liebsten durch eine Abberufung der Jesuiten von Seiten
des Papstes beseitigt gesehen. Das Princip, für welches er eintrat, war viel¬
mehr das der Cantonalsouverainetät, die sich durch die Centralisationsbestrebungen
der Radicalen bedroht sah und als deren Repräsentant der Sonderbund der
katholischen Cantone anzusehen war. Offenbar handelte Guizot hier durchaus
im Sinne der alt-französischen Traditionen, keineswegs aber der öffentlichen
Meinung, die in Frankreich, wie überall, aufs lebhafteste für die Bundesregierung
und gegen die reactionären Tendenzen der Urcantone Partei nahm. Die fest¬
ländischen Cabinete schlössen sich im Allgemeinen der französischen Auffassung
an, gingen indessen insofern einen Schritt weiter, als sie auch einer materiellen
Einmischung nicht abgeneigt waren. Dies gilt besonders von Metternich, der
offenbar den sehnlicher Wunsch hatte, auf wohlfeile Weise wieder einmal die
Führung einer antirevolutionären Liga zu übernehmen. Aber so dringend, wie
er durch einen Eclat seine abgestandene Nestaurationspolitik zu stärken und zu
erquicken wünschte, ebenso eifrig war Guizot darauf bedacht, die Schwierigkeiten
auf diplomatischem Wege zu ebnen, nicht blos aus Rücksicht auf die Stimmung
in Frankreich, sondern auch, um sich nicht von England zu trennen, dessen Re¬
gierung, besonders seit Palmerston wieder ans Ruder gekommen war, offenbar
größere Sympathien für die schweizer Liberalen als für den Sonderbund em¬
pfand, und sich doch auch vor einer diplomatischen Jsolirung scheute. Palmerston
wußte sich durch eine zwar sehr geschickte, aber zweideutige Verschleppungspolitik,
über die sehr interessante Aufschlüsse gegeben werden, aus diesem Dilemma zu


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 26, 1867, II. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341805_191229/304>, abgerufen am 15.01.2025.