Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 26, 1867, II. Semester. I. Band.

Bild:
<< vorherige Seite

es des wohlwollenden Drängens der französischen Negierung, um den gut¬
gemeinten Bestrebungen des Papstes eine bestimmte Gestalt zu geben. Die
Ziele, die die französische Regierung im Auge holte, waren nichts weniger als
ausschweifend; sie beschränkte sich im Grunde darauf, den Papst zur Einführung
einer vernünftigen Verwaltung zu bewegen. Vor allem kam es darauf an, dem
Laienelement den Zutritt zu den höchsten Verwaltungsstellen zu verschaffen und
den ausschließlich geistlichen Charakter der Regierung zu beseitigen. Denn die
alten Klagen über die geistliche Verwaltung waren ebenso allgemein wie gerecht.
Wie war es möglich, daß ein römischer Cardinal, ein Pfeiler der hart bedrängten
eeelesig, mMans, den in seinen Augen untergeordneten Interessen der bürger¬
lichen Wohlfahrt die Aufmerksamkeit und Theilnahme widmen konnte, auf welche
die Unterthanen des Papstes Anspruch zu haben glaubten? Während selbst die
despotischeste weltliche Negierung Sorge tragen wird, wenigstens den materiellen
Wohlstand ihrer Unterthanen zu fördern, fragte die klerikale Partei nur nach
dem, was der Kirche und ihren Gliedern frommte. In ihren Augen war der
Kirchenstaat ja nur die Residenz des Papstes, sein Reich war die Welt. So
lange man im Stande war, die gesammte katholische Christenheit tributpflichtig
zu erhalten, hatte man nicht nöthig, zur Steigerung des Wohlstandes und der
Leistungsfähigkeit der Römer und Romagnolen bei der modernen Staatskunst in
die Lehre zu gehen, hatte man nicht nöthig, Eisenbahnen zu bauen, von denen
man fürchtete, daß sie das Gift der Ausklärung in die verstecktesten Thäler der
Apenninen tragen könnten. Man konnte das metternichsche Stabilitätsprincip
unbedingt und unverfälscht anwenden, ohne selbst auf dem Boden der
materiellen Interessen dem Fortschritt auch nur die kleinste Concession zu
machen.

Die Bedenklichkeiten, die der Papst zu überwinden hatte, ehe er sich auch
nur zu einer theilweisen Säcularistrung der Regierung entschloß, das unent¬
schlossene Schwanken, das allen reformatorischen Maßregeln voranging, die Halb¬
heit und Unsicherheit in der Ausführung derselben, wenn man durch Rossis
Drängen und die Gewalt der Umstände endlich genöthigt wurde einen Schritt
vorwärts zu thun, sie hätten Guizot, wenn er nicht unter dem Eindruck eines,
übrigens von aller Welt getheilten hoffnungsreichen Vorurtheils gestanden hätte,
überzeugen müssen, daß Pius beim besten Willen doch nur im Stande war,
die Erwartungen zu spannen, nicht aber sie zu befriedigen, daß es ihm zu dem
Beruf des Reformators sowohl an moralischer Kraft und Unabhängigkeit des
Urtheils, wie an materieller Macht gebrach. Die Evvivas wiederholten sich,
aber die Ungeduld stieg; "das Land wartete aber mit einer entschlossenen Un¬
geduld", heißt es in einem Berichte Rossis, der sich über die Gefahren der Lage
durchaus keine Illusionen macht. Die Hoffnungen wurden schwächer, die An¬
sprüche größer. Die Versuche, eine Reformpartei zu bilden, scheiterten ebenso an


es des wohlwollenden Drängens der französischen Negierung, um den gut¬
gemeinten Bestrebungen des Papstes eine bestimmte Gestalt zu geben. Die
Ziele, die die französische Regierung im Auge holte, waren nichts weniger als
ausschweifend; sie beschränkte sich im Grunde darauf, den Papst zur Einführung
einer vernünftigen Verwaltung zu bewegen. Vor allem kam es darauf an, dem
Laienelement den Zutritt zu den höchsten Verwaltungsstellen zu verschaffen und
den ausschließlich geistlichen Charakter der Regierung zu beseitigen. Denn die
alten Klagen über die geistliche Verwaltung waren ebenso allgemein wie gerecht.
Wie war es möglich, daß ein römischer Cardinal, ein Pfeiler der hart bedrängten
eeelesig, mMans, den in seinen Augen untergeordneten Interessen der bürger¬
lichen Wohlfahrt die Aufmerksamkeit und Theilnahme widmen konnte, auf welche
die Unterthanen des Papstes Anspruch zu haben glaubten? Während selbst die
despotischeste weltliche Negierung Sorge tragen wird, wenigstens den materiellen
Wohlstand ihrer Unterthanen zu fördern, fragte die klerikale Partei nur nach
dem, was der Kirche und ihren Gliedern frommte. In ihren Augen war der
Kirchenstaat ja nur die Residenz des Papstes, sein Reich war die Welt. So
lange man im Stande war, die gesammte katholische Christenheit tributpflichtig
zu erhalten, hatte man nicht nöthig, zur Steigerung des Wohlstandes und der
Leistungsfähigkeit der Römer und Romagnolen bei der modernen Staatskunst in
die Lehre zu gehen, hatte man nicht nöthig, Eisenbahnen zu bauen, von denen
man fürchtete, daß sie das Gift der Ausklärung in die verstecktesten Thäler der
Apenninen tragen könnten. Man konnte das metternichsche Stabilitätsprincip
unbedingt und unverfälscht anwenden, ohne selbst auf dem Boden der
materiellen Interessen dem Fortschritt auch nur die kleinste Concession zu
machen.

Die Bedenklichkeiten, die der Papst zu überwinden hatte, ehe er sich auch
nur zu einer theilweisen Säcularistrung der Regierung entschloß, das unent¬
schlossene Schwanken, das allen reformatorischen Maßregeln voranging, die Halb¬
heit und Unsicherheit in der Ausführung derselben, wenn man durch Rossis
Drängen und die Gewalt der Umstände endlich genöthigt wurde einen Schritt
vorwärts zu thun, sie hätten Guizot, wenn er nicht unter dem Eindruck eines,
übrigens von aller Welt getheilten hoffnungsreichen Vorurtheils gestanden hätte,
überzeugen müssen, daß Pius beim besten Willen doch nur im Stande war,
die Erwartungen zu spannen, nicht aber sie zu befriedigen, daß es ihm zu dem
Beruf des Reformators sowohl an moralischer Kraft und Unabhängigkeit des
Urtheils, wie an materieller Macht gebrach. Die Evvivas wiederholten sich,
aber die Ungeduld stieg; „das Land wartete aber mit einer entschlossenen Un¬
geduld", heißt es in einem Berichte Rossis, der sich über die Gefahren der Lage
durchaus keine Illusionen macht. Die Hoffnungen wurden schwächer, die An¬
sprüche größer. Die Versuche, eine Reformpartei zu bilden, scheiterten ebenso an


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <div n="2">
            <pb facs="#f0302" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/191532"/>
            <p xml:id="ID_876" prev="#ID_875"> es des wohlwollenden Drängens der französischen Negierung, um den gut¬<lb/>
gemeinten Bestrebungen des Papstes eine bestimmte Gestalt zu geben. Die<lb/>
Ziele, die die französische Regierung im Auge holte, waren nichts weniger als<lb/>
ausschweifend; sie beschränkte sich im Grunde darauf, den Papst zur Einführung<lb/>
einer vernünftigen Verwaltung zu bewegen. Vor allem kam es darauf an, dem<lb/>
Laienelement den Zutritt zu den höchsten Verwaltungsstellen zu verschaffen und<lb/>
den ausschließlich geistlichen Charakter der Regierung zu beseitigen. Denn die<lb/>
alten Klagen über die geistliche Verwaltung waren ebenso allgemein wie gerecht.<lb/>
Wie war es möglich, daß ein römischer Cardinal, ein Pfeiler der hart bedrängten<lb/>
eeelesig, mMans, den in seinen Augen untergeordneten Interessen der bürger¬<lb/>
lichen Wohlfahrt die Aufmerksamkeit und Theilnahme widmen konnte, auf welche<lb/>
die Unterthanen des Papstes Anspruch zu haben glaubten? Während selbst die<lb/>
despotischeste weltliche Negierung Sorge tragen wird, wenigstens den materiellen<lb/>
Wohlstand ihrer Unterthanen zu fördern, fragte die klerikale Partei nur nach<lb/>
dem, was der Kirche und ihren Gliedern frommte. In ihren Augen war der<lb/>
Kirchenstaat ja nur die Residenz des Papstes, sein Reich war die Welt. So<lb/>
lange man im Stande war, die gesammte katholische Christenheit tributpflichtig<lb/>
zu erhalten, hatte man nicht nöthig, zur Steigerung des Wohlstandes und der<lb/>
Leistungsfähigkeit der Römer und Romagnolen bei der modernen Staatskunst in<lb/>
die Lehre zu gehen, hatte man nicht nöthig, Eisenbahnen zu bauen, von denen<lb/>
man fürchtete, daß sie das Gift der Ausklärung in die verstecktesten Thäler der<lb/>
Apenninen tragen könnten. Man konnte das metternichsche Stabilitätsprincip<lb/>
unbedingt und unverfälscht anwenden, ohne selbst auf dem Boden der<lb/>
materiellen Interessen dem Fortschritt auch nur die kleinste Concession zu<lb/>
machen.</p><lb/>
            <p xml:id="ID_877" next="#ID_878"> Die Bedenklichkeiten, die der Papst zu überwinden hatte, ehe er sich auch<lb/>
nur zu einer theilweisen Säcularistrung der Regierung entschloß, das unent¬<lb/>
schlossene Schwanken, das allen reformatorischen Maßregeln voranging, die Halb¬<lb/>
heit und Unsicherheit in der Ausführung derselben, wenn man durch Rossis<lb/>
Drängen und die Gewalt der Umstände endlich genöthigt wurde einen Schritt<lb/>
vorwärts zu thun, sie hätten Guizot, wenn er nicht unter dem Eindruck eines,<lb/>
übrigens von aller Welt getheilten hoffnungsreichen Vorurtheils gestanden hätte,<lb/>
überzeugen müssen, daß Pius beim besten Willen doch nur im Stande war,<lb/>
die Erwartungen zu spannen, nicht aber sie zu befriedigen, daß es ihm zu dem<lb/>
Beruf des Reformators sowohl an moralischer Kraft und Unabhängigkeit des<lb/>
Urtheils, wie an materieller Macht gebrach. Die Evvivas wiederholten sich,<lb/>
aber die Ungeduld stieg; &#x201E;das Land wartete aber mit einer entschlossenen Un¬<lb/>
geduld", heißt es in einem Berichte Rossis, der sich über die Gefahren der Lage<lb/>
durchaus keine Illusionen macht. Die Hoffnungen wurden schwächer, die An¬<lb/>
sprüche größer. Die Versuche, eine Reformpartei zu bilden, scheiterten ebenso an</p><lb/>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0302] es des wohlwollenden Drängens der französischen Negierung, um den gut¬ gemeinten Bestrebungen des Papstes eine bestimmte Gestalt zu geben. Die Ziele, die die französische Regierung im Auge holte, waren nichts weniger als ausschweifend; sie beschränkte sich im Grunde darauf, den Papst zur Einführung einer vernünftigen Verwaltung zu bewegen. Vor allem kam es darauf an, dem Laienelement den Zutritt zu den höchsten Verwaltungsstellen zu verschaffen und den ausschließlich geistlichen Charakter der Regierung zu beseitigen. Denn die alten Klagen über die geistliche Verwaltung waren ebenso allgemein wie gerecht. Wie war es möglich, daß ein römischer Cardinal, ein Pfeiler der hart bedrängten eeelesig, mMans, den in seinen Augen untergeordneten Interessen der bürger¬ lichen Wohlfahrt die Aufmerksamkeit und Theilnahme widmen konnte, auf welche die Unterthanen des Papstes Anspruch zu haben glaubten? Während selbst die despotischeste weltliche Negierung Sorge tragen wird, wenigstens den materiellen Wohlstand ihrer Unterthanen zu fördern, fragte die klerikale Partei nur nach dem, was der Kirche und ihren Gliedern frommte. In ihren Augen war der Kirchenstaat ja nur die Residenz des Papstes, sein Reich war die Welt. So lange man im Stande war, die gesammte katholische Christenheit tributpflichtig zu erhalten, hatte man nicht nöthig, zur Steigerung des Wohlstandes und der Leistungsfähigkeit der Römer und Romagnolen bei der modernen Staatskunst in die Lehre zu gehen, hatte man nicht nöthig, Eisenbahnen zu bauen, von denen man fürchtete, daß sie das Gift der Ausklärung in die verstecktesten Thäler der Apenninen tragen könnten. Man konnte das metternichsche Stabilitätsprincip unbedingt und unverfälscht anwenden, ohne selbst auf dem Boden der materiellen Interessen dem Fortschritt auch nur die kleinste Concession zu machen. Die Bedenklichkeiten, die der Papst zu überwinden hatte, ehe er sich auch nur zu einer theilweisen Säcularistrung der Regierung entschloß, das unent¬ schlossene Schwanken, das allen reformatorischen Maßregeln voranging, die Halb¬ heit und Unsicherheit in der Ausführung derselben, wenn man durch Rossis Drängen und die Gewalt der Umstände endlich genöthigt wurde einen Schritt vorwärts zu thun, sie hätten Guizot, wenn er nicht unter dem Eindruck eines, übrigens von aller Welt getheilten hoffnungsreichen Vorurtheils gestanden hätte, überzeugen müssen, daß Pius beim besten Willen doch nur im Stande war, die Erwartungen zu spannen, nicht aber sie zu befriedigen, daß es ihm zu dem Beruf des Reformators sowohl an moralischer Kraft und Unabhängigkeit des Urtheils, wie an materieller Macht gebrach. Die Evvivas wiederholten sich, aber die Ungeduld stieg; „das Land wartete aber mit einer entschlossenen Un¬ geduld", heißt es in einem Berichte Rossis, der sich über die Gefahren der Lage durchaus keine Illusionen macht. Die Hoffnungen wurden schwächer, die An¬ sprüche größer. Die Versuche, eine Reformpartei zu bilden, scheiterten ebenso an

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341805_191229
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341805_191229/302
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 26, 1867, II. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341805_191229/302>, abgerufen am 15.01.2025.